Weltwoche Kommentar 50/25

Kommentar

Europas Rendezvous mit seinen Irrtümern

I

n atemraubendem Tempo stürzen die Sandburgen ein. Die Klimapolitik entpuppt sich als milliardenteurer Irrtum. Alle Pläne Brüssels, die Europäische Union durch Interventionen, Vorschriften und Bürokratie reicher, stärker und wettbewerbsfähiger zu machen, sind gescheitert. Und jetzt fällt den Regierenden auch noch ihre Ukraine-Politik vor die Füsse, diese schlimme Verirrung moralischen Übermuts und geistesabwesender Wirklichkeitsverweigerung, in die man sich, angespornt und angefeuert von den Medien, so krampfhaft hineingesteigert hat.

Man kann die Ratlosigkeit, die allgemeine Verwirrung an der Unzahl an Gipfeltreffen ablesen, zu denen die Regierungschefs von Deutschland, Frankreich und Grossbritannien hetzen. Mal in dieser, mal in jener Hauptstadt trifft man sich mit dem ukrainischen Machthaber Selenskyj, den zu Hause ein namenloser Abgrund an Korruption verschlingt. Seine engsten Vertrauten sind bereits diskreditiert, abgesetzt, verschwunden. Das ist die Ukraine im Dezember 2025, eine zur Kenntlichkeit entstellte Staatsruine, die zu viele zu lange zu blind bejubelt, ja fast schon angebetet haben.

An ihren fiebrigen Meetings verhandeln die Ukraine-Verbündeten ihre immer deutlicher werdende Bedeutungslosigkeit. Wenn das Ukraine-Debakel etwas gezeigt hat, dann ist es der Relevanzverlust der europäischen Staaten, die alles gemacht haben, um diesen Konflikt zu verlängern, aber nichts, um ihn zu beenden. Diese Aufgabe fällt jetzt, ohne atemlose Gipfelhektik, den Russen und den Amerikanern zu. Sie schliessen Frieden, heben Sanktionen auf und verabreden sich zu Geschäften. Derweil rüstet Brüssel zum Endkampf gegen Moskau, ein weiterer dummer Kreuzzug gegen die Wirklichkeit.

Der Zynismus kennt keine Grenzen. Den deutschen Politikern ist längst klar, dass «die Nummer», wie sie es nennen, am Ende, wer denn sonst, die Deutschen zahlen müssen, das Militärische und den Wiederaufbau. Die Amerikaner seilen sich ab. Trump hat die Idiotie, die tödliche Unnötigkeit dieses Kriegs begriffen und betrachtet die Ukraine als Geschäft, an dem er verdient und andere die Kosten tragen sollen. Dagegen rückt die Bundesrepublik zum grössten Ukraine-Unterstützer auf mit Geld, das zu Hause fehlt, für einen Krieg, den Selenskyj nicht gewinnen kann.

Ist es Wahnsinn, so hat es doch Methode. Auf ihrer falschen Ukraine-Strategie haben zu viele europäische Politiker ihre Karrieren aufgebaut. Sie halten es für klüger, den Irrtum zu verlängern, als den Fehler zuzugeben und den Weg für bessere Politiker freizumachen. Diese Sturheit bringt die EU und Deutschland zusehends auf Kollisionskurs mit dem transatlantischen Verbündeten. Es sind Szenen wie aus einer Filmsatire: In absoluter Selbstüberschätzung konferieren Merz, Macron, Starmer und Selenskyj, wie sie Trump die Stirn bieten und den russischen Bären bezwingen wollen.

Brüssel hat den Draht zur Wirklichkeit verloren. So, wie man sich die Welt ideologisch zurechtgelegt hat, unfähig, das Trugbild über Bord zu werfen, läuft es draussen längst nicht mehr. Der aussenpolitische Moralismus eines Biden, eines Macron, Merz und Starmer, einer von der Leyen oder Baerbock ist unbrauchbar in einer «multipolaren» Welt. Nicht Arroganz und oberlehrerhaftes Levitenlesen ist gefragt. Jetzt zählt wieder Diplomatie, das Denken in nationalen Interessen. Geopolitische Einflusssphären kehren zurück. Der hohle, überhebliche «Internationalismus» erfüllt seine Versprechen nicht.

Davon zeugt auch die neue Sicherheitsdoktrin der Vereinigten Staaten. Sie ist das Dokument eines geopolitischen Realismus: «America first». Die Einschätzungen der Trump-Strategen zeigen auffällige Übereinstimmungen mit den Analysen, die wir aus Peking oder aus dem Kreml hören. Das ist keine schlechte Voraussetzung dafür, dass die grossen Rivalen, solange sie in ähnlichen Begriffen denken, über alle Gegensätze hinweg eine gemeinsame Friedensordnung bauen können unter Berücksichtigung der jeweiligen nationalen Interessen.

Für Trump stehen sichere Grenzen, kontrollierte Migration, Wohlstand und insofern auch der Ausstieg aus sinnlosen Kriegen im Zentrum. Wenige Buchstaben widmet er Russland oder China. Dafür wird der südamerikanischen Einflusssphäre mehr Gewicht gegeben, die Absicherung der alten «Monroe»-Doktrin, die Vertreibung Russlands und Chinas vom eigenen Hinterhof, wie es die Amerikaner jetzt mit ihrem Flugzeugträger vor den Küsten Venezuelas demonstrieren.

Wenig schmeichelhaft, dafür ehrlich fallen die Kapitel über Europa aus. Es liest sich wie eine ausführlichere Version jener Weckruf-Rede, die Trumps Vize J.D.Vance Anfang Jahr an der Sicherheitskonferenz in München hielt. Geschockt können darüber nur jene sein, die kein Interesse an einer Lösung der Probleme haben. Washington sieht die EU auf einer abschüssigen Bahn, an deren Ende in Leuchtschrift «zivilisatorischer Selbstmord» steht. Auch wenn es viele noch nicht merken wollen: Eigentlich ist Trump, der Provokateur, der grösste heimliche Freund und Verbündete Europas.

Denn eigentlich wäre Europa, wäre auch die Schweiz für die Zukunft bestens aufgestellt. Aber nicht, wenn man an Modellen und Denkweisen festhält, die schon in der Vergangenheit nicht funktionierten. Entlastet von der Mühsal, Grossmachtpolitik zu treiben, ist Europa, dieses Pharaonengrab früherer Imperien, heute eine ideale Brücke zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd, für niemanden eine Bedrohung (ausser für sich selbst), mit nach wie vor unglaublichen kulturellen, wirtschaftlichen und intellektuellen Ressourcen, die heute für allerlei Unsinn verschwendet werden.

Betrachten wir es richtig, leben wir in einer schrecklichen, aber im Grunde guten Zeit. Endlich lösen sich die Illusionen auf, an die man im Überfluss so lange zu glauben sich leisten konnte. Geht das Geld aus, kehrt die Wirklichkeit zurück, das Solide. Nicht Europa steckt in der Krise, Europas Politik, Europas Eliten, seine Scheineliten sind in einer Führungskrise. Die Leader von morgen sind schon da, müssen sich aber vor den Wählern erst bewähren. Europa hat eine interessante Zukunft vor sich, auch deshalb, weil es nicht mehr viel schlimmer, nur noch besser werden kann.

R.K.

Cover: Caspar Martig für die Weltwoche

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