Weltwoche Kommentar 35/23

Kommentar

Weltoffene Schweiz

N

ichts ist falscher als der Vorwurf, die Schweiz sei ein Land, das sich gegenüber dem Ausland auf eine unzulässige Art abschotte. Natürlich gab es Zeiten und kann es manchmal richtig, ja lebensnotwendig sein, wenn man sich abschottet, etwa gegen Kriege oder gegen den ideologischen Fanatismus von Nachbarn. Insgesamt aber ist die Schweiz eines der weltoffensten Länder der Welt.

Die Schweiz war schon globalisiert, als man dieses Wort noch gar nicht kannte. Die Armut trieb die Schweizer über sich und über die Schweiz hinaus. Am Anfang exportierten sie sich selber, als Söldner und Kriegsknechte. Mit der Zeit entwickelten sie exportfähige Produkte, ganze Industrien, eine friedliche Welteroberung, die auf Kolonien und Armeen verzichtete.

Die Schweiz ist das beste Beispiel, dass es in der Politik auch ohne Grössenwahn geht. Man muss kein politischer Riese sein, um Erfolg zu haben. Noch immer geistert in Europa, vor allem in der EU, der Wunsch herum, man müsse sich zusammentun, um «gegen» die Chinesen, die Amerikaner, die Russen einen Block, eine neue Front zu bilden. Die Schweiz ist anders. «Small is beautiful.»

Mag sein, dass nur die Schweiz so funktioniert. Wir sind keine Imperialisten. Wir nötigen anderen unsere Art nicht auf. Wären wir grösser, hätten wir es vielleicht versucht. So aber zwang und zwingt uns unsere Kleinheit auf den Weg der Kooperation, der friedlichen Koexistenz, der Pflege des eigenen Gartens und der Innovation. Wir Schweizer mussten und müssen in die Welt hinaus.

Das grösste Missverständnis besteht darin, Heimatverbundenheit und Weltoffenheit schlössen sich aus. Gerade die politische Unabhängigkeit der Schweiz, verbrieft in ihrer Neutralität, beflügelt die schweizerische Internationalität. Wer keine Kriege anfängt, wer sich keine Feinde macht, hat nur Freunde und Geschäftspartner. Was ist dagegen einzuwenden?

Oft werfen andere, weniger erfolgreiche Länder der Schweiz ihren Erfolg vor. Neid ist die höchste Form der Anerkennung. Aber auch Schweizer leiden mitunter daran. Einfühlsam und mehrsprachig, wie sie sind, nehmen sie sich die Kritik zu Herzen, wir Schweizer seien «Rosinenpicker», unsere Staatsform habe etwas von einem kriminellen Geschäftsmodell.

Ich plädiere dafür, solche Vorwürfe zurückzuweisen.

Selbstverständlich mussten die Schweizer früh lernen, wie man auf einem Steinhaufen fast ohne Rohstoffe überlebt. Natürlich haben sie alles daran gesetzt, die politischen Dummheiten ihrer Nachbarn zu vermeiden, sich einen Staat zu bauen, der nicht das Paradies verwirklicht, sondern einen Rahmen schafft, der jedem Tüchtigen die Chance gibt, sich zu entfalten. Freiheit statt Zwang.

Die unabhängige Schweiz mit ihren Säulen direkte Demokratie, Föderalismus und Neutralität ist ein spektakuläres Erfolgsmodell. Unsere Staatsform hat sich als das für die Schweiz bisher beste Verfahren zur Überwindung der eigenen naturgegebenen Armut erwiesen. Vielleicht gäbe es eine bessere, aber wir haben sie noch nicht entdeckt. Also gilt es, die herkömmliche zu pflegen.

Wer keine Kriege anfängt, wer sich keine Freinde macht, hat nur Freunde, Geschäftspartner.

Im Zentrum steht die Unabhängigkeit. Was heisst Unabhängigkeit? Es bedeutet, dass wir Schweizer selber bestimmen können, was auf unserem Staatsgebiet gilt. Gewiss: Wir sind nicht autark, nicht allein auf der Welt. Wir sind grösseren Kräften ausgesetzt. Aber wir Bürger, nicht die Politiker, haben das letzte Wort. Wir entscheiden über alles, was uns in der Schweiz direkt betrifft.

Das völkerrechtliche Siegel unserer Unabhängigkeit ist die Neutralität. Die Neutralität steht bei manchen Meinungstenören etwas im Verruf. Sie sei «isolationistisch», moralisch fragwürdig. Ich sehe es anders. Wären alle Länder neutral wie die Schweiz, gäbe es keinen Krieg. Die Schweiz ist weltoffener als die meisten Länder, gerade weil sie unabhängig, blockfrei, neutral und friedlich ist.

Kürzlich forderte die NZZ, eine einflussreiche Zeitung, im Leitartikel ihres Chefredaktors Eric Gujer einen «neuen Blocher» für die Schweiz, einen «Anti-Blocher», wie der Autor präzisierte. Gemeint ist ein mächtiger Politiker, der den schweizerischen «Alleingang» der Unabhängigkeit, der Neutralität und der EU-Distanz beende, um die Schweiz in die neue Front des Westens gegen den Osten einzufügen.

Ich glaube nicht an dieses aufgewärmte Blockdenken. Auch hätte ein Politiker, der die Nachfolge Blochers antreten möchte, mit so einem Programm kaum Erfolg. Neutralität und Unabhängigkeit sind nicht Merkmale eines «Alleingangs ». Sie sind die Voraussetzung der schweizerischen Weltoffenheit, die der Publizist Beat Kappeler einst «Weltgang» nannte.

R.K.

Cover: Wikimedia Commons

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen