Interview „Die Ostschweiz“

allgemein

Heitere Apokalypse

Selbst seine Kritiker müssen eingestehen: Der Mann geht seinem Beruf mit einer Leidenschaft nach, die bewundernswert ist. Als Chefredaktor und Verleger der «Die Weltwoche» steht er immer wieder selbst im Rampenlicht. Wichtiger ist ihm aber, durch die publizierten Artikel Diskussionen zu entfachen. Ein Gespräch über das Konkurrenzprodukt «Nebelspalter», die Schatztruhe der Menschheit und seinen aktuellen Einsatz zur Landesverteidigung.

Interview: Marcel Baumgartner

Roger Köppel, wie geht es der «Weltwoche»?
Achtung, «Die Weltwoche» ist eine ältere Dame von bald 90 Jahren. Die Corona-Politik hat ihr das Leben unnötig schwer gemacht, aber mit unverminderter Rüstigkeit und fundierter Zuversicht stellt sie sich der Zukunft.

Und wie geht es Ihnen? Sie scheinen im Dauereinsatz zu sein. Es heisst, Sie schlafen wenig und joggen täglich frühmorgens. Dann haben Sie sich mit «Weltwoche daily» ein Format aufgeladen, das entsprechend laufend betrieben werden muss. Und Nationalrat sind Sie auch noch…
Danke, mir geht’s bestens, und die Arbeit macht mir grossen Spass.

«Die Menschheit ist nicht verdammt, das Leben ist schön, auch wenn es manchmal hart ist.»

Sprechen wir über die einzelnen Punkte. Wann beginnt jeweils Ihr Arbeitstag?
Ich habe kein fixes Programm, je nach Lage, meistens sehr früh. Kommt auf den Vortag an.

Und als Erstes steht jeweils das tägliche Joggen auf dem Programm?
Dafür habe ich leider keine Zeit mehr.

Wann definieren Sie jeweils, über was Sie in «Weltwoche daily» sprechen?
Ich packe da ein paar Themen ein und hoffe, dass ich das dann unterbringe. Go with the Flow!

Dieses Format startete als kostenpflichtiges Angebot. Heute ist es allen zugänglich. War ein zu kleiner Empfängerkreis bereit, dafür zu bezahlen?
In der heutigen Form war Daily nie kostenpflichtig. Erfreulich ist, dass es schön wächst. Seit ein paar Wochen mache ich zwei Sendungen pro Tag, Schweiz und Deutschland, unabhängig, kritisch, gut gelaunt.

Braucht es heute neben dem Hauptprodukt, der «Weltwoche», zwingend noch weitere Elemente, um eine Medienmarke breit zu verankern?
«Die Weltwoche» braucht es doch nicht. Sie ist als Wochenzeitung eigentlich überflüssig. Sie lebt nur von der kreativen Kraft ihrer Angestellten, die sich jede Woche über die eigene Überflüssigkeit hinwegschreiben, die Woche für Woche eine hoffentlich faszinierende Wundertüte hinlegen und etwas bringen müssen, was die Leute lesen wollen. Wir sind zur Inspiration, zum Interessantsein verdammt. Wie überwinde ich meine eigene Überflüssigkeit? Diese Frage treibt mich an, ja begeistert mich. Auf allen Kanälen. Es werden immer mehr.

«Ich richte mich weniger an die heimatlosen Freisinnigen, sondern an alle, ohne jedes politische Programm.»

Überflüssigkeit ist kaum der Ansatz der «Blattplanung». Wo sehen Sie nach wie vor den Hauptfokus Ihrer Publikation?
«Die Weltwoche» muss interessant sein, unberechenbar, provokativ, lustig, intellektuell ansprechend, Biss haben und den Mut, unbequem, oppositionell zu sein, nicht einfach den anderen hinterherzulaufen. Und wichtig: Humor, heitere Apokalypse. Das wurde mir während dieser Corona-Senkblei-Zeit zusehends bewusst. Das Leben ist schon ernst genug. Alles verbeisst sich in die Politik, wir sind da raus, haben den Mix verbreitert, mehr Abwechslung, mehr Leben und unter anderem einen riesigen Kulturteil installiert, in dem auch wirklich Kultur und nicht auch noch Politik drin ist. Man muss den Leuten die Grossartigkeit der Literatur, der Kunst wieder vorführen. «Die Weltwoche» deckt viel Unerfreuliches auf, aber ihre Botschaft ist Zuversicht: Die Menschheit ist nicht verdammt, das Leben ist schön, auch wenn es manchmal hart ist. Und nichts ist faszinierender als die Wirklichkeit. Und tröstlicher.

