Weltwoche Kommentar 20/23

Kommentar

Es kommt gut

G

laube ich an Gott? Hauptsache, er glaubtan mich. Viele Christen sehen das anders. Sie meinen, wir müssen uns abstrampeln, häufig in die Kirche gehen, ein gottgefälliges Leben führen – so als ob wir jemals wissen könnten, was Gott, wie wir in Ermangelung eines besseren Ausdrucks den Allmächtigen nennen, will. Im Wunsch, Gott zu gefallen, steckt bereits der Wunsch, ihn zu vereinnahmen.

Das aber, sage ich als Nicht-Theologe, ist logisch unmöglich. Gott ist allmächtig – und damit unbestechlich. Wie kann Gott allmächtig sein, wenn wir ihm durch unsere Handlungen gefallen, ihn auf unsere Seite ziehen, ihn durch Menschenwerk zum Erfüller unserer Wünsche machen könnten? Gott ist kein Handlanger. Gott ist Gott. Allgegenwärtig, aber für uns Menschen unverfügbar.

Jahrhundertelang, eigentlich noch immer, haben die Menschen Gott vereinnahmt, missbraucht, ihn für ihre Zwecke eingespannt als Diener, als Sklave, als Erfüllungsgehilfe ihrer Ambitionen. Gott war käuflich. Er salbte Schwerter, heiligte Kriege, adelte die «Guten», vertilgte die «Bösen». Im Namen Gottes verhökerten die Kirchen einst das Seelenheil.
Mutige «Protestanten» protestierten gegen den Aberglauben. Sie öffneten den Gläubigen die Augen und entlarvten die Kleriker als Heuchler, die von Gott reden, aber sich selber meinen. Das war der Befreiungsschlag der Reformation, der dann auch den Katholiken half, den falschen Glauben abzulegen. Christentum bedeutet seither: Misstraue jedem, der sich für Gott hält.

Heute ist Gott etwas ausser Mode geraten, aber noch nie gab es so viele Menschen, die sich an seine Stelle setzen wollen, die ihre Vorstellungen und Meinungen, ihre «Werte» und Interessen über alles andere stellen, die sich berechtigt und ermächtigt fühlen, auf an­dere herabzublicken wie einst die Ablasshändler und die Kirchenbonzen, die Gott benutzten, um die Menschen einzuschüchtern.

Gute Menschen tun Gutes. Gutmenschen benutzen Gutes, um nur gut zu scheinen. Es geht ihnen nicht darum, Konkretes zu bewirken. Es geht ihnen um ihr Ansehen, um die Macht. Ihr Erfolg ist erstaunlich.

Im Wunsch, Gott zu gefallen, steckt bereits der Wunsch, ihn zu vereinnahmen.

Die Medien hofieren sie, in der Politik geniessen sie Ansehen. Ihr gottloses Frömmlertum wirkt für viele oberflächlich überzeugend. Meistens reden sie süsslich, heucheln Toleranz.

H

ütet euch vor den Gutmenschen! Früher bedienten sie die Folterwerkzeuge der Inquisition. Heute arbeiten sie mit den verfeinerten Instrumenten der Anschwärzung, der Ausgrenzung, der sozialen Exekution. Ihr Scheiterhaufen ist die politische Korrektheit. Ihre Macht liegt in der Eitelkeit ihrer Opfer, die den Heuchlern gefallen wollen – wie einst die falsch gewickelten Christen dem lieben Gott.

Der Mensch giert nach Anerkennung – und nach Rechtfertigung. Ich verstehe das Christentum so, die Vorstellung eines dem Menschen zugewandten, aber nicht instrumentalisierbaren Gottes, dass wir mit der Geburt bereits erlöst sind. Die Recht fertigung ist die Ur­tatsache unserer Existenz – beglaubigt durch das Wundergeschenk des Lebens, das wir ohne jegliches Zutun unverdient bekommen haben.

Wir brauchen keine Moralindealer oder Absolutionsverkäufer. Jeder Mensch kommt in den Himmel, zurück ins Paradies, Asche zu Asche, Erde zu Erde, Staub zu Staub, egal, was er in seinem Leben anstellt. Ich höre schon den Aufschrei! Was aber unterscheidet mich dann noch von einem Dschingis Khan? Vielleicht nur dies: dass ich niemals den Verführungen einer solchen Macht erliegen konnte.

Hier liegt die wahre Sprengkraft, die Erschütterung der christlichen Lehre: Sie befreit uns von den Anmassungen unserer Moral, von der Überheblichkeit, wir seien etwas Besseres und befugt, moralisch über andere zu richten. Christlich ist gerade nicht, sich im Besitz einer höheren Moral zu wissen, sondern tröstliche Verunsicherung, Demut: Wir sitzen alle zusammen in der gleichen Tinte.

Übung abgebrochen! Hört auf, nach moralischer Rechtfertigung zu streben. Bildet euch nichts ein. Haltet euch von den Heuchlern fern, die von ihren flachen Anhöhen herabpredigen. Richtet den Blick nach vorn, schielt weder links noch rechts darauf, was andere machen. Schaut höchstens ab und zu nach oben. Dort sitzt die rätselhafte Macht, der wir alles, was wir sind, verdanken.

E

s kommt gut. Aber Christen leben gefährlich. Kein Wunder, werden sie verfolgt. Menschen haben es nicht gern, wenn man ihnen das Podest wegnimmt, auf das sie sich über andere stellen. Das Gefühl, zu den absolut Guten zu gehören, ist eine der mächtigsten Drogen, und der Entzug tut weh. Die christliche Lehre ernüchtert, macht bescheiden. Frohe Auffahrt!

R.K.

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