Eine wohlgeordnete Anarchie
«In der EU sind alle für alles verantwortlich
und niemand für etwas.»
Christoph Blocher
ir wünschen allen unseren Lesern einen schönen 1. August! Der Schweizer Nationalfeiertag ist ein ganz besonderes Ereignis. Besonders auch deshalb, weil wir den Geburtstag unseres Landes nicht mit Militärparaden und staatlichen Prachtentfaltungen feiern, sondern privat, im Kreis von Familie und Freunden als Bratwurstfest am Grill mit Lampions und Feuerwerk.
Nichts drückt die Eigenart der Schweiz schöner aus. Unser Staat ist von unten nach oben aufgebaut, nicht umgekehrt. Die Bürger sind der Chef, nicht die von ihnen gewählten und bezahlten Politiker. Darum ist die Schweiz auch nicht kompatibel mit der Europäischen Union. Die EU ist von oben nach unten konstruiert. Sie ist zentralistisch, nach wie vor geprägt von den obrigkeitsstaatlichen Traditionen in Europa.
Die Schweiz ist eine wohlgeordnete Anarchie. Unsere Regierung ist eigentlich keine, weil sich die Schweizer selber regieren in ihrer direkten Demokratie. Unsere Staatsform ist auf Machtzerstückelung hin angelegt – und auf das Gespräch aller mit allen über alles. «Brandmauern» sind das Gegenteil der Schweiz. Es braucht Linke und Rechte, Auswahl und Alternativen, Streit und Auseinandersetzung. Die Wahrheit gepachtet hat keiner.
Dieser 1. August fällt in eine Zeit erheblicher politischer Spannungen. Nach wie vor tobt ein Krieg in der Ukraine. Frieden wird es nur mit, nicht gegen Russland geben. Die Schweiz hat ihre Neutralität teilweise preisgegeben. Der Bundesrat wettete wohl auf einen schnellen Sieg des westlichen Blocks. Die Rückkehr zur schweizerischen Neutralität, immerwährend, bewaffnet, umfassend, bleibt das Gebot der Stunde.
Nach wie vor gross ist der Druck auf die Schweiz, sich der EU unterzuordnen. Brüssel will uns einen über 1800-seitigen Vertrag aufzwingen, den unsere Diplomatie und unser Bundesrat masochistisch als grossen Erfolg verkaufen. Allerdings regen sich immer mehr kritische Stimmen auch ausserhalb der SVP. Der Abstimmungskampf um das EU-Abkommen wird zur Mutter aller Schlachten um die Unabhängigkeit der Schweiz.
Wir feiern den Geburtstag unseres Landes nicht mit Militärparaden, sondern mit Familie und Freunden.
Täuscht der Eindruck, oder machen sich bei den Befürwortern des EU-Vertrags erste Selbstzweifel bemerkbar? Bekannte Schweizer EU-Verfechter wie der Freisinnige Simon Michel oder der Mitte-Politiker Benedikt Würth rufen dazu auf, das EU-Abkommen «kreativ» oder im Notfall gar nicht anzuwenden. So widerlegen sie sich selbst. Kein vernünftiger Mensch schliesst einen Vertrag, den er von vorneherein nicht einhalten will.
Ein grosses Missverständnis ist der Glaube, die Schweiz müsse, um wirtschaftlich erfolgreich und weltoffen zu sein, sich auswärtigen Institutionen unterwerfen. Dabei sind gerade die politische Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Schweiz die Grundlage der Weltoffenheit ihrer Wirtschaft. Politische Unabhängigkeit und wirtschaftliche Weltoffenheit sind keine Gegensätze. Das eine ist die Voraussetzung des anderen.
Die Schweiz ist ein faszinierender Sonderfall. Sie hat es geschafft, auf einem kriegerischen Kontinent von mittlerweile abgehalfterten Grossmächten nicht nur zu überleben, sondern zu prosperieren. Entscheidend war stets der Wille, die Schweiz als unabhängiges Land zu verteidigen, sich nicht hineinziehen zu lassen in die Kriege und Verwicklungen der a nderen, selber zu bestimmen, so weit wie immer möglich.
Natürlich haben unsere Unterhändler unzählige Verträge mit anderen Staaten abgeschlossen. Diese Abkommen dienten dem Ziel, den Spielraum der Schweiz zu vergrössern. Das ist der Unterschied zum vorliegenden EU-Abkommen. Es würde die Handlungsfreiheit der Schweiz beschneiden, massiv beeinträchtigen, weil wir künftig automatisch fremdes Recht übernehmen müssten, ohne frei darüber abzustimmen.
Deshalb liegen die Kritiker richtig, die in diesem EU-Vertrag eine kostspielige Unterwerfung sehen, eine Verneinung der Idee unserer schweizerischen Staatlichkeit. Nicht nur müsste die Schweiz sich fremdem Recht unterwerfen. Sie hätte sich auch fremden Richtern zu beugen. In allen Fragen, die EU-Recht betreffen, hätten EU-Richter das letzte Wort. Die Schweiz würde zur Rechtskolonie von Brüssels Gnaden.
Es ist schwer vorstellbar, dass sich die Schweizer auf einen solchen «Deal» einlassen. Zwar sind die meisten Medien und Parteien pro forma dafür, aber es fehlt die Überzeugung. Allein die Tatsache, dass die Beziehungen zur EU künftig in einer Art Konkubinatsvertrag von über 1800 Seiten (ohne Richtlinien und Vorschriften) geregelt werden müssen, lässt einen Abgrund an Komplikationen erahnen, den man lieber vermeidet.
Das Gute ist, dass uns dieser Vertrag zwingt, eine Diskussion darüber zu führen, was die Schweiz ausmacht, was unverzichtbar ist und worauf es wirklich ankommt. In welchem anderen Staat wäre so etwas überhaupt möglich? In Frankreich, in Deutschland regiert die Politik oft über die Köpfe der Bürger hinweg. Die Schweizer Volksrechte sind einzigartig. Nirgends haben die Bürger mehr, die Politiker weniger zu sagen.
Auch deshalb sind bei uns die Bruchlinien zwischen den Bürgern und der Politik früher sichtbar, früher zum Thema geworden als in anderen Staaten. Das Vorhandensein einer «politischen Klasse» mit eigenen Interessen, die oft nicht identisch sind mit den Interessen der Leute, ist keine Behauptung von Verschwörungstheoretikern, sondern eine Realität. Sie zeigt sich besonders in der EU-Frage.
Politiker schätzen die EU, weil sie dort mehr Macht und Einfluss haben. Das aber geben sie nicht zu, weil sie unsere Verfassung dazu verpflichtet, die Interessen der Bürger und nicht ihre eigenen zu pflegen. Auf die Politik ist deshalb kein Verlass. Am Ende müssen die Bürger die schweizerische Demokratie und Unabhängigkeit verteidigen. Auch das ist eine Botschaft zum 1. August, vielleicht die wichtigste
R.K.