Nun gibt es mit dem «Nebelspalter» seit einigen Monaten ein von der Stossrichtung her durchaus ähnliches Produkt. Sie können jetzt sagen, dass Konkurrenz den Markt belebt. Aber eigentlich wird das «neue» Medium wohl ein Stück von Ihrem Kuchen abschneiden…
«Die Weltwoche» ist doch etwas ganz anderes als der Nebelspalter. Wir haben ein viel grösseres Spektrum. Ich richte mich weniger an die heimatlosen Freisinnigen, sondern an alle, ohne jedes politische Programm. Ausgebremst und ausgegrenzt wird niemand. Wir sind ein anarchischer Verbund von Solisten, die fasziniert sind von der Wirklichkeit und der Vielfalt an Themen und Meinungen. Es gibt immer eine andere Sicht. Wir wollen weder belehren noch erziehen, wir wollen dem Leser ein prickelndes Erlebnis bieten. Inspiration. Ausserdem ist unser Blatt voll mit Fremdautoren, Spezialisten, die sich bei dem auskennen, was sie beschreiben. Das geht ja zurück in die Gründungszeit. «Die Weltwoche» hat immer den breitesten Fächer aufgemacht.

Hat «Nebelspalter»-Verleger Markus Somm eine gute Startphase hingelegt?
Ich finde: Ja. Markus ist ein grossartiger Journalist. Aber am Ende entscheiden die Leser.

Zurück zur «Weltwoche». Sie haben es bereits erwähnt: Seit dem Relaunch wartet sie mit einem sehr umfassenden Kulturteil auf. Was steckt hinter dieser Strategie? Und kommt sie bei den Leserinnen und Lesern an?
Die Kultur ist die Schatztruhe der Menschheit. Für mich fast schon ein Gottesbeweis, was die Menschen an Kultur so alles hervorgebracht haben. Ich bin gelernter Kulturjournalist und Sportreporter. Die Politik ist mir durch missliche Umstände aufgedrängt worden. Aber die Kultur ist gross, da steckt mehr Wahrheit drin als in jedem Leitartikel oder jeder noch so brillanten Politikerrede. Aber leider ist die Kultur heute schrecklich verpolitisiert und vermoralisiert, gekapert von Gutmenschen und Einpeitschern der Intoleranz, die uns permanent zum richtigen Denken erziehen wollen. Unter diesem Zeitgeistschutt legen wir die ewigen Schätze frei.

Noch nie standen die Medien dermassen unter Beobachtung wie in der aktuellen Phase. Leser kündigen ein Zeitungsabo, wenn ihnen gewisse Corona-Kommentare nicht gefallen. Sie suchen nach dem «Blatt», das die eigene Meinung vertritt. Ist das nicht eine sehr gefährliche Entwicklung?
Brandgefährlich, aber vielleicht ein Grund, warum «Die Weltwoche» Abonnenten gewinnt. Seit ich den Blumenstrauss wieder bunter mache und mich selber auch nicht mehr so wahnsinnig ernst nehme, was mir natürlich extrem schwerfällt, spüre ich wachsende, zähneknirschende Zustimmung auch bei denen, die früher ein Valium nehmen mussten, wenn sie mich im TV sahen. Da mich das Schweizer Fernsehen aber sowieso nicht mehr einlädt, können sich die Anti-Köppelianer zurücklehnen. Ich bin dafür zwei- bis dreimal pro Woche wieder im deutschen TV. Natürlich immer gut gelaunt.

Sie selbst geben auch Ihren schärfsten Kritikern eine Plattform. Gibt es dennoch Personen – vor allem Politiker –, die nicht mehr mit Ihnen sprechen?
Ich zwinge niemandem, in einem Gespräch mit mir etwas dazuzulernen. Aber es ist doch klar: Nur wer nichts sagt, kommt überall gut an. Diesen Grundsatz habe ich in meiner Laufbahn nicht verfolgt.

