Weltwoche Kommentar 27/25

Kommentar

Trumps neue Weltordnung

Wir erleben gerade eine interessante Neuausrichtung der amerikanischen Aussenpolitik.
US-Präsident Trump bricht mit dem ideologischen Ansatz der «Neocons» von Reagan bis Bush II.
Stattdessen setzt er auf eine bewaffnete Diplomatie der Stabilität und der begrenzten Ziele.
Hervorragend aufgestellt in Trumps neuer Weltordnung wäre die Schweiz.

Roger Köppel

Los Angeles, Zollikon
A

ie Welt dreht sich weiter, und die alten Gewissheiten wanken. In Washington vollzieht sich mit Donald Trumps Rückkehr ein interessanter Paradigmenwechsel, der die globale Ordnung nachhaltig verändern könnte. Oder besser gesagt: Symptom und Ausdruck dieser Veränderung bereits ist. Seine Aussenpolitik bedeutet die Abkehr vom neokonservativen Ansatz früherer Regierungen von Reagan bis BushII, ist pragmatischer, bescheidener, vernünftiger, abgezirkelt auf die Realitäten des 21. Jahrhunderts. Trump scheint nicht vorzuhaben, die Welt nach einem bestimmten ideologischen Schema umzupflügen. Stattdessen konzentriert er sich auf Diplomatie, auf die Herstellung von Gleichgewicht unter Berücksichtigung nationaler Interessen. Den Einsatz von Waffen befiehlt er dann, wenn wie im Falle des Iran ganz bestimmte, limitierte Ziele erreicht werden sollen.

Carlson und Bannon liegen falsch
Im Gespräch mit der Weltwoche erklärt der Trump-Vertraute Peter Thiel, was es damit auf sich haben könnte. Der Investor sieht in Trumps Aussenpolitik eine ganz neue, noch nicht ausreichend gewürdigte Weiterentwicklung. Man habe im Iran gesehen, dass Trump weder ins Lager der Isolationisten noch in das der Neokonservativen gehöre. Die Neocons hätten mit Blick auf Teheran den Regimewechsel gefordert, Isolationisten wie Tucker Carlson oder Steve Bannon stattdessen die totale aussenpolitische Abstinenz gepredigt. Trump habe keins von beiden getan, sondern lediglich und zu Recht das begrenzte Ziel verfolgt, die Ausbreitung von Atomwaffen im Nahen Osten durch Präzisionsangriffe auf unterirdische iranische Nuklearanlagen zu stoppen beziehungsweise zu verlangsamen. Er habe sich auch nicht voll auf die Seite Israels ziehen lassen, sondern die Angriffe auf den Iran sogleich mit dem Angebot von Diplomatie verbunden.

Wir werden das Interview in der nächsten Ausgabe drucken, und Thiel trifft einen Punkt. Die Ära der Neocons war die Zeit einer gewissen ideologischen Überheblichkeit, geboren aus dem Hochgefühl amerikanischer Hegemonialmacht nach dem Sieg im Kalten Krieg. «Nation Building» lautete damals die Devise. Die Welt sollte nach dem Vorbild der USA umgestaltet werden. Diese Vision zerschellte an der Wirklichkeit. Der Irakkrieg, Afghanistan, Libyen – diese Debakel haben gezeigt, dass westliche Werte nicht mit Drohnen exportiert werden können. Peter Thiel, der visionäre Investor, drückt es kritisch aus: Die Neocons waren «verrückte Ideologen», deren «wahnwitzige Ziele», von Geschlechtsumwandlungen in Kabul bis zur Neuordnung des Nahen Ostens, in Chaos und Desillusion mündeten

Weder Hybris noch Isolationismus
Trump bricht mit dieser Hybris. Seine Aussenpolitik ist allerdings kein Rückzug ins isolationistische Klein-Klein, wie viele Kritiker bemängeln, sondern eher ein Balanceakt zwischen Engagement und Zurückhaltung. Er redet mit allen – von Nordkorea bis Russland und China. Auch Thiel lobt den Pragmatismus des Anti-Ideologen Trump: «Er nimmt es von Fall zu Fall.» Das sei kein Mangel an Vision, sondern ein Zeichen von Stärke in einer multipolaren Welt, die keine ausschweifenden hegemonialen Alleingänge mehr dulde.

