Weltwoche Kommentar 43/25

Kommentar

Selenskyj in Hollywood

U

S-Präsident Donald Trump will seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin in Budapest zu einem neuerlichen, wenn auch aufgeschobenen Gipfel treffen. Der Zeitpunkt steht noch in der Schwebe. Leute, die mit den Hintergründen vertraut sind, sehen darin die sich bei allen Vorbehalten verdichtende Möglichkeit eines Friedens, eine Gemengelage, die eine Beendigung des Kriegs zumindest denkbarer werden lässt.

Allerdings realisieren die Amerikaner unter Trump, dass die Russen nicht nach ihrer Pfeife tanzen. Putin hat militärisch Oberwasser. Er gewinnt und will die Ukrainekrise zu seinen Forderungen lösen. Also muss er nicht um jeden Preis verhandeln. Diese für Washington frustrierende Erkenntnis dürfte hinter der vorläufigen Suspendierung des Treffens stehen. Amerika regiert die Welt nicht mehr allein. Putins Beharren ist ein Zeichen von Stärke.

Aussenpolitik muss realistisch, manche würden sagen: zynisch betrachtet werden. Aus einer Wirklichkeitsperspektive wäre mit Blick auf die Ukraine wohl Folgendes zu notieren. Erstens: Die Amerikaner haben ihre Ziele erreicht, wesentliche Interessen durchgesetzt. Die Europäer kaufen amerikanisches, nicht mehr russisches Gas. Ausserdem sind sie grosse Abnehmer amerikanischer Waffen.

Zweitens: Russlands Präsident Putin nähert sich dem Punkt, an dem seine Forderungen erfüllt werden können, ohne dass er den Krieg noch weiter eskaliert. Die Verschärfung der Bombardierungen sind der Versuch, vor einem Friedensschluss noch möglichst viel herauszuholen. Russlands Wirtschaft verkraftet den Krieg bis jetzt, erstaunlich gut sogar, aber die Probleme mehren sich. Ein Frieden böte den Fluchtweg aus Sanktionen und Isolation.

Drittens: In der Ukraine zeichnet sich ein Machtwechsel ab. Die Tage Selenskyjs scheinen gezählt. Man verhandelt offenbar an einem gesichtswahrenden Abgang. Der Präsident braucht Sicherheit und ein Auskommen. Von einer Hollywood-Verfilmung seines Lebens ist die Rede. Der Rücktransfer auf die Leinwand steht bevor. Die Tantiemen wären eine elegante Tarnung für bereits angehäufte anderweitige Vermögen.

Unter Selenskyjs möglichen Nachfolgern fällt derzeit der Name des früheren Armeekommandierenden Saluschnyj am häufigsten. Wir bewegen uns da allerdings auf dem glitschigen Terrain von Spekulationen. Das Erfreuliche: Insgesamt scheinen sich Entwicklungen zusammenzufügen, die Auswege liefern aus einem Unheil, das sich die Beteiligten, mit Ausnahme der USA, nicht leisten können.

Die Frage ist, ob der Gipfel von Budapest oder wo auch immer die Hoffnungen ähnlich enttäuscht wie das Treffen von Alaska vor einigen Monaten. Damals soll eine Einigung zwischen Russland und den USA bestanden haben, von der sich Trump dann allerdings während der Gespräche löste. Welchen Streitpunkt der Dissens betraf, wissen wir nicht, aber einen zweiten Fehlschlag wird man sich nicht leisten wollen.

Wir werden es sehen. Jedenfalls stehen die Aussichten günstiger als auch schon. Sollte der Durchbruch klappen, wäre dies nach dem fragilen Frieden in Nahost ein weiterer spektakulärer Erfolg für den amerikanischen Präsidenten. Mit dem Zuckerbrot der Diplomatie und der Peitsche seiner Macht könnte Trump nun auch hier als Friedensbringer vom Platz gehen. Der Nobelpreis wäre ihm wohl nicht zu nehmen.

Putin wiederum hätte die Chance, zur Reparierung der Beziehungen, dem US-Kollegen, der in seiner grundsätzlichen Offenheit gegenüber Russland alle Republikaner seit Abraham Lincoln in den Schatten stellt, zu dieser so heiss begehrten Trophäe zu verhelfen. Wenn den altgedienten Grossnationalisten im Kreml noch nicht alle politischen Instinkte verlassen haben, wird er sie sich nicht entgehen lassen.

Gescheitert ist die diplomatiefreie, waffenliefernde Boykott-, Dämonisierungs-, Konfrontations- und Stellvertreterkriegsstrategie der Europäischen Union. Moralisierender Dünkel, verbunden mit Rechthaberallüren, reicht einfach nicht. Versagt haben aber auch die Medien. Anstatt die sich als verfehlt erweisende Politik ihrer Staatschefs zu hinterfragen, haben sie sie bejubelt, Widerspruch verboten.

Die Stärke der Demokratie ist der friedliche Streit. Unsere Staatsform ist den autoritären Systemen überlegen, weil bei uns alles bezweifelt und zu allem nein gesagt werden darf. Im Fall Ukraine allerdings, wie zuvor bei den Themen Klima, Migration und Corona, herrschte eine selbstverschuldete Meinungseinfalt, die in der Konsequenz eine schlechte Politik hervorbrachte. Noch allerdings ist von Demut oder Selbstkritik nichts zu sehen.

Ein von den USA bewerkstelligtes Kriegsende wäre ein Segen für die Welt, vor allem für die Ukraine, aber auch für Russland und Europa. Zwar sind die europäischen Beziehungen zum Nachbarn im Osten radioaktiv verseucht. Es wird eine Zeitlang dauern, bis sie sich entkrampfen, aber wenigstens hätten wir bei einer Einigung, die nur zu den russischen Bedingungen gelingen wird, die Chance einer Besserung.

Es wäre nicht ohne Ironie, dass einmal mehr die Amerikaner, zusammen mit den verteufelten Russen, die Westeuropäer vor sich selber retten. Der Ukraine-Krieg ist für Deutschland ein besonderes Unglück, allerdings eines, in das sich die Bundesrepublik mit ihrem geltungsbedürftigen Kanzler selber stürzt. Mittlerweile liefert die Aussenpolitik willkommene Ablenkung von den drückenden heimischen Problemen.

Weder Berlin noch Paris allerdings können sich eine Fortführung dieses Kriegs leisten. Es hat etwas Gespenstisches, wenn Macron, Merz und von der Leyen mit Milliarden und Armeen für die Ukraine jonglieren, die sie gar nicht haben. Ganz abgesehen davon, dass die EU vor der Pleite steht: Wenn schon, müsste man das Geld in die eigene Infrastruktur, die Schulen, die Altersvorsorge oder die Bekämpfung des migrationsgetriebenen Verbrechens stecken.

Mit seiner Friedensdiplomatie auch gegenüber Moskau zertrümmert der amerikanische Präsident die Lebenslüge, mit Putin dürfe man nicht verhandeln, weil er ein neuer Hitler sei. Natürlich ist der Kremlherrscher kein Demokrat. Russland bleibt eine gefährliche Macht. Das aber sollte uns nicht hindern, auf der Basis einer starken militärischen Verteidigung wieder sachliche Beziehungen mit Russland aufzubauen.

R.K.

Cover: Die Weltwoche; Caspar Martig für die Weltwoche, Wikipedia

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen