Weltwoche Kommentar 48/20

Kommentar

Berset und das Nichts

E

s gibt da diese Szene in Quentin Tarantinos Kultkrimi «Pulp Fiction», als die beiden Gangster John Travolta und Samuel L. Jackson im Auto mit ihren Revolvern herumfuchteln, und aus Versehen erschiessen sie die Person auf dem Rücksitz. Die Sauerei ist fürchterlich, alle Polster sind mit Blut verspritzt. Ein fixer muss her, ein Aufräumer, der unter Druck die Sache rasch in Ordnung bringt. Harvey Keitel spielt diesen durch nichts aus der Ruhe zu bringenden Problembeseitiger namens Mr. Wolf. Er bewältigt seine Aufgabe schnörkellos, meisterhaft, mit einer gewissen Eleganz.

Manchmal helfen Filme weiter, wenn man in der Realität im Nebel tappt. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber beim Lesen des Strafbefehls der Bundesanwaltschaft in der Sache Alain Berset musste ich unweigerlich an «Pulp Fiction» und an Mr. Wolf denken. Natürlich geht es nicht um Tote und um blutverspritzte Autopolster. Es geht um versuchte Erpressung, es geht um einen Bundesrat, der ein akutes Problem hat, und es geht darum, wie die Behörden unseres Staates mit beeindruckendem Tempo und brutaler Effizienz das allzu öffentliche Privatleben dieses Bundesrats wieder aufzuräumen hoffen.

Leider sind wir nicht John Travolta

Und um ein Haar wäre den Strafbehörden sogar ein «Mr. Wolf»-mässiger Kraftakt porentiefer Reinigung gelungen. Die Fakten, soweit bekannt: Vor einem Jahr wurde Bundesrat Berset erpresst. Drei Wochen lang wirkte er auf die Erpresserin ein, dann folgte die Strafanzeige. Umgehend rückte die Bundeskriminalpolizei im Morgengrauen aus. Die Erpresserin wurde acht Stunden lang in Haft und wohl auch in die Zange genommen. Man beschlagnahmte ihre Computer und Handys. Alle Daten und Bilder wurden gelöscht. Man einigte sich darauf, die Sache geheim zu halten. Es dürfe nichts herauskommen, schreiben die Bundesanwälte, weil sonst Berset in seiner Berufsausübung behindert sei. Mit andern Worten: Berset ist erpressbar, amtlich festgestellt im Strafbefehl der Bundesanwaltschaft.

Seien wir ehrlich. Wünschen wir uns nicht alle manchmal einen Mr. Wolf? Oder wenigstens eine Bundeskriminalpolizei, die für uns die Computer und die Handys von Leuten löscht, die nicht mehr unbedingt zu unserem engsten Freundeskreis gehören, von denen wir aber annehmen oder es vielleicht sogar erleben, dass sie uns mit Dingen unter Druck setzen, die wir am liebsten in einem versiegelten Bleisarg ganz tief unten im Indischen Ozean versenken möchten? Leider sind wir weder John Travolta noch Samuel L. Jackson und auch nicht Alain Berset. Nur diesen Stars und Halbgöttern sind Dienstleistungen vergönnt, von denen wir Normalsterblichen nur träumen können.

Damit wollen wir natürlich nicht behaupten, dass unser Bundesrat unter komplizenhafter Mithilfe der Strafbehörden eine Untat oder auch nur eine lässliche Sünde vom Antlitz der Erde tilgen wollte. Rein theoretisch ist es möglich, dass die Einschätzung von Bersets literarisch formulierendem Anwalt zutrifft, wonach die von der Bundeskriminalpolizei so brachial gelöschten Daten, Schriftwechsel und Bilder, mit denen die Erpresserin zu Werke gehen wollte, «beeindruckend harmlose» Nichtigkeiten seien.

In diesem Fall aber bliebe die wesentliche Frage offen, warum Berset die alles zermalmende Wucht der bundesrätlichen Strafjustiz gegen dieses angebliche Nichts einer Erpressung überhaupt entfesselte, denn wo nichts ist, kann nichts herauskommen und muss auch nichts gelöscht oder geheimgehalten werden.

Hier aber enden nun alle Ähnlichkeiten mit dem Film, denn in «Pulp Fiction» gelingt es dem Superprofi Mr. Wolf, sämtliche Unannehmlichkeiten rückstandsfrei zu entsorgen. Die Bundesbehörden haben es im Fall Berset auch versucht, aber trotz Löschung und polizeilich erwirktem «einvernehmlichem» Stillschweigen kam die Sache doch heraus, zwar nur teilweise, eingeschwärzt und ohne Dokumente, etwas schummrig, aber immer noch zu deutlich, um die Geschichte wegzudrücken. Selbst der als nicht besonders Berset-kritisch bekannte Tages-Anzeiger bringt mittlerweile Karikaturen des Gesundheitsministers in Unterhosen.

Sein twitternder Bodyguard

Bersets Leute halten anerkennenswert dagegen, nach Kräften unterstützt von den subventionshungrigen Ringier-Medien und von «Arena»- Moderator Sandro Brotz, der als twitternder Bodyguard nichts auf seinen SP-Helden kommen lässt. Doch je virtuoser und eloquenter sie alles herunterspielen, desto lauter meldet sich aus dem Grosshirn die ungemütliche Erkenntnis zurück: Wenn es nichts ist, muss man nichts machen. Wenn alles falsch ist, kann man es widerlegen und muss es nicht löschen. Und warum gibt es laut Strafbefehl ein «gravierendes Geheimhaltungsinteresse» für Bundesrat Berset «in beruflicher Hinsicht», wenn doch alles so «beeindruckend harmlos» ist?

Es geht nicht auf. Es scherbelt. Man könnte auch sagen, die Sache stinkt ein bisschen. Es reicht nicht, wenn Berset seine Prätorianer vorschickt. Er muss wohl selber Klarheit schaffen. Das sollte ihm als kameraerprobtem Liebling der Öffentlichkeit nicht schwerfallen. Wenn es wirklich nichts ist, wird die seltsame Story als Meilenstein der Vergeblichkeit in die Geschichte eingehen, als der vermutlich absonderlichste Einsatz der Bundesanwaltschaft, die es mit einem Grossaufwand für nichts immerhin geschafft hat, aus diesem Nichts etwas zu machen, was zumindest bis heute nach einem ernstzunehmenden Fall eines amtlich bestätigt erpressbaren Bundesrats aussieht.

R.K.

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