Weltwoche Kommentar 49/21

Kommentar

Zum Leben gehört der Tod

D

ie Corona-Politik des Bundesrats ist eine Zumutung für die Schweiz. Sie ist ein Übergriff. Sie verstösst gegen verfassungsmässige Freiheiten. Ja, sie ist demokratisch beglaubigt nach der letzten Volksabstimmung, aber was soll man von einer Beglaubigung halten, wenn sie erwirkt wird mit der drohenden Corona-Peitsche, die jeden vom sozialen Leben ausschliesst, der sich den Verfügungen von oben verweigert.

Zuerst die Tatsachen: Gegen 11 000 Menschen sind bisher an oder mit Corona in der Schweiz gestorben. Rund 98 Prozent litten an mindestens einer schweren Vorerkrankung. Eine Übersterblichkeit bei den unter 65-Jährigen hatten wir so gut wie nie. Seit Anbeginn schwankt das Medianalter der Verstorbenen zwischen 83 und 89 Jahren. Derzeit liegt es bei 85 Jahren. Die durchschnittliche Lebenserwartung in der Schweiz ist 83.

Ich sage den Satz, den im Bundeshaus keiner mehr sagen darf: Freunde, es kann vorkommen, dass ein Mensch im Alter von 83 oder 89 Jahren stirbt. Nein, Corona betrifft uns nicht alle gleich. Es gibt Menschen, die müssen mehr aufpassen als andere. Das Virus ist ungerecht, aber es ist auch ungerecht, Ungleiches gleich und Gleiches ungleich zu behandeln.

Niemand spricht es aus, aber es bleibt wahr: Menschen sind sterblich, sie enden, es geht nicht ewig weiter. Der Tod gehört zum Leben wie Krankheit und Geburt. Sterben ist unausweichlich, und manchmal ist der Tod eine Erlösung. Als eine Solothurner Ärztin diese Selbstverständlichkeit von sich gab, zündeten sie auf Twitter einen Scheiterhaufen für sie an.

Und noch eine Weisheit, die es derzeit schwer hat: Der Sinn des Lebens ist nicht das Überleben, die schiere Existenz, sondern das richtige, das volle Leben mit all seinen Freuden, Risiken und Gefahren. Wie sagte Snoopy einst zu Charlie Brown: «Eines Tages werden wir alle sterben. Aber an allen anderen Tagen leben wir.»

Unser grösstes Problem ist nicht Corona, unser grösstes Problem sind wir selbst. Wir haben verlernt, darüber zu sprechen, dass der Tod dazugehört.

Das wirksamste Instrument des Despoten ist die Angst. Panik ist der Treibstoff jeder Diktatur. Angst produziert Hass, und der Hass lässt sich leicht auf Sündenböcke, auf Minderheiten lenken. Heute sind die Ungeimpften dran, schuld an allem, an der Pandemie, an den Einschränkungen, an den Kranken, an den Toten; Aussätzige, Pestverbreiter.

«Eines Tages werden wir alle sterben. Aber an allen anderen Tagen leben wir.»

Gegenfrage: Für wen eigentlich stellen die Ungeimpften eine Gefahr dar? Für die Geimpften? Aber die sind doch geimpft, sicher vor Tod und schweren Verläufen, wie uns die Wissenschaft erzählt. Jeder, der will, kann sich heute schützen, kann sich impfen lassen, eine Maske tragen, Abstand halten, vorsichtig sein. Warum muss ich aussperren, was mich nicht bedroht?

Gibt es einen Grund, den Leuten das Leben zu verbieten?

Aber der Ungeimpfte gefährdet doch sich selbst – und andere Ungeimpfte!

Seit wann ist es Aufgabe des Staates, die Bürger vor sich selbst zu schützen?

Aber die Spitäler sind doch überfüllt, Pfleger leiden, Ärzte müssen schwere Entscheidungen treffen!

Ja, stimmt. Seit Jahrtausenden entscheiden Ärzte über Leben oder Tod.

Eigenverantwortung, das war einmal. Heute trägt für alles die Verantwortung der Staat. Unsere Gesundheit, unsere Körper gehören den Behörden. Wir brauchen ein Zertifikat, die Erlaubnis der Regierung, wenn wir ein Restaurant betreten wollen.

Die Mehrheit hat die Nase voll. Man will, dass es endlich aufhört. Der Täter gibt den Wohltäter, die Regierenden spielen Samariter. Wer sich den staatlichen Diktaten fügt, ist frei. Die Nötigung wirkt. Wer mag noch Widerstand leisten? Zu mühsam. Bequemer ist, man fügt sich, macht halt mit, ohne Überzeugung, viele aus Resignation.

Nur eine Partei hatte im Schweizer Parlament die Kraft, gegen die Corona-Willkür aufzustehen. Traurig. Als die SVP diese Woche die Aufhebung des Ausnahmezustands forderte, zerschellte sie am Hartbeton der Mehrheit, von FDP bis ganz weit links.

Ist die Wirklichkeit tabu? Eine Politik der Angst regiert. «Wir sind immer ziemlich faktenfrei unterwegs», sagt einer, der am Bundesrat ganz nahe dran ist. Werden wir in dieser Pandemie eigentlich für dumm verkauft? Lassen wir uns für dumm verkaufen? Solche Fragen waren früher leichter zu verscheuchen.

R.K.

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