Weltwoche Kommentar 37/25

Kommentar

Keller-Sutter sollte sich zurückziehen

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och hat die Schweiz keine Lösung für den Zoll-Streit mit den USA. Aber immerhin unterstützten hochrangige Unternehmer den Bundesrat. Wirtschaftsminister Guy Parmelin reiste dieser Tage in die USA. Am Final des US-Open gelang Rolex-Chef Jean-Frédéric Dufour ein Coup, als er sich mit US-Präsident Trump in seiner Loge unterhalten konnte. Was die kreative Tennis-Diplomatie des Genfers bringt, ob er die Schweiz damit wieder ins Weisse Haus zurückspielt, lässt sich noch nicht sagen. Auf jeden Fall ist es äusserst erfreulich, wenn unsere erfolgreichsten Wirtschaftsleute auf höchster Ebene Kontakte knüpfen und Gespräche mit den entscheidenden Stellen führen.

Sonnenklar wird aber auch, wer die Zoll-Verhandlungen aus Schweizer Sicht in den Sand setzte und beim Versuch, die Sache wieder einzurenken, nicht mehr in Erscheinung treten darf: Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter. Die Finanzministerin sollte sich zurückziehen. Ihr Versagen ist wohl grösser als bisher angenommen. Aus bestens unterrichteten US-Quellen erfuhr die Weltwoche, Trump habe sich kürzlich wieder kopfschüttelnd über die Bundespräsidentin beschwert. Sie allein habe in jenem verhängnisvollen Telefonat Ende Juli eine sicher geglaubte Vereinbarung versenkt: «Wir hatten einen Deal, aber sie hörte mir nicht zu und wollte mir dreissigmal erklären, warum die USA angeblich keine Zölle gegenüber der Schweiz erheben dürfen.»

Das habe sich, berichten Quellen, Trump nicht bieten lassen. Auf die Forderung des amerikanischen Präsidenten, Vorschläge zur Verringerung des Schweizer Handelsüberschusses zu unterbreiten, sei «diese Lady» erst gar nicht eingetreten. Offenbar hat der US-Präsident nach wie vor ziemlich präzise Erinnerungen an das für die Schweizer Exportwirtschaft folgenreiche Telefongespräch mit Keller-Sutter. Zudem, heisst es aus den gutunterrichteten Kreisen, zeige Trump nicht die geringste Lust, sich von der Schweizer Bundespräsidentin noch einmal belehren zu lassen oder die Verhandlungen mit ihr weiterzuführen.

Das sind brisante Details. Sie widersprechen den Darstellungen, die Keller-Sutters Medien- und PR-Leute derzeit flächendeckend über die Sonntagspresse und die Boulevardmedien verbreiten. Die um ihr Image bemühte Politikerin setzt alle Hebel in Bewegung, um sich rückwirkend als Heldin, als unerschrockene Verteidigerin der Schweiz hinzustellen. Sie habe alles richtig, der US-Präsident hingegen alles falsch gemacht. Mit dem Feindbild des «unberechenbaren» Amerikaners will ihr Departement von der Tatsache ablenken, dass es niemand anderes als Keller-Sutter war, die Ende Juli die bis dahin aussichtsreichen Verhandlungsresultate auf einen Schlag zertrümmerte.

Trump zeige nicht die geringste Lust, sich von der Bundespräsidentin noch einmal belehren zu lassen.

In der Privatwirtschaft oder beim Sport würde sich jetzt die Frage eines Rücktritts stellen. Tatsächlich wirkt die Bundespräsidentin seither angeschlagen. Ihr Auftritt am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest in Mollis zeigte eine Bundesrätin, die wie auf rohen Eiern wandelte, unsicher, dünnhäutiger als sonst, mit einer Rede, die das Trauma des Trump-Telefonats in den nebelhaften Sätzen einer Selbstrechtfertigung zu verarbeiten bemüht war. Ohne ihn namentlich zu erwähnen, war der US-Präsident daueranwesend in ihrer Ansprache. Was immer das war, die Darbietung einer widerstandskräftigen Führungspersönlichkeit war es nicht.

Das eine ist es, einen Fehler zu machen. Das andere ist, ihn nicht zu verkraften. Hier rächt sich die Persönlichkeit einer zur Überempfindlichkeit neigenden Politikerin, die mit Fleiss, eiserner Disziplin und beeindruckender Entschlossenheit, was die Pflege des eigenen Ansehens angeht, das höchste Schweizer Staatsamt erreicht hat. Wäre Keller-Sutter nicht so sehr auf ihre Aussenwirkung bedacht, hätte sie womöglich das Zeug zu einer guten Bundesrätin. Doch dazu gehörte eben auch die Grösse, einen Fehler zuzugeben und die Verantwortung zu übernehmen, auch wenn dies bedeutete, das so planvoll angesteuerte Amt einem andern abzugeben.

Merkt sie es nicht selber, müssten es ihr die Vertrauten oder die Journalisten sagen. Doch Keller-Sutter hat viele Verbündete in den Medien und in der Politik, auch ausserhalb ihrer Partei. Die Journalisten haben Beisshemmung, weil sie lieber Trump die Schuld geben als der Bundesrätin. Innerhalb der SVP und in SVP-nahen Kreisen möchte man die Bundespräsidentin nicht verärgern. Man sieht in ihr eine freisinnige Komplizin im Kampf gegen den EU-Unterwerfungsvertrag. Das ist wohl auch mit ein Grund, warum SVP-Doyen Christoph Blocher vorerst die Parole ausgab, man möge aufhören, nach Schuldigen zu suchen, um stattdessen nach vorne zu schauen.

Tatsächlich ist nicht garantiert, ob Bundesratsrücktritte selbst nach einem erwiesenen Versagen etwas bringen. Es besteht keine Gewähr, dass der Nachfolger besser ist. Und auch in der Wirtschaft gibt es viele Beispiele unfähiger Manager, die trotzdem weitermachen. Dort aber müssen nur die Aktionäre und die Angestellten leiden, nicht das ganze Land. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter hat der Schweiz und ihrer Wirtschaft erheblichen Schaden zugefügt. Den Grund muss sie bei sich selber suchen. Zum Rücktritt zwingen wird sie niemand. Aber der Bundesrat muss sicherstellen, dass im Zoll-Streit mit Trump die Finanzministerin keine Rolle mehr spielt.

R.K.

Cover: Wieslaw Smetek für die Weltwoche

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