Weltwoche Kommentar 40/23

Kommentar

Scharfrichter vom Leutschenbach

«Wer von Euch ohne Sünde ist,
werfe als Erster einen Stein auf sie.»
Jesus von Nazareth
A

Am Pranger steht Jürg Läderach, der hocherfolgreiche Patron, mittlerweile pensioniert, der gleichnamigen Schokoladenfirma. Ein demagogischer Dok-Film des Schweizer Fernsehens wirft dem Unternehmer vor, als evangelikaler Laienprediger an einer von ihm unterstützten Privatschule Kinder geschlagen, regelrecht misshandelt zu haben. Läderach bestreitet entschieden die Vorwürfe. Aussage steht gegen Aussage. In einem Untersuchungsbericht ist von angeblichen Missständen die Rede. Anscheinend habe in der christlich geführten Ostschweizer Schule ein «Klima der Angst» geherrscht. Kindern, die nicht gefolgt haben, sei der Hintern versohlt worden. Erste Firmen, zum Beispiel das von der NZZ kontrollierte Zürcher Filmfestival, haben in einer Art Sippenhaft die Zusammenarbeit mit der Schokoladenfirma gekündigt, denn der Vater hat die Führung längst an seine Söhne übergeben.

Inzwischen haben sich die Söhne vom Vater distanziert, für meinen Geschmack etwas allzu wohlfeil im Chor der Vorverurteiler. Offensichtlich hatten sie das Gefühl, so handeln zu müssen, um von der Firma und ihren über tausend Angestellten Schaden abzuwenden. Die Läderachs stehen ja schon lange auf der Abschussliste der Mainstream-Medien. Ihr Kapitalverbrechen ist, dass sie als Angehörige einer Freikirche christliche und konservative Auffassungen vertreten, zum Beispiel der Abtreibung gegenüber kritisch eingestellt sind und das «Recht auf Leben» verteidigen. Ich nehme auch an, dass sie dem grossen Gender-Mischmasch der Geschlechter nicht sonderlich viel abgewinnen können. Das ist ihr gutes Recht. Wir sind ein freies Land, und es wäre ja noch schöner, wenn wir alle nach den gesellschaftspolitischen Idealen einer progressiven Zürcher Journalisten-WG zu leben hätten.

Der Dok-Film war ein einziger Schauprozess, von Beginn weg abgezirkelt darauf, den bekannten Unternehmer Läderach in ein möglichst schlechtes Licht zu stellen. Es wurden ein paar ehemalige Schüler vorgeführt, heute erwachsen, die ohne jede kritische Rückfrage ihre Anschuldigungen ausbreiten konnten. Der schwerste Vorwurf lautete, dass einige körperlich mit Schlägen auf den nackten Hintern gezüchtigt worden seien, wenn sie gegen die Schulordnung verstossen hätten. Ein Ex-Schüler berichtet, er habe einen jüngeren Mitschüler, der unbedingt aufs WC musste, am Toilettengang gehindert, so dass der Kleine in die Hose machen musste. Dafür sei der Ältere dann von einem Lehrer auf den Hintern geschlagen worden. Ehrlich gesagt, hielt sich mein rückwirkendes Mitleid für den Gezüchtigten in Grenzen. Bei uns an der Schule wäre einer, der einen Kleineren derart übel gemobbt hätte, von dessen älteren Geschwistern, falls vorhanden, verprügelt worden.

Ich bezahle keine Zwangsgebühren für TV-Kreuzzüge gegen angeblich Unliebsame und Unerwünschte.

Nein, ich plädiere nicht für körperliche Strafen, aber ich erinnere mich, dass zu meiner Zeit in den siebziger Jahren Schläge auf die ausgestreckten Finger («Tatzen») noch üblich waren. An meinem allerersten Schultag riss mich meine Klassenlehrerin schmerzhaft an den Ohren, weil ich meinen Thek achtlos in eine Ecke geworfen hatte. Einmal nervte ich meinen Drittklasslehrer derart, dass er mir nachsetzte, um mir einen heftigen Schlag auf den Hintern zu verpassen. Ich hatte es wohl verdient. Dass an einer konservativen, christlich orientierten Privatschule eine etwas strengere Zucht herrscht, leuchtet mir ein. Das Wichtigste ist, dass kein mündiger Mensch gezwungen wurde, in diese Schule zu gehen. Und allzu beiläufig räumt der Film auch ein, dass die Eltern, die Erziehungsverantwortlichen, ebenfalls freikirchlich, von den Züchtigungen wussten und nicht nur ihre Kinder weiterhin in den Unterricht schickten, sondern der Schule und den Lehrern auch gute Noten ausstellten. Warum wurden im Film keine Eltern befragt?

Interessant ist zudem, dass der Kanton St. Gallen eine eigene Untersuchung zu dieser Schule anstellte und zum Schluss kam, es bestehe kein Grund, sie zu schliessen. Auf Nachfrage bestätigen Behördenmitglieder, dass das SRF-Filmteam mit Autorin Eveline Falk, einer bekannten linken feministischen Journalistin, und einem der mutmasslichen Missbrauchsopfer beim Kanton vorstellig wurde, ohne allerdings den Namen Läderach auch nur mit einer Silbe zu erwähnen. Vier Jahre lang (!) soll die Regisseurin nach Dreck gegen den Firmenchef gegraben haben. Das Ergebnis ging nun über den Sender, wohl auch deshalb, um die horrenden Produktionskosten zu rechtfertigen. Kurzum: Für mich verdichtet sich hier der Eindruck eines Machwerks, und ich habe volles Verständnis dafür, dass Jürg Läderach vor der Kamera nicht Stellung nehmen wollte. Auch ich hätte nicht die geringste Lust gehabt, mich einem Tribunal linker, kirchenfeindlicher SRFJournalisten auszuliefern, die sich berechtigt fühlen, auf allem herumzutrampeln, was nicht ihren Denk- und Verhaltensnormen entspricht.

Aus meiner Sicht sind solche «Dok»-Filme eine Zumutung. Ich bezahle keine Zwangsgebühren für TV-Kreuzzüge gegen angeblich Unliebsame und Unerwünschte. Es kann nicht der Auftrag einer staatlich konzessionierten Medienmonopolanstalt sein, vier Jahre lang einem bekannten und erfolgreichen Schweizer Unternehmer nachzustellen, um ihn dann mit schummrig unbewiesenen Vorwürfen in Misskredit zu bringen, nur weil er und seine Familie konservative christliche Ideale vertreten und sich weigern, in der Tötung ungeborenen Lebens einen zivilisatorischen Fortschritt zu erblicken. Eveline Falks Film ist versuchter Rufmord, und ein Skandal ist auch, dass andere SRF-Sendungen solche Beiträge noch bejubeln und kampagnenartig hochkochen, etwa durch Kunden belästigende «10 vor 10»-Kamerateams vor Läderach-Filialen.

Wir brauchen nicht noch einen Moralgerichtshof der Medien und schon gar keinen mit Zwangsgebühren finanzierten Scheiterhaufen. Das Schweizer Fernsehen behauptet, für Vielfalt und Zusammenhalt der Schweiz zu stehen, für die «idée suisse». Diese Selbstbeschreibung klingt wie Hohn für alle, die die Welt etwas anders, vielfältiger und differenzierter wahrnehmen als die Scharfrichter vom Leutschenbach.

R.K.

Cover: Roger Meier/Bist/Keystone

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