Weltwoche Kommentar 47/21

Kommentar

Streit in der Ehe, eine Würdigung

D

ie harmonische Ehe gibt es nicht. Harmonische Ehen wären auch langweilig. Das ist kein Abgesang auf die Ehe. Im Gegenteil. Ich singe ein Loblied. Es ist auf jeden Fall besser, zu heiraten, als nicht zu heiraten.

Selbst das Risiko einer Scheidung entkräftet die Vorteile einer Ehe nicht. Da ich nur aus der Sicht des verheirateten Mannes sprechen kann: Ohne Ehefrau bleibt der Mann in jeder Hinsicht unvollständig.

Aber die Ehe ist doch nur ein Wisch Papier! Warum also heiraten? Ich drehe die Frage um: Wenn es nur ein Blatt Papier, ein Verträglein ist, warum dann nicht heiraten?

Aber die Ehe ist eben mehr als nur ein Fetzen Papier. Sie ist ein neuer Aggregatszustand des Lebens. Man bekennt sich zueinander. Man geht eine Verpflichtung ein. Man übernimmt Verantwortung. Indem man sie, was nur in der Ehe möglich ist, mit einem geliebten Menschen teilt.

Ich traue keinem, der mir erzählt, er lebe in einer harmonischen Ehe. Das ist unmöglich. Das gibt es nicht. Wer die harmonische Ehe sucht, hat die Ehe nicht verstanden.

Und wer behauptet, in einer harmonischen Ehe zu leben, ist nicht ehrlich.

Ab jetzt beginnt der umstrittene Teil meines Editorials. Lesen auf eigene Gefahr.

Ehe bedeutet Auseinandersetzung. Ehe bedeutet Streit. Nicht die Männer streiten allerdings. Es sind die Frauen. Sie streiten feurig, leidenschaftlich, unnachgiebig. Vor lauter Liebe entflammt.

Frauen lieben den Streit mit ihren Männern. Streit ist das Lebenselixier der Frauen. Es gibt Paare, die leben vom Streit. Sie streiten, also sind sie.

Das ist keine Kritik. Streit in der Ehe ist Zuwendung, Zuneigung. Streit bedeutet, dass die Männer ihren Frauen nicht egal sind. Indem die Frauen sich mit ihnen streiten, kümmern sie sich um sie.

Streit ist die vielleicht intensivste Form des Austauschs von Gedanken. Streit ist entfesselte Zweisamkeit, die immer wieder schmerzhafte Vertreibung aus den Kerkern meines Ichs.

Indem die Frau mit ihrem Mann streitet, zertrümmert sie das Spiegelkabinett seiner Ichsucht, seiner Egozentrik. Wenigstens für einen Moment. Sie holt ihn raus. Sie rettet ihn. Vor sich selber.

Streit ist die dunkle Lava der Liebe. Im Streit gebe ich mich dem andern preis, ohne mich in ihm zu verlieren. Psychologen sollten den Ehestreit als Therapie empfehlen.

Paare, die nicht miteinander streiten, sind keine Paare mehr. Sie leben aneinander vorbei. Die Eheleute haben das Interesse aneinander verloren.

Wo kein Streit ist, ist auch die Liebe gestorben. Nichts ist trostloser als der Anblick eines sich dumpf beschweigenden Paars.

Ich habe lange gebraucht, um all das zu begreifen.

Früher fühlte ich mich oft unverstanden. Erst später merkte ich, dass die Frauen, von denen ich mich unverstanden fühlte, mich besser verstanden als ich mich selbst.

Noch die im Moment ihres Ausbruchs scheinbar nichtigste Kritik, die der Mann durch seine Frau erfährt, entpuppt sich im Nachhinein oft als frühe Sturmwarnung einer tief erspürten Wahrheit, die der Mann ohne seine Frau nie erkannt hätte.

Streit ohne Ehe explodiert ins Leere. Man geht dann den bequemen Weg. Man trennt sich, im irrigen Glauben, in der verfehlten Hoffnung, irgendwann auf eine Beziehung ohne Streit zu treffen.

Die Tagesabschnittspartner wechseln, die Unzufriedenheit bleibt. Streit ohne Ehe ist der sichere Weg in die ewige Einsamkeit – zu zweit.

Der Ehestreit ist die geteilte, institutionalisierte Form des Streits zwischen Mann und Frau. Es ist der Streit, dem ich nicht entkommen, dem ich nicht davonlaufen kann.

Das macht seine charakterprägende Wirkung aus.

Ich behaupte: Streit in der Ehe ist der Zivilisationsprozess im Zustand seiner Verwirklichung. Ohne die mit ihm leidenschaftlich streitende Frau wäre der Mann Höhlenmensch geblieben.

Nicht der Krieg ist der Vater aller Dinge. Die Frau ist die Mutter, der Ursprung von allem. Ohne Frauen keine Männer. So einfach ist die Wahrheit.

Viele Männer fragen sich, warum sie von ihren Frauen so oft kritisiert werden. Frauen haben es drauf, ihre Männer mit einem Satz in die Defensive abzudrängen.

Wieso bist du nie zu Hause?

Aber wir waren doch gerade in den Ferien.

Hör auf, immer auszuweichen!

Männer sind – gegenüber Frauen – das schwache Geschlecht. Weil sie sich immer rechtfertigen müssen. Ohne dass es etwas nützt.

Inzwischen habe ich begriffen: Frauen kritisieren ihre Männer, weil sie sich Sorgen um ihre Männer machen.

Und weil sie wissen: Männer neigen zum Übermut. Man muss sie erden. Unsanft, wenn es nicht anders geht. Und meistens geht es nicht anders.

Streit ist Intensivpflege. Dem Mann verabreicht durch seine Frau.

Nehmen wir das Autofahren. Frauen halten es kaum aus, wenn der Mann am Steuer sitzt.

Warum? Vor kurzem kam ich dahinter: Frauen haben Angst um uns.

Denn: Frauen haben den ausgeprägteren Selbsterhaltungsinstinkt. Sie misstrauen, mit gutem Grund, dem fahrlässigen Leichtsinn ihrer Männer.

Böse Zungen behaupten, man heiratet, damit man auch nach einem Seitensprung zusammenbleibt. Was stimmt: Die Ehe ist auch eine Lebensschule des Verzeihens.

Ehen scheitern oft an den falschen Idealen, die über sie verbreitet werden. Zur guten Ehe gehört der Streit. Lasst euch nichts anderes einreden. Heiratet. Bleibt zusammen. Was sich liebt, das streitet.

R.K.

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