Begrenzungsinitiative

Roger Köppel

«Es wäre der Super-GAU»

Von Christoph Mörgeli und Florian Schwab

Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP) kämpft gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften gegen die Begrenzungsinitiative (BGI). An einer Medienkonferenz wurden apokalyptische Szenarien breitgeschlagen. Zu Recht?

Über siebzig Minuten lang dozierten düster Bundesrätin Karin Keller-Sutter, Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt, Gewerbedirektor Hans-Ulrich Bigler sowie die beiden Gewerkschaftsexponenten Pierre-Yves Maillard und Adrian Wüthrich. Kein gutes Haar liess das grimmige Quintett an der Begrenzungsinitiative der SVP, über die am 27. September abgestimmt wird. Bundesrat und Sozialpartner sind im Wesentlichen der Ansicht, die Schweiz stürze bei einer Annahme des Volksbegehrens in eine Katastrophe. Wir präsentieren hier eine Auswahl ihrer wichtigsten Argumente und deren Richtigstellung.

«Die sieben Abkommen der Bilateralen sind die ersten bilateralen Abkommen, die die Schweiz nach dem EWR-Nein ausgehandelt hat. Sie sind der Kern des bilateralen Weges, und sie regeln im Wesentlichen den Zugang zum EU-Binnenmarkt.» Karin Keller-Sutter

Das ist falsch. Den Zugang zum EU-Markt regelt und sichert seit 1972 das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Dieser Vertrag wird automatisch auf jedes weitere EU-Mitglied ausgedehnt. Weit über 90 Prozent des schweizerischen Exportvolumens in die EU werden durch dieses Freihandelsabkommen und die Regeln der Welthandelsorganisation garantiert. Die Verträge der Bilateralen I ermöglichen nach Schätzungen des Ökonomen Rudolf Strahm nur rund 5 Prozent des schweizerischen EU-Exports. Das Freihandelsabkommen ist das bedeutendste Wirtschaftsabkommen zwischen der Schweiz und der EU und damit der Kern des bilateralen Wegs. Eine Annahme der Begrenzungsinitiative hätte auf diesen Vertrag nicht den geringsten Einfluss.

«Die Begrenzungsinitiative setzt den bilateralen Weg aufs Spiel.» Karin Keller-Sutter

Tatsache ist, dass die Schweiz deutlich über hundert bilaterale Verträge mit der EU abgeschlossen hat, darunter als wichtigsten das Freihandelsabkommen von 1972. Sollten die Schweizer Stimmberechtigten der Begrenzungsinitiative zustimmen, wäre der Bundesrat verpflichtet, das Personenfreizügigkeitsabkommen (FZA) auf der Grundlage der Paragrafen 14 und 18 FZA neu auszuhandeln. Die EU ist vertraglich verpflichtet, in diese Verhandlungen einzusteigen. Sollte sich Brüssel einer Einigung verweigern, müsste der Bundesrat das FZA innerhalb eines Jahres kündigen. Dies hätte den Wegfall von nur sechs bilateralen Verträgen zur Folge, darunter das Verkehrsabkommen, an dessen Weiterführung die EU das allerhöchste Interesse hat.

Ewig lockt der Untergang

«Die Personenfreizügigkeit ist überlebenswichtig für den Fachkräftemarkt und damit für die KMU.» Hans-Ulrich Bigler

Bigler blendet aus, dass die Nachfrage nach Fachkräften in der Marktwirtschaft in aller Regel grösser ist als das Angebot. Knappheit ist der Normalzustand auf jedem Fachkräftemarkt und treibt die Löhne nach oben.

Es ist ein Mythos, die Personenfreizügigkeit bringe vor allem hochqualifizierte Fachkräfte in die Schweiz. Gemäss dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich sind zwischen 2007 und 2014 weniger als 20 Prozent der EU-Zuwanderer in Berufsgruppen tätig geworden, in denen ein Mangel an Fachkräften herrscht.

«Viele von Ihnen werden sich gut an die Mitte der 90er Jahre erinnern. Die Immobilienkrise und der gescheiterte EWR-Beitritt prägten diese Zeit. [. . .] Unsere Wirtschaft kam erst wieder in Fahrt, als sich abzeichnete, wie die Schweiz doch noch Teil des EU-Binnenmarktes werden konnte.» Valentin Vogt

Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt will glauben machen, die Rezession der neunziger Jahre in der Schweiz sei eine Folge des EWR-Neins und habe erst dank dem Abschluss der bilateralen Verträge I überwunden werden können. Diese Aussage widerspricht nachweislich der jüngeren schweizerischen Wirtschaftsgeschichte. Die Rezession der neunziger Jahre begann als Folge einer konjunkturellen Überhitzung und einer hausgemachten Immobilienkrise bereits vor der EWR-Abstimmung von 1992. Der Aufschwung setzte schon ums Jahr 1996 wieder ein mit einem neuerlichen Hitzeschub und dem Platzen einer ersten Internet-Blase 2001. Die Bilateralen I traten erst 2002 in Kraft und hatten auf diese Vorgänge folglich keinen Einfluss.

«Wir wollen den Wohlstand in unserem Land mehren und nicht reduzieren.» Valentin Vogt

Die Frage ist nur, wie man den Wohlstand misst. 1945 bis 2001, also vor Einführung der bilateralen Verträge I, betrug das jährliche Pro-Kopf- Wachstum in der Schweiz durchschnittlich 2 Prozent – und dies ohne Personenfreizügigkeit. Heute ist dieses Pro-Kopf-Wachstum praktisch stagnierend.

«Eine Annahme der Initiative wäre der Super-GAU für das Land.» Valentin Vogt

Solche Drohungen stiessen die Befürworter schon 1992 vor der EWR-Abstimmung aus. Der EWR-Unterhändler Franz Blankart erklärte: «Nach fünf Jahren Alleingang würden wir aus wirtschaftlichen Gründen die EG auf Knien bitten, uns um jeden Preis als Mitglied aufzunehmen! » In Wahrheit ging es der Schweiz nach dem EWR-Nein bis heute wesentlich besser als der EU. Daraus erklärt sich auch die enorme Zuwanderung aus dem EU-Raum in die Schweiz.

«In einem direktdemokratischen System sind wir darauf angewiesen, dass das Volk auch in Zukunft Fragen beantwortet.» Karin Keller-Sutter

Keller-Sutters Appell an die direkte Demokratie ist unglaubwürdig. Die Bundesrätin will unmittelbar nach der Begrenzungsinitiative das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU abschliessen. Dieses entmachtet das Volk über weite Teile als Gesetzgeber; die EU würde auf den Stufen Bund, Kantone und Gemeinden durchregieren. Abstimmen dürften die Bürger nur noch mit der Drohung im Nacken, bei «falscher» Stimmabgabe mit «Ausgleichsmassnahmen » bestraft zu werden.

Weltwoche Nr. 26.20 9
Bild: Peter Klaunzer (Keystone)

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