Peter Thiel lobt den Pragmatismus des Anti-Ideologen Trump: «Er nimmt es von Fall zu Fall.»

Hinter Trumps Politik steckt eine unausgesprochene Einsicht: Die USA können und wollen nicht länger der alleinige Weltpolizist sein. Die unipolare Ära, die nach dem Kalten Krieg begann, ist zu Ende. China, Russland, Indien und andere fordern ihren Platz ein, und die westliche Dominanz schwindet. Thiel sieht China als die wahre Herausforderung – nicht wegen einer exportierten Ideologie wie einst die Sowjetunion, sondern wegen seiner wirtschaftlichen und industriellen Übermacht. Die USA handeln strategisch, durch Zölle und die Verlagerung von Produktion, um China zu kontern. Doch anders als die Neocons, die globale Konflikte schürten, setzt Trump auf Kooperation und Verhandlung, um regionale Stabilität zu fördern, ohne ganze Länder zu besetzen.

Abkehr von der Hegemonie
Diese Abkehr von der Hegemonialrolle ist weniger Zeichen von Schwäche als Ausdruck von Realismus. Die USA dominieren weiterhin militärisch, finanziell und kulturell, doch sie können es sich nicht leisten, in jedem Winkel der Welt alle Feuer zu löschen, die sie oft auch selber entfacht haben. Trump erkennt, dass die Verhinderung der Verbreitung von Nuklearwaffen – etwa im Iran – wichtiger ist als der Export liberaler Dogmen. Seine Rede in Riad 2017 war ein Wendepunkt: Kein «Nation Building» mehr, sondern Respekt vor der Eigenständigkeit anderer Gesellschaften. Dieses Modell könnte auch im Ukraine-Konflikt greifen, wo Thiel einen Kompromiss mit einem Nato-Osterweiterungsverbot vorschlägt – ein pragmatischer Schritt, um Eskalation zu vermeiden, ohne Schwäche zu signalisieren. Trumps Aussenpolitik ist bescheidener, weil sie die Grenzen amerikanischer Macht anerkennt. Thiel betont, dass die USA nicht «ferngesteuert» von Israel oder anderen agieren sollten, sondern ihre Interessen klar definieren müssen. Seine Zölle, weltweit kritisiert, sind kein blosser Protektionismus, sondern ein Instrument, um Produktion aus China zu verlagern und den «Swing States» im Mittleren Westen wirtschaftliche Perspektiven zu geben. Diese Politik ist innen- und aussenpolitisch verknüpft: Sie sichert Wählerstimmen und stärkt die geopolitische Position der USA.

Mit allen reden, auch mit den Bösen
Bescheidenheit zeigt sich auch in Trumps Dialogbereitschaft. Seine Gespräche mit Nordkorea, die Hardliner wie John Bolton erzürnten, sind ein Beweis für Mut, nicht für Naivität. Thiel fragt: «Warum nicht reden, wenn alles andere gescheitert ist?» Diese Offenheit unterscheidet Trump von seinen Vorgängern, die in ideologischen Scheuklappen gefangen waren. Selbst im Ukraine-Krieg, wo die Biden-Administration jeglichen Kontakt zu Russland verweigerte, könnte Trumps Ansatz neue Wege eröffnen. Thiel kritisiert die Nato-Osterweiterung als «dürftig durchdacht» – ein Punkt, der in Europa selten diskutiert wird, aber zeigt, wie sehr ideologische Verblendung Konflikte verschärft.

Seine Rede in Riad 2017 war ein Wendepunkt: Kein «Nation Building» mehr.

