Weltwoche Kommentar 46/20

Kommentar

Was von Trump bleibt

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nd schon singen die Engelschöre. Kaum rufen die Medien Joe Biden zum Sieger aus, teilen sich die Wolken, geht die Sonne auf. Noch letzte Woche waren die USA ein unheilbar rassistisches Land mit einem faschistischen Ungeheuer im Weissen Haus. Jetzt wird alles gut. Die Probleme lösen sich auf. CNN- Journalisten weinen vor Glück, und niemand scheint sich sonderlich daran zu stören, dass diese Wahlen gar noch nicht entschieden sind.

Tatsächlich steht der Sieger erst dann fest, wenn alle Stimmen gezählt und die juristischen Anfechtungen geklärt sind. Der Rechtsstaat gilt auch für Donald Trump. Seine Gegner walzen im Triumphrausch darüber hinweg. Skeptiker sollen gefälligst den Mund halten. Dabei könnten die hauchdünnen Resultate in den Schlachtfeldstaaten noch umgestossen werden. Verfrüht sind deshalb auch die Gratulationen von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga aus Bern.

Bidens Versöhnung

Kommt jetzt die grosse «Heilung»? Der in Führung liegende Joe Biden lässt sich als Versöhner feiern. Dahinter steckt der Vorwurf an den Amtsinhaber, er und nur er habe die Vereinigten Staaten krank gemacht. Diese Diagnose ist falsch. Donald Trump ist nicht der Urheber, er ist das Produkt der Zerklüftung. Seine Überraschungswahl vor vier Jahren war eine Ohrfeige ans Establishment. Zu viele Amerikaner fühlten sich im Stich gelassen und waren unzufrieden mit der Politik. Darum schickten sie einen Nichtpolitiker nach Washington.

Die Medien höhnen und fluchen, Trump sei ein miserabler Verlierer. Auf CNN vergleichen sie ihn mit südamerikanischen Despoten. Prominente Demokraten fordern schwarze Listen von «Trump-Ermöglichern» oder regen an, die republikanische Partei «kollektiv niederzubrennen ». Gut möglich, dass die von Biden versprochene Läuterung in eine Säuberung ausartet. Auch Michelle Obama twitterte ungnädig, über 70 Millionen Amerikaner hätten für «Lügen, Hass, Chaos und Spaltung» gestimmt. Das klingt nicht nach Heilung. Das klingt nach Verachtung und Vergeltung.

Ist Trump ein schlechter Verlierer? Erstens hat er noch nicht verloren. Zweitens sind die Demokraten die schlechtesten Verlierer, die man sich vorstellen kann. Ihre Niederlage von 2016 akzeptierten sie nie. Den rechtmässig gewählten Präsidenten Trump verfolgten sie mit fabrizierten Geheimdienst-Dossiers und erfundenen Verschwörungen. Sogar ein Amtsenthebungsverfahren fädelten sie ein, erfolglos. Was die Nichtanerkennung von Wahlresultaten angeht, kennen Fantasie und Energie der Demokraten keine Grenzen.

Gab es Wahlbetrug im grossen Stil? Bis jetzt legte Trump keine Beweise vor. Niemand bestreitet, dass geschummelt wurde. Offen ist das Ausmass. Es war schon gespenstisch, wie in der Wahlnacht die Kurven für Biden auf einmal senkrecht nach oben schossen. Erstaunlich viele Tote sollen für den Senator aus Delaware gestimmt haben. In Pennsylvania öffnete der Gouverneur die Schleusen für spät eingereichte Briefwahlzettel. Wenig vertrauensbildend wirkte, dass sich die Republikaner den Zugang zu einigen Stimmlokalen gerichtlich erstreiten mussten. Das Thema Wahlbetrug ist nicht so ausserirdisch, wie Trump-allergische Medien behaupten. In Philadelphia musste erst kürzlich ein Offizieller deswegen ins Gefängnis.

Was bleibt von Trump? In den USA gibt es den Ausdruck «Trumpismus». Doch Trump ist Unternehmer, Pragmatiker. Eine fussnotentaugliche Philosophie hat er kaum, dafür ein Bauchgefühl. Das Normalste an ihm ist vermutlich seine Politik. Und obwohl ihn die Medien zum Monster machten, holte er sieben Millionen Stimmen mehr. In Rekordzahl waren Schwarze, Latinos und Asian Americans für ihn. Bei den älteren weissen Männern hingegen verlor er. Trump, der angebliche Rassist, ist in Wahrheit Multikulti.

John Wayne der Politik

War Trump zu siegessicher, zu arrogant? Hätte er etwas weniger Napalm vertwittert, wäre er womöglich durchgekommen. Er setzte voll aufs Volk und erlaubte sich gegen die Elite jede Grobheit. «Er ist populärer als die Beatles», jubeln seine Fans. Sie lieben ihn, weil er sich nicht unterkriegen lässt. Die Mächtigen verachten das Volk als «Kübel der Beklagenswerten». Trumpismus ist, wenn man sich diese Überheblichkeit nicht bieten lässt. Doch Liebe macht auch übermütig. Und Trump ist der zwanghafte Gewinner. In der Politik aber muss man so gewinnen, dass die Verlierer nicht merken, dass sie verloren haben. Zu viele Verlierer sind des Siegers Tod.

Trump ging nach Washington, um den «Sumpf» auszutrocknen. Er war wie ein Westernheld aus diesen alten Filmen von John Ford, der glorreiche Revolvermann, dem die ängstlichen Dorfbewohner einen Sheriffstern anheften, damit er sie vor der Bande des fetten Rinderbarons rettet. In den Filmen enden die Revolverhelden meistens tragisch. Sobald sie den Job gemacht haben, werden sie von den gleichen Dorfbewohnern davongejagt. Die Barone kehren zurück. So ein John Wayne der Politik ist Trump. Trotzdem holte er über 70 Millionen Stimmen. Diese 70 Millionen Amerikaner sehnen sich weiterhin nach ihrem Helden. Sie werden nicht verschwinden.

R.K.

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