Weltwoche Kommentar 37/20

Kommentar

Krieg und Frieden

D

ie Welt ist ein gefährlicher Ort. Konflikte und Kriege sind eine Konstante der Geschichte. Manchmal wird es vergessen. Dann glauben die Menschen, der ewige Friede breche aus. Es brauche weder Grenzen noch Armeen.

An solche Illusionen klammern sich derzeit wenige. Man kann die Unruhe nicht übersehen. Selbst die ur-harmlose Pazifikinsel Neuseeland hat eben einen aufwühlenden politischen Mordprozess hinter sich, bei dem es um einen terroristischen Serienkiller muslimischer Minderheiten ging.

Das ist nur ein Beispiel. Wir haben brennende Städte in den USA, Tumulte auf dem Balkan, in Osteuropa, in Russland, Hongkong und Thailand. Warum bricht es überall fast gleichzeitig hervor, und was hat es zu bedeuten? Ist die Pandemie Ursache oder Brandbeschleuniger?

Im Mittelmeer spitzen sich die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland zu. Weiter östlich kippt die Balance zuungunsten des Iran, was alle möglichen Szenarien bewirken kann. Die Beziehungen zwischen dem Westen und China kühlen sich laufend ab.

Zivilisierende Kraft der Apokalypse

Die Welt ist nicht aus den Fugen geraten. Es gab schon schlimmere Zeiten. Man könnte argumentieren, dass es an ein Wunder grenzt, wie glimpflich die Menschheit durch den Kalten Krieg der nuklearen Arsenale gekommen ist. Die Aussicht auf die Apokalypse hat auch eine zivilisierende Kraft.

Trotzdem fallen die vielen Brandherde auf. Es sieht so aus, als ob sich aufgestaute Emotionen lösen. An vielen Orten wehren sich die Leute gegen korrupte Regierungen. Sie stehen für die Freiheit auf. Die sozialen Medien sind Ventile und Verstärker des Unmuts.

Optimisten sehen darin den Durchbruch unterdrückter, berechtigter Forderungen. Nehmen wir Europa. Mit dem Brexit bestrafen die Briten die Arroganz der Brüsseler Zentrale. Die Wahl Trumps in den USA war eine Riesenohrfeige gegen die Selbstzufriedenheit der staatlichen Eliten.

So gesehen, haben die Turbulenzen auch ihr Gutes. Sie sind das Resultat einer Überdistanz zwischen oben und unten, Fieberschübe der Demokratie, die hoffentlich zu Annäherung und gesünderen Verhältnissen führen. Zumindest kurzfristig ist diese Hoffnung aber alles andere als gesichert.

Der Mensch hat eben die Fähigkeit, Gutes durch Übertreibung in Böses zu verwandeln. Deshalb sind Vorsicht und ein gewisser Pessimismus in der Politik vernünftig. Solide Grenzen machen gute Nachbarn. Wer sich selber verteidigen kann, schläft friedlicher.

Je grösser der Lärm, desto wohltuender die Ruhe. Auch in der Schweiz ist die Landesverteidigung zurzeit ein grosses Thema. Bald wird über die Erneuerung der Luftwaffe abgestimmt. Es geht um 38 Jets. Gut möglich, dass die Vorlage, nur von links bestritten, angesichts des brodelnden Planeten diesmal die Gnade einer Mehrheit findet.

Wenn die Schweiz mit dem Uno- Sicherheitsrat in den Krieg zieht, werden 38 Kampfjets nicht reichen.

Doch die Gewährleistung der äusseren Sicherheit geht über die Beschaffung neuer Flieger hinaus. Die Schweiz hat sich nie mit militärischen Mitteln allein behauptet. Mindestens so wichtig war immer das Festhalten an der strikten, unverhandelbaren, bewaffneten Neutralität.

Hier aber klappert, scherbelt, hapert es gewaltig. Der Bundesrat und eine Mehrheit der Parteien dringen auf einen Sitz im Uno-Sicherheitsrat. Unter den Supermächten in New York soll künftig auch die Schweiz über Krieg, Frieden und die Hungerwaffe der Sanktionen mitentscheiden.

Es wäre die Beerdigung der Neutralität, der Bruch mit 500 Jahren erfolgreicher Geschichte des Abstandhaltens und eine massive Bedrohung der nationalen Sicherheit. Wer mit anderen den Krieg entfesselt, macht sich zur Partei im Krieg.

Doch der grössenwahnsinnige Ritt auf der Rasierklinge der Geopolitik könnte unser Land auch innenpolitisch zerrütten. Die Eidgenossenschaft ist mittlerweile ein Vielvölkerstaat. Kurden und Tamilen, Türken und Nordafrikaner bilden einen explosiven Resonanzkörper. Je nachdem, wie unsere Diplomaten in New York entscheiden, ziehen sich die Kriegsfronten mitten durch die Schweiz.

Oase der Verständigung

Politisch ist die Sache gegessen. Nur eine Volksinitiative könnte die Neutralitätsbeseitiger von Bern noch stoppen. Ehrgeiz, Eitelkeit und der kindliche Wunsch, bei den Grossen mitzuspielen, drohen die Neutralität, diese einzigartige Grundlage von Frieden und Weltoffenheit der Schweiz, zu untergraben.

Auch die Wirtschaft würde leiden. Wer sich keine Feinde macht, hat mehr Freunde. Und kommt erfolgreicher durchs Leben. Sicherheit ist ein Wohlstandsfaktor erster Güte. Die Schweiz wird bewundert, gerade weil sie sich seit Jahrhunderten von den internationalen Händeln fernhält, still, diskret, hilfreich mit ihren Guten Diensten.

Niemand braucht eine Schweiz, die im weltweiten Getöse auch noch mitbrüllt. Wenn sich alle mit allen in den Haaren liegen, ist der politische Ruhepol gefragt, die Oase der Verständigung, die Schweiz. Neutralität heisst, dass man sich zurückhält; zuhören und verstehen statt verurteilen und drohen.

Wenn die Schweiz tatsächlich mit dem Uno- Sicherheitsrat in den Krieg zieht, werden 38 Kampfjets nicht reichen. Wer dem Frieden helfen will, sagt ja zur bewaffneten Neutralität und nein zum Schweizer Sitz im New Yorker Kriegsrat der Supermächte.

R.K.

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