Weltwoche Kommentar 11/24

Kommentar

Oppenheimers Hollywood

Los Angeles
Z

um ersten Mal erlebte ich vor Ort die «Oscars » in Los Angeles. Die Show war perfekt, wenn auch über drei Stunden lang. Die Politik funkte immer noch dazwischen, allerdings nicht so penetrant wie früher. Zeigt der Moralismus Ermüdungserscheinungen?

Erst auf dem Rückflug sah ich den Abräumer «Oppenheimer» mit sieben Oscars, darunter der Preis für die beste Regie und den besten Film. Regisseur Chris Nolan («Batman») schuf ein grossartiges Werk, einen Antiatombomben-Film in nuklearen, kriegerischen Zeiten.

Der Film handelt von der Entwicklung der amerikanischen Nuklearwaffe in der Wüstenretortenstadt Los Alamos. Im Zentrum steht der Projektleiter, J. Robert Oppenheimer, der «amerikanische Prometheus», wie ihn eine Biografie nennt.

Prometheus war der griechische Sagenheld, der den Göttern das Feuer stiehlt, um es den Menschen zu bringen. Zur Strafe schmiedet ihn Göttervater Zeus an einen Felsen, wo ihm ein Adler ewig an der Leber frisst, worauf diese sich erneuert.

Ähnlich erging es dem Bringer des Atombombenfeuers, brillanter Physiker, Jude. Die Nuklearwaffe erfand er, um den Nationalsozialisten zuvorzukommen. Am Schluss setzten die Amerikaner die Massenvernichtungswaffe zweimal gegen die Japaner ein.

Angesichts der Zerstörungskraft seiner Bombe wandelte sich Oppenheimer zum Kämpfer für die Abrüstung. Das rief seine Feinde auf den Plan, die ihn im Zuge der kommunistenfressenden McCarthy-Zeit als Agenten der Russen beschmutzten.

«Oppenheimer» ist der wichtigste Film des Jahres und ein Lebenszeichen Hollywoods. Es ist interessant, dass die Akademie diesem bedeutenden Film die meisten Preise gab und nicht etwa «Barbie» oder dem bizarren Erotik-Märchen «Poor Things».

Nolans Drei-Stunden-Doku-Drama hat Substanz. Die Kunst besteht auch darin, dass es der Regisseur schafft, den an sich abstrakten Stoff so fesselnd und bildgewaltig hinzulegen. Auch die Musik ist ein genialer Wurf und holte sich, zu Recht, den Preis.

Der Mensch als Urheber von Kräften, die ihn selber verschlingen können: Das ist das Thema. Es ist von grosser Aktualität. Auch heute steht die Welt gefährlich nahe am nuklearen Abgrund, und wie damals bilden sich zu viele ein, sie hätten es im Griff.

Nolans grossartiger Film erinnert an die Hölle, die in unseren Arsenalen lauert.

Nolan scheint in «Oppenheimer» Stellung zu beziehen gegen diese Enthusiasten des Untergangs. Sein Held, ein amerikanischer Patriot, will die nuklearen Geheimnisse dem Frieden zuliebe mit den Sowjets teilen. Seine Gegner wittern darin Verrat.

Nolan schildert den Kalten Krieg als eine Zeit, in der es verboten war, sich zwischen den Fronten zu bewegen. Alle hatten auf der «richtigen Seite der Geschichte» zu stehen. «Oppenheimer» zeigt Abgründe, die uns heute gespenstisch aktuell erscheinen.

Allerdings hat man nicht das Gefühl, der Regisseur suche zwanghaft den aktuellen Bezug. Er ergibt sich eher beiläufig. Nolan erzählt von der tiefen Zerrissenheit der handelnden Figuren. Selbst die Bösen kommen bei ihm nicht nur schlecht weg.

Was ist die Verantwortung des Wissenschaftlers, der den Mächtigen eine fürchterliche Waffe zur Verfügung stellt? Beim Schweizer Dramatiker Dürrenmatt ziehen sich «Die Physiker» ins Irrenhaus zurück. Oppenheimer wagt sich in die politische Arena vor.

Man hat zuletzt viel Negatives über Hollywood und die amerikanischen Filme lesen können. Die «Oscars» hatten viel Glanz verloren, zu politisch, zu woke, zu langweilig. Vielleicht kehrt jetzt etwas von der früheren Energie zurück.

«Oppenheimer» ist grossartig, ein intelligent gemachtes Meisterwerk, Kino für Erwachsene. Gerade heute, finde ich, sollten Kunst, Literatur und Film sich den Schablonen verweigern, den Blick wieder schärfen für die Grautöne unserer Welt.

Oppenheimers Zeit des Kalten Kriegs war eine Ära der gnadenlosen Unzweideutigkeit: Man war entweder Freund oder Feind. Der Titelheld widersetzt sich dieser Paranoia, den klaren Fronten, lässt die Verleumdungen seiner Gegner fast stoisch über sich ergehen.

Warum? Oppenheimers Weggefährten im Film verstehen es nicht. Aber vielleicht liegt hier eine Botschaft: Wer den Frieden will, darf nicht zurückschlagen. Bombenmacher Oppenheimer avanciert zum Märtyrer des Friedens – und überwindet seine Feinde.

Die Bedeutung der Atombombe ist schillernd. Zum einen verhinderte sie tatsächlich einen nuklearen Krieg. Zum anderen bleibt sie eine ständige Bedrohung. Zur rechten Zeit erinnert «Oppenheimer» an die Hölle, die in unseren Arsenalen lauert.

R.K.

Cover: Art Library/Alamy

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