Weltwoche Kommentar 50/22

Kommentar

Korrupte EU, unabhängige Schweiz

D

ie Schweizer EU-Turbos sind merkwürdig still über den krassen Korruptionsfall um die Vizepräsidentin des EU-Parlaments und ihren glamourösen Lebenspartner, einen Italiener, der am liebsten auf Luxusjachten mit einer verspiegelten Sonnenbrille posierte. Auch die Linke, sonst mit aufgepflanzten Bajonetten hinter allem her, was nach Geld und Luxus riecht, hüllt sich in weihnachtliches Schweigen.

Klar. Noch gilt die Unschuldsvermutung, doch es steigen üble Dämpfe über Brüssel auf. Die Angeschuldigten sollen von Katar «Koffer voller Geld» genommen haben. Beteiligt sind vor allem Politiker der Linken, klassische Weltbeglücker und Gutmenschen, die sich selber für etwas Besseres halten, von ihren Kanzeln auf die Welt herabpredigend, der Korruption überall den Kampf ansagen, ausser bei sich selbst.

Es ist das klassische Szenario. Dort, wo die Hochmoral am hellsten strahlt, versteckt sich oft der meiste Dreck. Hütet euch vor den Frommen, lautet eine alte Bauernregel, wobei damit nicht die ehrlich Gläubigen gemeint sind, sondern die Heuchler, die mit seligem Blick und süsslich verständnisvoll klingender Stimme im Herabsetzen aller anderen ihre eigene angebliche Gutheit inszenieren.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reagierte auf den jüngsten Korruptionsfall mit der Forderung nach einer Ethikkommission. Die Deutsche steht selber im Visier der Korruptionsjäger, seit sie per SMS Milliarden für Corona-Impfungen verschob. Ihr Ehemann soll von EU-Subventionen profitiert haben. Wenn es in der EU Ethik-Nachhilfe braucht, damit die Abgeordneten lernen, dass man sich nicht schmieren lassen darf, kann man die EU eigentlich schon jetzt auflösen.

Dass die Schweizer EU-Enthusiasten und auch die Medien merkwürdig verhalten über diesen Fall berichten, hat damit zu tun, dass sie seit Jahren den engeren Anschluss der Schweiz an diese korrupte Konstruktion einfordern, die institutionelle Anbindung, sprich Unterwerfung unter die EU, ihre Gesetze, ihre Richter und Sanktionen. Ihr Ansinnen rechtfertigen sie damit, dass die EU nicht nur wirtschaftliche Vorteile bringe, sondern auch rechtsstaatlich ein Gebilde höherer Ordnung sei.

Die moralische Verklärung der EU als Friedensprojekt und überstaatliche Detox- Therapie gegen das Gift des Nationalismus ist sicher auch ein Grund dafür, dass sich Korruption und Heuchelei ausgerechnet dort ausbreiten. Ein anderer Grund liegt in der undemokratischen Struktur. In der EU können sich die Bürokraten und Politiker trotz scheintransparenten Glasfassaden besonders gut verstecken, weil niemand sagen kann, wer für was genau verantwortlich ist.

Korruption ist nicht immer, aber oft das Symptom institutioneller Defekte. In der direkten Demokratie haben es die Politiker schwerer, die Bürger zu täuschen und zu betrügen, ganz einfach deshalb, weil die Bürger zu nahe dran sind und am Ende selber entscheiden können. Die EU ist nur auf dem Papier eine Demokratie. In der Praxis ist sie abgehoben, bürgerfern; undurchsichtige Entscheidungswege mit nebligen Zuständigkeiten; Brutkasten der Korruption.

In Europa mehren sich die Zweifel, ob die EU in ihrer heutigen institutionellen Verfassung überleben kann. Man findet kaum einen Deutschen ausserhalb der geschützten Werkstätten der Politik, der Think-Tanks oder der Universitäten, dem beim Wort EU die Augen glänzen. Die Europäische Union ist für viele längst Synonym für Asylchaos, Massenzuwanderung, Inflation, Energiekrise, Rezession, überbezahlte Politiker, Korruption. Immer mehr Europäer trauen der EU immer weniger zu.

Fast schon wieder bewundernswert hingegen ist das einschüchternde Selbstvertrauen, mit dem sich EU-Vertreter gerade in der Schweiz trotz den offenkundigen Mängeln der von ihnen vertretenen Organisation immer wieder in Pose werfen, sich aufspreizen, anmassen, den Schweizern zu erklären, wie sie sich bei Volksabstimmungen zu verhalten haben, obwohl diese falschen Prediger bei sich zu Hause das Wort Volksabstimmung oft nicht einmal vom Hörensagen kennen.

Ein EU-Botschafter wollte die Schweiz einmal wütend auf die Speisekarte setzen, weil sie sich den institutionellen Forderungen der EU verweigert. Moralismus macht blind. Und frech. Und Politiker, die glauben, das Gute gepachtet zu haben, haben eine Neigung, ihre Moral über Recht und Gesetz zu stellen. Der Korruptionsfall um die mutmasslichen Schmiergelder aus Katar ist auch eine platzende Eiterbeule nicht nur institutioneller, sondern auch mentaler Fehleinstellungen der Europäischen Union.

Die Schweizer EU-Enthusiasten aber schweigen, und die Medien spielen den Fall nach Kräften herunter. Die Euro-Ideologen wollen sich ihr Sehnsuchtsobjekt auch durch die Wirklichkeit nicht nehmen lassen. Auch das wäre mal eine politpsychologische Untersuchung wert. Für nicht wenige Schweizer ist die EU eine Art Medikament gegen das «Unbehagen im Kleinstaat », das Leiden an der angeblich zu kleinen, politisch unbedeutenden Schweiz.

S

ie sehnen sich nach den roten Teppichen und grossen Bühnen, den schönen Bildern, auf denen Politiker sich die Hände geben im Rausch der eingebildeten Grösse. Andere haben erkannt, dass in der EU die Politiker viel mehr und die Bürger fast überhaupt nichts mehr zu sagen haben. Nüchtern betrachtet, ist es Unsinn, die funktionierende, sturmgeprüfte Schweiz an eine korrupte EU anzudocken, die ihre Institutionen, ihre Grenzen und ihre Verfassung noch nicht gefunden hat.

R.K.

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