Damit sind wir noch beim Punkt «Nationalrat» angelangt. Bietet Ihnen dieses Mandat in erster Linie die Möglichkeit, aus erster Hand Stoff für die Berichterstattung zu bekommen? Oder steckt auch der Wunsch dahinter, politisch etwas für dieses Land zu bewirken?
Ich leiste hier meinen Militärersatzdienst in aktiver Landesverteidigung. Mein verstorbener Vater, der 1940 an der Grenze stand, wird es mir vielleicht danken. Als Präsident des EU-No-Komitees habe ich einen gewissen Beitrag leisten dürfen, dass die Schweiz unabhängig bleibt und die Volksrechte noch etwas wert sind. Mein Auftrag war die Verhinderung des EU-Rahmenabkommens. Das ist fürs Erste gelungen. Mission accomplished!

Und aktuell?
Momentan bin ich stark mit dem Ausbau der «Weltwoche» beschäftigt. Ich arbeite wieder enger mit dem Springer-Verlag in Berlin zusammen – beim neuen, tollen Sender «Bild Live». Und Herr Mateschitz von Red Bull, ein Fan von «Weltwoche Daily», hat mich für eine neue, sehr interessante Sendung auf «Servus TV», dem grössten österreichischen Privatsender, verpflichtet: «Der Pragmaticus». Dort behandle ich einmal im Monat während einer Stunde auf hohem Niveau mit Experten und Wissenschaftlern wichtige Zeitfragen. Die Politik ist mein Dienst am Vaterland. Ich bin da ohne Karriereziel eingestiegen, sondern einfach deshalb, weil ich mich aufregte, dass Schweizer Politiker die Neigung haben, sich im Ausland dauernd für die Schweiz zu entschuldigen. Verrückt. Das hat mich in die Arena getrieben, ein Notstand. Ich wollte nicht enden wie die beiden Alten in der «Muppet Show», die aus der sicheren Loge an der Seitenlinie herumnörgeln. Wir Schweizer müssen unsere Freiheit und Demokratie, die immer gefährdet sind, notfalls selber verteidigen. Jeder, der mitmacht, ist willkommen.

«Mein verstorbener Vater, der 1940 an der Grenze stand, wird es mir vielleicht danken.»

Die Politik war in jüngster Vergangenheit noch nie so stark gefordert wie derzeit. Und gleichzeitig ist von einer Spaltung der Gesellschaft die Rede. Wie schlecht steht es effektiv um unser Land?
Um die Schweiz steht es immer so gut oder so schlecht, wie es die Schweizer zulassen. Das Gejammer über «die da oben» bringt nichts. Wer sich daran stört, soll in die Hosen steigen oder wenigstens die richtigen Parteien wählen. Ich muss hier ja nicht noch konkreter werden.

Welche Rolle sollten hierbei die Medien übernehmen?
Die Journalisten sollten sich weniger ernst nehmen als ihren Auftrag. Politische Medien müssen Korruption aufdecken, Lügen, Machtmissbrauch, sich für die Freiheit der Bürger einsetzen, den Unternehmen helfen und darauf achten, dass die Wirtschaft nicht durch die Politik zermalmt wird. Das wichtigste Kritikobjekt des Politjournalismus muss der Staat sein, weil der Staat als Macht- und Gewaltmonopol per se ein problematisches, wenn auch notwendiges Gebilde ist. Leider glauben die meisten Journalisten eher an den Staat als beispielsweise an Gott. Dieser religiöse Etatismus, diese Neigung, vor der Politik und dem Staat in die Knie zu gehen, befremdet. Journalisten sollten die Opposition sein, möchten das auch, aber viele Verlage und Verleger erlauben ihren Journalisten keine Opposition, pfeifen sie zurück, auch deshalb, weil die Verleger beim Staat um immer mehr Geld betteln. Corona hat diese Verfilzung vorangetrieben, den Journalismus noch mehr korrumpiert. Die meisten Mainstream-Medien sind heute leider nicht mehr die Wachhunde der Freiheit und der Bürger, sondern – allerdings das Gegenteil vorspiegelnd – die Schosshunde der Macht, Bodyguards der Obrigkeit. Aber es ja gibt noch «Die Weltwoche». Oder eine «Die Ostschweiz», die mutig Gegensteuer gibt.

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen