Welt in Gefahr
er Krieg in der Ukraine dauert an. Die Russen marschieren. Im Nordosten dürfte der strategische Knotenpunkt Bachmut bald fallen. Gegen den Rat der Amerikaner pumpen die Ukrainer dort immer neue Kräfte rein. Der Verlust an Menschenleben und Material ist dramatisch.
Nach den glorreichen Offensiv-Erfolgen der Ukraine im letzten Herbst droht sich nun das Blatt zugunsten der massiv überlegenen Russen zu wenden. Sie rücken voran, unerbittlich, lernfähig, bedacht, die eigenen Kräfte zu schonen. Der ukrainische Verteidigungsriegel beim Donbass könnte fallen.
Im Süden bei Saporischschja spekulieren Experten aufgrund von russischen Vorstössen über eine grosse Frühlingsoffensive Moskaus. Die Behauptungen amerikanischer Generäle, die Russen seien militärisch geschlagen, haben sich als falsch erwiesen. Wunschdenken.
Deutschland rutscht immer tiefer in den Krieg. Am Anfang wollte man nur Helme liefern. Jetzt rollen wieder, achtzig Jahre nach Stalingrad, deutsche Panzer in Richtung Russland. Bereits wird der Ruf nach deutschen Kampfjets laut. Die Russen werden sich fragen: Ist das der Dank dafür, dass die Sowjets friedlich aus der DDR abgezogen sind und den Deutschen die Wiedervereinigung geschenkt haben?
Ausgerechnet aus den USA erschallen Friedensrufe. Die «falkige», Pentagon-nahe Rand Corporation rät in einer neuen Studie zu Verhandlungen mit Russland, ein langer Krieg sei Gift für die Interessen Amerikas; eine neutrale, Nato-freie Ukraine das Ziel. Der eigentliche Feind heisse China, auch eine Supermacht dürfe ihre Kräfte nicht verzetteln.
Nein, die amerikanischen Strategen haben nicht über Nacht zu Friedenstauben mutiert. Aber sie sehen vielleicht, dass weder die USA noch ihre Verbündeten zu einem langen Krieg mit Russland in der Lage sind. Die Waffenarsenale leeren sich rasant, während die Russen, nach Anfangsproblemen vom Westen unterschätzt, bis an die Zähne bewaffnet, ihre Produktion hochtreiben. Die Sanktionen treffen Europa härter. Politisch ist Russland alles andere als isoliert.
Europas Politiker tanzen den Apocalypso auf einem bereits Feuer speienden Vulkan. Sie glauben, dass ein paar Dutzend Panzer den Krieg noch wenden werden. «Wir schaffen das!» Treuherzig verkünden sie, niemals werde es die Atommacht Russland wagen, ihre nuklearen Waffen einzusetzen. US-Strategen und Nobelpreisträger hingegen warnen vor einem atomaren Inferno. Mit jedem Tag, mit jeder Eskalation werde das Risiko grösser.
Die Welt ist an einem brandgefährlichen Punkt. Anders als im Kalten Krieg ist das Vertrauen zwischen den Grossmächten komplett zerstört. Deutschlands Ex-Kanzlerin Merkel hat zugegeben, dass man die Russen mit den Minsker Abkommen hinters Licht führen und niemals einen stabilen Frieden wollte. Mit dem Teufel Putin, hetzen Politik und Medien, dürfe man sich niemals mehr an einen Tisch setzen.
Besonders schrill fordern die baltischen Staaten und Polen den endgültigen K.-o.-Schlag gegen Russland. Wahnsinn, aber verständlich angesichts ihrer historischen Erfahrungen. Sie spüren, dass die Amerikaner die Lust an diesem Krieg verlieren könnten. Jetzt oder nie. Vor allem Deutschland steht unter Druck. Kanzler Scholz sieht die Gefahr, hat aber nicht Kraft, die Kriegstreiber zurückzubinden.
Doch selbst wenn der Westen es schaffen sollte, aus dem Ukraine-Debakel auszusteigen: Die nächsten Kriege kündigen sich schon an. Ein USGeneral prognostizierte in einem vielbeachteten Interview schon vor zwei Jahren wegen Taiwan einen Krieg mit China. Washington relativierte sogleich, doch in Peking kam die Botschaft an. Das Bündnis mit Russland dürfte enger werden.
Wo ist die Friedensbewegung geblieben? Gibt es keine Realisten mehr? In Europa hält nur ein Politiker dagegen, Viktor Orbán, Ungarns Churchill, Hassfigur der Gutmenschen, die nur gut scheinen wollen, aber niemals Gutes tun. Die USA sind heillos überdehnt. Sie führen Kriege gegen Russland, den Iran, bald China. Ist Taiwan einen Weltuntergang wert? Solche Fragen gelten inzwischen als ketzerisch. Kritisches Denken steht unter Verdacht. Auch deshalb ist die Lage so verfahren.
Vielleicht kann ein Blick in die Geschichtsbücher helfen. Ende der sechziger, zu Beginn der siebziger Jahre steckten die USA in ähnlichen Problemen. Die Wirtschaft stockte, Inflation, in Fernost tobte das Vietnam-Debakel. In dieser Mehrfach-Krise, mitten im Kalten Krieg, hatte Präsident Nixon die Kraft und die Grösse, über die Schützengräben hinauszudenken.
Der bis heute unterschätzte, tragische Republikaner, Kommunistenfresser alter Schule, aber auch Weltkriegsteilnehmer, schickte seinen Sicherheitsberater Henry Kissinger nach Peking, um dort Beziehungen zu Mao einzufädeln, Frieden und Entspannung. Nixon setzte auf Realismus, nicht auf Moralismus. Sonst hätte er die Hand des Massenmörders Mao niemals schütteln dürfen.
Aber genau dies nahm er auf sich. Zum Wohl der Welt. Nicht viel später stürzte der kommunistische Block. China öffnete sich. In Russland kam ein gewisser Wladimir Putin an die Macht mit dem Ziel endlich guter Beziehungen auf Augenhöhe mit dem Westen. Washington entschied derweil, seine Truppen in Deutschland zu lassen und die Atomraketensilos immer näher an die russischen Grenzen heranzuschieben. Das blutige Ergebnis dieser «Osterweiterung» sehen wir heute, und anscheinend ist jetzt schon China im Visier.
Wo sind die Nixons, wo die Kissingers? Wo bleiben die Realisten der Entspannung und des Friedens? Wohin driftet die einst neutrale Schweiz? Die Welt schleudert auf immer gefährlichere Zeiten zu.
R.K.