Weltwoche Kommentar 45/22

Kommentar

Beeindruckendes Japan

«Japans Zukunft ist ewig, aber es ist ein unschätzbarer Segen, dass dieser fürchterlichste aller Kriege zum Abschluss gebracht wurde und damit die Agonie unseres Landes beendet, Millionen von Leben gerettet wurden. Damit ist meines Lebens Werk getan; was mir zustossen mag, hat keine Bedeutung.»
Togo Shigenori, Aussenminister Japans 1941–1942 und 1945

W

Was ist die Botschaft Japans an die Welt? Es gibt ein Leben nach dem Untergang. Das verbindet die Japaner mit den Deutschen. Beide Staaten haben es geschafft, der Hölle zu entkommen, die sie im letzten Weltkrieg selber entfesselt haben.

Aber nicht nur das. Sowohl Japan wie auch Deutschland sind aus Trümmern auferstanden als neue Supermächte. Anstatt jedoch die Welt mit Panzern und Kriegsschiffen gewaltsam zu erobern, setzen sie friedlich auf die Verführungskraft der Marktwirtschaft und ihrer Produkte.

Ja, es stimmt: Der Freihandel, die Wirtschaft bringen die Menschen zusammen, besser als die Politik, erfolgreicher als der überschätzte Sozialismus, mehr noch als die Kultur.

Seit Monaten spielt sich vor unseren staunen- den Augen ein anderes kleines Wunder ab: Die «Moonswatch» der Hayek-Familie und ihrer Unternehmen ist zum weltweit begehrten Sehnsuchtsobjekt geworden. Die Leute stehen Schlange, um es zu ergattern. Seit Monaten.

Die Schweizer «Moonswatch» beweist, dass die Menschheit zusammenwächst, dass uns mehr verbindet, als wir meinen, und sei es nur ein farbiger Gegenstand am Handgelenk. Keine unwichtige Erkenntnis in Zeiten eines Krieges.

Die Japaner sind Weltmeister darin, sich neu zu erfinden. Jahrhundertelang herrschten auf den Inseln der Adel, Shogun-Fürsten und die Kriegerkaste ihrer Samurai. Doch mit Schwertern und Rüstungen war den Kanonenbooten des Westens nicht beizukommen. Fundamentale Änderungen waren nötig.

Die Japaner sendeten Kundschafter aus. Man studierte den preussischen und den britischen Staat im 19.Jahrhundert. Die einen waren für das englische Modell mit starkem Parlament und schwachem König. Die anderen favorisierten das autoritäre Preussen.

Preussen gewann.

Unheimlich, wie beide Reiche, das japanische und das deutsche, 10000 Kilometer voneinander entfernt, in die gleiche Katastrophe strebten. Beseelt vom Ehrgeiz, den ihnen gebührenden «Platz an der Sonne» zu erfechten, verglühten die beiden Imperien im Feuer ihrer Ambitionen.

Beeindruckend dann der Wiederaufstieg. Deutschland überholte die Briten wirtschaftlich schon sechzehn Jahre nach dem Krieg. Hinter den USA avancierten die Japaner bald zur zweitstärksten Wirtschaftsmacht der Welt, erst kürzlich abgelöst vom erwachenden Drachen China.

Zu Beginn der neunziger Jahre stand Japan am Zenit. Der Elektronik-Konzern Sony kaufte die Columbia-Studios in Hollywood, japanische Konzerne machten den Amerikanern die Weltherrschaft streitig. Ängste des Niedergangs verbreiteten sich in den USA.

Bis auf die Leinwände fieberte die amerikanische Paranoia. Bestsellerautor Michael Crichton («Jurassic Park») lieferte mit «Rising Sun» (1992) die Vorlage für einen Kinofilm, der genau dieses Thema verhandelte: wie die Japaner den USA den Rang ablaufen.

So weit kam es nicht. Das US-Feindbild Japan entzauberte sich, wohlstandssaturiert, gleich selber. Kurz nach «Rising Sun» kam die Dämmerung. Eine Wirtschaftsflaute setzte ein, unter der Japan bis heute auf hohem Niveau leidet, süsser Niedergang, «Buddenbrooks» auf Ostasiatisch.

Die Amerikaner wiederum, leidenschaftliche Wettkämpfer und Gewinner, Paranoiker des Optimismus, brauchen einen Gegner, einen Bösewicht, der sie in ihrem Gut-sein-Wollen bestärkt. Auf Japan folgte China, und auch diese Obsession wird dann irgendwann durch eine andere abgelöst.

Alle Stürme überstanden hat im Herzen der Stadt das mächtige Parlamentsgebäude, eine Festung der Politik, noch im alten Kaiserreich errichtet, schauerlich schöner Protz-Klassizismus, allerdings durchsetzt mit feingliedrigem Jugendstil, der dem palastartigen Felsblock aus den dreissiger Jahren einen Hauch von Verspieltheit, fast von Leichtfüssigkeit vermittelt.

An den Japanern trainierten die Amerikaner ihren Bombenkrieg, um Präzision bemüht zunächst, dann flächendeckend. Das Land, das im Begriff war, sich zum asiatischen Weltimperium in der Nachfolge Grossbritanniens aufzuschwingen, versank in mörderischen Flammen. Danach rappelten sich die Japaner, rätselhafte Urkraft des Lebens, wieder auf und gaben sich den westlichsten Staat im Fernen Osten.

Japans Geschichte ist die Geschichte von Aufstieg, Fall und Wiederauferstehung, von den grauenhaften Versuchungen und Verheerungen der Macht, aber auch davon, wie eine kriegerischer Militärstaat gelernt hat, die Kunst des Friedens zu erlernen. Interessant auch die Amerikaner: Nach dem Abwurf zweier Atombomben und dem endgültigen Sieg halfen sie dem am Boden liegenden Gegner wieder auf die Beine. Keine Demütigung. Aus Feinden wurden Freunde.

Heute balanciert Japan auf einem anspruchsvollen Kurs. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China ist eng, die politische Spannung erheblich. Die Japaner setzen auf starke Defensivstreitkräfte bei gleichzeitig intensiver ökonomischer Verflechtung. Am Krieg gegen Russland machen sie mit – wohl auch deshalb, um bei den Chinesen expansive Gelüste abzublocken.

Auf die Journalistenfrage, was heute die grösste Stärke seines Landes sei, sagte der altgediente Parlamentsabgeordnete der Liberalkonservativen, Seishiro Eto, in Tokio dieser Tage: «Das Gleichgewicht, die Vermeidung von Extremen, der Ausgleich aller Kräfte.»

Menschen irren sich. Im Glauben, das Paradies zu errichten, entfesseln sie die Hölle. Macht korrumpiert, und auch Staaten können sich verrennen. Doch am Ende siegt die Vernunft, der Kompromiss, der Wille zum Leben. Japans Beispiel stärkt die Zuversicht in verrückten kriegerischen Zeiten.

R.K.

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