Weltwoche Kommentar 41/21

Kommentar

Hass, ein Plädoyer

Z

ugegeben, der Titel ist etwas steil gewählt. Hass ist keine Tugend. Die Menschen schämen sich eher dafür, dass sie so leidenschaftlich hassen können. Man gesteht sich das nicht so gerne ein. Es passt nicht zum Selbstbild, das wir von uns pflegen. Hassen tun meistens nur die andern. Man selber steht ja über solchen Niedrigkeiten. Selbstverständlich.

Seien wir ehrlich: Hass gehört zum Menschen wie die Liebe. Wir sind nun halt einmal ein Bündel von Leidenschaften, guten wie schlechten. Das, was wir für unser Ich halten, beschrieb der deutsche Autor Jan-Philipp Reemtsma einmal zutreffend als «Turnhalle, die von Stimmungen durchweht wird».

Eine dieser Stimmungen ist der Hass – neben vielen anderen.

Nun wollen sie den Hass verbieten. Man soll nicht mehr hassen dürfen. So lautet die jüngste Forderung jener Kreise, die sich mit der Reinigung der Spezies Mensch befassen. Sie wollen den Hass beseitigen, streichen, aus dem öffentlichen Gesprächsraum verbannen. Sie wollen den Hass auf den Index setzen.

Es vergeht kaum eine Woche, in der Zeitungen oder Politiker nicht die Abschaffung des Hasses fordern. Meistens geht es um das Internet. Das Netz, die sozialen Medien sollen vom Hass befreit, gereinigt werden. Man ruft nach Hass-Verboten. Alle sind sich einig. Wer ist schon für den Hass?

Ich! Ich fordere Fairness für den Hass. Ich plädiere fürs Hassen. Und fangen wir gleich bei mir selber an: Natürlich ist es vollkommen in Ordnung, Roger Köppel zu hassen. Ich würde es zwar vorziehen, allgemein und uneingeschränkt geliebt zu werden. Aber da sich Gefühle nicht befehlen und auch nicht «canceln » lassen, bin ich dafür, dass jede Emotion, die mein Sein oder Wirken auslösen mag, erlaubt sein und auch verkündet, geschrieben, geschrien, auf dem Netz formuliert werden darf.

Frei nach Oscar Wilde: Schlechter, als Gegenstand von Hass zu sein, ist es, Gegenstand von nichts zu sein. Hauptsache, man spricht über und miteinander.

Etwas philosophischer formuliert: Die Hassrede ist genauso Teil des freien demokratischen Gesprächs wie die Liebeserklärung. Und genau hier liegt der grosse Irrtum der Hass-Verbieter und der Hass-Bekämpfer: Sie möchten, dass es nur noch Liebeserklärungen gibt.

Sie möchten uns die Liebe befehlen und den Hass austreiben. Ich wage die Behauptung: Das Unterfangen wird scheitern. Zum Glück. Noch nie hat es funktioniert, den Menschen zum reinen Gut- oder Bessermenschen umzubauen.

Im Gegenteil: Es endete meistens, eigentlich immer, in der Katastrophe.

Alles redet über Hass und Drohungen in den sozialen Medien. Man will regulieren und zensieren, die meisten Politiker natürlich in die von ihnen bevorzugte linke Richtung.

Ich halte dagegen: Wo liegt eigentlich das Problem?

Bei Drohungen gegen Leib und Leben greift die Strafjustiz. Wir haben Gesetze und Staatsanwälte zuhauf. Wenn sich jemand in seiner Ehre, seiner Kreditwürdigkeit, seiner Persönlichkeit verletzt fühlt, kann er klagen. Die Gerichte werden seinen Fall verhandeln.

Doch jetzt das grosse Aber: «Hass» ist kein Straftatbestand. Menschen dürfen hassen, sie dürfen, herzlich willkommen, einen Roger Köppel hassen oder irgendjemand anders, und, ja, sie dürfen ihren Hass auch zum Ausdruck bringen. Hass ist die gefühlsmässig intensivste Form der Ablehnung, des Nichteinverstandenseins. Wer hasst, sagt aus tiefster Seele nein. Das dürfen wir uns nicht verbieten lassen. Psychologen würden ergänzen: Unsere Hassgefühle verhelfen uns zu einer besseren Selbsterkenntnis. Wer hasst, findet heraus, wer er selber ist. Und umgekehrt: Wer behauptet, nicht zu hassen, dokumentiert allenfalls einen Mangel an Ehrlichkeit sich selber gegenüber.

Man hasst, was man ablehnt. Aber man hasst auch, was man heimlich liebt. Und nicht haben kann. Darüber haben Romanciers ganze Regale vollgeschrieben. Welch ein Irrwitz, das literarische Urmotiv des Hasses aus den sozialen Medien verbannen zu wollen.

Stimmt: Zu viel Hass mag ungesund sein. Zu viel Liebe aber auch. Auf die Dosis kommt es an. Und nicht alles, was als Hass bezeichnet wird, ist auch Hass.

Hass ist zum Synonym für unerwünschte Meinungen geworden. Es ist so offensichtlich: Linke hassen nie, nur Rechte hassen. Angeblich. Welch lächerlicher Betrug, eine Beleidigung unserer Intelligenz.

Es darf kein Hass-Verbot geben. Im Gegenteil, wir sollten die Leute ermutigen, ihren Hass auf den sozialen Medien auszuleben. Das ist besser, als wenn sie zum Küchenmesser greifen oder sich eine Pistole oder ein automatisches Gewehr kaufen.

Die sozialen Medien sind Hassventile erster Güte, unfreiwillige Apparate der Triebabfuhr. Aber weil die Menschen ihren eigenen Anblick oft nur schlecht ertragen, wollen sie die Zeugnisse ihrer Hassfähigkeit vom Antlitz dieser Erde streichen.

Das ist psychologisch verständlich, aber auch realpolitisch falsch. Wer den ungefährlichen virtuellen Verbal-Hass im Internet verbietet, fördert den gefährlicheren Real-Hass in der Wirklichkeit.

Nichts ist explosiver als der unterdrückte Trieb. Wusste übrigens schon der inzwischen zu wenig gelesene Sigmund Freud.

Deshalb: Lasst den Hass raus auf den sozialen Medien, dieser Kläranlage unseres kollektiven Unterbewusstseins, dieser Toilettenwand der freien Rede. Wie jede Toilettenwand gibt auch das Internet den Blick frei auf das, was wir sind, wenn wir uns nicht so verstellen, wie wir gerne wären.

Und schliesslich: Hassende Menschen setzen sich doch selber dem Hass aus. Das müssen sie verkraften. Damit müssen sie fertig werden. Aber hören wir auf mit Richtern und Paragrafen, nur weil ein paar Leute hassen.

R.K.

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