Weltwoche Kommentar 7/22

Kommentar

Der Bundesrat verheizt sich

S

chwarzer Sonntag für den Bundesrat.»

«Drei Ohrfeigen für den Bundesrat.»
«Der Bundesrat verliert, verliert, verliert.»
«Bundesrat an der Urne erneut gescheitert.»
«Niederlagenserie für den Bundesrat.»
«Warum versenkt das Volk so viele Vorlagen von Bundesrat und Parlament?»

Ja, warum eigentlich?

Die Antwort ist ganz einfach, aber lustigerweise ist noch keiner darauf gekommen: Der Bundesrat verliert, weil er mitkämpft. Wer sich ins politische Getümmel wirft, einsteigt, Partei ergreift, gewinnen will, kann verlieren. So ist das in der direkten Demokratie. Nur in Monarchien, Diktaturen oder repräsentativen Demokratien setzen die Regierungen ihren Willen meistens durch. In der Schweiz ist es anders. Der Chef ist das Volk, nicht der politische Apparat in Bern. Gut so.

Es erscheinen jetzt ellenlange Abhandlungen und Analysen, die herauszufinden versuchen, warum der Bundesrat «out of touch» ist, neben den Schuhen, in abgesägten Hosen dasteht, das Gespür fürs Volk einmal mehr verloren hat. Es gibt viele interessante Hypothesen und Deutungen. Nur die entscheidende Frage stellt niemand, auch die Politiker und Politologen nicht, die jetzt wie ratlose Ärzte neben dem Leichnam ihres Patienten stehen.

Ist es überhaupt richtig, dass sich der Bundesrat mit voller Wucht ins Kampfgeschehen stürzt? Wäre es nicht viel besser, klüger, vernünftiger und vor allem im ursprünglichen Sinn unserer Bundesverfassung, wenn sich der Bundesrat aus allen innenpolitischen Kämpfen und Schlachten konsequent heraushielte, bei Abstimmungen und Wahlen einfach schweigen würde, das Volk ungestört entscheiden liesse?

Die Antwort lautet: ja.

D

er Bundesrat ist die «oberste ausführende und leitende Behörde» der Schweiz. Sein Auftrag besteht darin, erstens, die immer grösser und mächtiger werdende Verwaltung zu leiten, sprich: in Schach zu halten, und, zweitens, den Willen des Souveräns – das sind Volk und Stände – auszuführen. Nirgends in der Verfassung oder in anderen Regelwerken unseres Staates steht, der Bundesrat solle aktiver Gestalter der innenpolitischen Willensbildung sein, eine Art Partei.

Leider ist sich der Bundesrat in den letzten Jahren und Jahrzehnten etwas abhandengekommen, hat er sich hinein- und herunterziehen lassen in die Schützengräben der Politik, hat er die Aufgabe der Parteien an sich gerissen, sich auch zuschieben lassen, angestachelt von den Medien, verführt durch das Ecstasy der Aufmerksamkeit, dabei die Gewaltenteilung ritzend, denn wer den Volkswillen ausführen muss, sollte ihn nicht von oben bilden, gestalten, erzwingen wollen.

Bundesräte sind keine Grenadiere der Innenpolitik. Sie stehen über den Schlachten der Parteien.

Legionen von PR-Beratern, Demoskopen und Meinungsmasseuren arbeiten heute in Bern, um dem Volk die Weisheiten der Regierung einzuträufeln, eine Millionenbranche auf Kosten des Steuerzahlers, so teuer wie erfolglos, siehe nur das letzte Wochenende. Der Bundesrat sollte seine Propagandaabteilungen umgehend entlassen und sich zurückbesinnen auf den ihm zugedachten Auftrag, die Volksentscheide umzusetzen, die Volk und Parteien untereinander ausgefochten haben.

Damit liesse sich übrigens auch in Lichtgeschwindigkeit das beschädigte Prestige reparieren, das unsere Regierung aus all den verlorenen, sinnlosen Abstimmungskämpfen davongetragen hat. Die Genialität der Schweiz liegt doch darin, dass sich die Schweizer selber regieren. Darum haben sie sich eine schwache, für die Bürger ungefährliche Regierung gegeben, zu der sie aber trotzdem mit Respekt aufschauen können, vorausgesetzt, diese Regierung verheizt sich nicht selber im politischen Nahkampf.

Umgekehrt: Die Parteien und Politiker, die sich jetzt als besonders eloquente Deuter der bundesrätlichen Serienniederlagen aufplustern dürfen, kommen in den Medien viel zu gut weg. Bundesräte sollten die Kämpfe im Innern ausnahmslos den Parteien überlassen. Anstatt die Rollenvermischung zu kritisieren, heizen die Journalisten sie noch an. Bundesräte, die sich weigern, in einer TV-«Arena» aufzutreten, werden als «Arbeitsverweigerer» verspottet, dabei sind sie Vorbilder.

V

iele haben es vergessen: Die institutionell gewollte Schwäche unseres Bundesrats wäre seine grösste heimliche Stärke. Hält er sich heraus, gewinnt er immer, weil er nie verliert. Das Charisma unserer Bundesräte ist dann am grössten, wenn man sie nicht sieht, die glorreichen Sieben, bestaunt, beraunt, gut versteckt hinter dem Rätsel ihrer geschichtsumwitterten Kollegialbehörde, Indianerhäuptlinge, fast magisch respektiert, aber nur solange sie ihr Zelt nie verlassen.

Ja, der letzte Sonntag war eine Ohrfeige, aber vielleicht eine heilsame. Irgendwann müssen es auch die Mitglieder unserer Regierung merken, dass sich die fruchtlosen Kämpfe nicht lohnen. Bundesräte sind keine Grenadiere der Innenpolitik. Sie stehen für die ganze Schweiz und damit über den Schlachten der Parteien. Die Kraft, die sie seit Jahren im Innern verschwenden, könnten sie sich sparen, um unser Land dafür nach aussen kämpferischer zu vertreten.

R.K.

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