Doch Trumps Aussenpolitik ist mehr als Pragmatismus. Sie ist ein Aufstand gegen Tendenzen des politischen Internationalismus, der Vereinheitlichung, des globalen Einheitsstaats, den Thiel als die grösste Bedrohung sieht. Dieser totalitäre Konformismus, getrieben von Technologie, Überwachung und scheinbar humanitären Ideologien, droht die Vielfalt der Welt zu ersticken. Trump, mit seiner unkonventionellen, anti-ideologischen Haltung, ist ein Gegengewicht zu dieser antifreiheitlichen Homogenität. Seine Politik stärkt nationale Souveränität – nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, wo Politiker wie Viktor Orbán als Bannerträger dieser neuen Widerstandsbewegung gelten können. Auch die Weltwoche warnt vor der Gefahr des politischen Jetset-Syndroms, des Internationalismus grossräumiger Bürokratien, der Herrschaft einer sich über Landesgrenzen und die Demokratie hinweg verfilzenden Classe politique. Sie bedroht Vielfalt und Freiheit. Trumps Aussenpolitik ist ein Signal, dass nationale Interessen und pragmatische Kooperation Vorrang vor weltumspannenden Utopien haben müssen. Europa, insbesondere Deutschland unter Friedrich Merz, könnte davon lernen. Statt sich der EU-Bürokratie oder einer «woken» Zuwanderungspolitik zu unterwerfen, wäre Trumps Beispiel zu folgen: mutig, aber angemessen handeln, ohne die eigene Identität aufzugeben.

Seine Politik stärkt nationale Souveränität – auch in Europa: Donald Trump.

Hoffnungsschimmer
Trumps Aussenpolitik ist kein Allheilmittel, aber ein Hoffnungsschimmer in einer Welt, die zwischen Chaos und Konformismus schwankt. Sie ist bescheidener, realistischer und couragierter als die ideologischen Eskapaden seiner Vorgänger. «America first»: Dahinter steckt die Absage an den globalen Einheitsstaat, an den Glauben, dass mehr Gleichschaltung über grosse Räume automatisch mehr Frieden und Wohlstand bringe. Wie kann man in einer Welt der Unterschiede eine stabile Ordnung schaffen? Auf diese Frage gibt Trump eine neue, interessante und nach heutigem Stand durchaus vielversprechende Antwort. Jedenfalls arbeitet seine Regierung nicht daran, die Unterschiede gewaltsam einzuebnen nach dem neokonservativen Rezeptbuch, sondern allen Sonderwegen ihr Eigenrecht zu lassen, solange sie nicht die allgemeine Stabilität bedrohen.

Trump, mit seiner unkonventionellen Haltung, ist ein Gegengewicht zur antifreiheitlichen Homogenität.

Erleben wir hier gerade die Rückkehr zum aussenpolitischen Realismus und damit die Verabschiedung jener hoch ideologischen Gesinnungspolitik, die allerdings in der EU nach wie vor den Ton bestimmt? Es wäre zu hoffen. Leider scheint die Schweizer Aussenpolitik diesen Wandel zu verschlafen. Aussenminister Cassis ist viel zu sehr auf die EU und zu wenig auf die Welt fixiert. Seine engmaschige Politik der Anbiederung an Brüssel verkennt den Wert der Neutralität für eine Schweiz in einer Welt der wieder vielfältigen Machtzentren. Noch ist es nicht zu spät. Es häufen sich Indizien, dass Bundesbern erwacht, seine Irrtümer durchschaut. Die Schweiz wäre von ihren Voraussetzungen her optimal aufgestellt. Nüchtern, neutral und weltoffen: Das sind die drei Adjektive, die unsere Aussenpolitik in Zukunft wieder stärker charakterisieren sollten.

R.K.

Bild: Mark Schiefelbein/AP Photo/Keystone; Cartoon: Kai Felmy

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