Weltwoche Kommentar 37/21

Kommentar

Ehe für alle? Nein

G

estrichen, ausradiert, weggekippt, entsorgt: Im neuen, weithin begrüssten Gesetz zur «Ehe für alle» kommt das Wort Vater nicht mehr vor. Die Mutter gibt es noch, aber das Wort Vater sucht man vergebens. Stattdessen heisst es: «Elternteil» oder, medizinisch präziser, «Samenspender ».

Das ist lustig. Noch vor wenigen Monaten oder Jahren, als es darum ging, den Schweizern den fremdfinanzierten «Vaterschaftsurlaub» zu verklickern, bläuten, hämmerten uns die exakt gleichen Kreise nimmermüde ein, dass es ein nicht zu verantwortendes Verbrechen am Seelenleben eines Neugeborenen sei, wenn der Vater nicht unmittelbar nach der Geburt für Wochen, nein Monate an der Babykrippe seinen biologisch und psychologisch unverzichtbaren Direkteinfluss entfalte. Vaterschaftsurlaub sei notwendig, weil die Kleinstkinder am dringendsten auf die möglichst pausenlose Präsenz ihres Erzeugers angewiesen seien.

Gestern waren die Väter alles, heute sind sie weniger als nichts. Buchstäblich. «Ehe für alle» bedeutet, dass die Väter überflüssig werden. Man braucht sie nicht mehr als Väter, nur noch als «Elternteil» oder als «Samenspender», als eine Art zertifiziertes Zuchttier, dem unter Aufsicht der Behörden seine Spermien abzugeben gestattet ist, die irgendwo bei irgendwem auf eine möglicherweise vorausgewählte, genetisch bereits optimierte Eizelle stossen, um dort dann ein Embryo zu produzieren, das, sofern es vorher nicht doch noch abgetrieben wird, zu einem Kind heranreift, das von zwei Frauen oder zwei Männern aufgezogen wird, wobei der eine Mann vielleicht tatsächlich der leibliche Vater, Pardon: Samenspender ist, während der andere Mann die Rolle der Mutter übernehmen darf.

Es gibt Leute, die in solchen Szenarien so etwas wie die endgültige Befreiung der Menschheit sehen, einen finalen Akt der Gleichberechtigung aller irgendwie denkbaren sexuellen Orientierungen und Obsessionen, den Ausbruch aus dem Käfig der Biologie, eine glorreiche Französische Revolution der Geschlechter, welche die jahrtausendealte Versklavung des Menschen durch seine Sexualorgane endlich beendet, auf dass alle, egal, wie sie geboren wurden und mit wem sie am liebsten ins Bett steigen, ihren Trieben folgen, sich verheiraten und Kinder haben dürfen. Es ist, es wäre die unwiderrufliche Entkoppelung von Sex und Fortpflanzung, der grösste Triumph des menschlichen Willens über die Natur.

Die Väter braucht’s nicht mehr. Und auch die Mütter werden als «Elternteil» entbehrlich, wenn die Kinder aus dem Reagenzglas oder geliehenen Bäuchen kommen. Immerhin: Wenn ich achtzehn Jahre alt werde, kann ich auf der Samenbank im Register nachschauen, wer seinerzeit in ein Plastikfläschchen ejakulierte, um mich hervorzubringen.

Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich kann mich nicht wirklich für eine solche Zukunft erwärmen. Ich will keine Frankenstein-Schweiz. Ich finde es falsch, wenn die Menschen Gott spielen und sich selber züchten dürfen im Labor. «Ehe für alle» bedeutet Kinder für alle, aber Kinder für alle ist absurd. Ich will nicht Gott hineinziehen, aber wer oder was auch immer diesen Planeten geschaffen hat, hat zwei unterschiedliche Lebewesen erfunden, Mann und Frau, die sich in aller Regel leidenschaftlich vereinigen zum Zweck des wechselseitigen Wohlgefühls, aber eben auch und keineswegs zuletzt zur Zeugung ihrer Kinder. Nichts gegen gleichgeschlechtliche Paare, aber wenn ich mit einem Mann Sex habe, muss ich akzeptieren, dass ich vielleicht Spass, aber keine Kinder kriegen kann. Handlungen haben Konsequenzen.

Doch der Zeitgeist dürstet nach dem Gegenteil. Machbarkeit ist Trumpf. Klimasteuerung, globale Migration, totale Gesundheit, ewiges Leben, Zuchtwahl mit ausgewählten Embryonen auf der Kühlstation, Ehe und Kinder für alle: Wir schaffen das.

Anything goes. Möglich ist alles. Und auch das Gegenteil. Der Mensch wird zum Schöpfer seiner Wirklichkeit, zum Gott seiner Wünsche. Er erfindet eine Welt, die er mit der Realität verwechselt. In den USA nennen sie Frauen bereits «Vagina-Trägerinnen». «Gender»-Akademiker erklären Männer zu gebärfähigen Lebewesen. In Reutlingen, Deutschland, kandidiert ein grüner Mann dieser Tage für ein politisches Amt – als Frau. Das decke sich mit dem Programm seiner Partei, nach dem das eigene Geschlecht das Resultat einer «persönlichen Entscheidung» sei.

Kinder ohne Sex: Die Nachfrage wird sprunghaft steigen. Es ist eine Frage der Zeit, bis man die Leihmutterschaft auch in der Schweiz zulässt. Labors bieten optimierte Eier und Spermien an. Reiche werden sich das leisten, um sich selber hochzuzüchten. Die sozialen Schichten werden auseinanderdriften. Aber auch die Adoption ist ein Problem. Wird der entfesselte Kinderwunsch einen globalen Menschenhandel befeuern? Nicht die Kinderheime dürften sich leeren, die meisten Adoptiveltern bevorzugen, wenn sie ehrlich sind, Babys, die von den Eltern möglichst kurz nach der Geburt freigegeben werden.

Eigentlich müsste ich dafür sein. Gleichgeschlechtliche Paare sollen möglichst gleichberechtigt sein. Daran ist nicht zu rütteln. Trotzdem bin ich gegen die «Ehe für alle». Aus zwei Gründen. Erstens: Ich will keine Frankenstein- Schweiz, keine Geisterbahn der Menschenzucht. Die Alles-Ehe bringt uns diesem Albtraum näher. Unweigerlich. Zweitens: Ehe ist ein Rechtsbegriff. Er steht in der Verfassung und bezieht sich, ausschliesslich, auf Mann und Frau. Um den Ehebegriff abzuändern, auszuweiten, müssten sie die Verfassung ändern. Das aber wollen sie nicht, weil sie Angst haben vor dem Ständemehr, vor dem Volk, vor der Demokratie.

Ehe für alle ist falsch, und es ist eine undemokratische, unschweizerische Zwängerei. Deshalb sage ich ja zur Gleichberechtigung, aber nein zu diesem Gesetz.

R.K.

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