Weltwoche Kommentar 35/21

Kommentar

Merkels CDU sollte in der Opposition gesunden

A

m Sonntag taten mir die Deutschen leid. Das Fernseh-«Triell» der Kanzlerkandidaten war fürchterlich. Es wirkte wie ein Brainstorming unter Spitzenbeamten, die in schwerverständlichem Jargon über die Sanierung einer städtischen Kehrichtanlage diskutierten. Da war keine Leidenschaft, keine echte Auseinandersetzung, keine Auswahl – nur ein dröges Abspulen von Themen, die so abstrakt behandelt wurden, als hätten es die Beteiligten absichtlich darauf angelegt, die Leute abzuschrecken oder einzuschläfern.

Die trübe Nummer erinnerte mich an eine Begegnung mit der damals neugewählten Kanzlerin Angela Merkel in Berlin. Die Frischgekürte erläuterte ihre Pläne zu einer Gesundheitsreform. In der Pause wandte ich mich verzweifelt an ihren Mediensprecher. Ich hätte wirklich genau zugehört, aber kaum ein Wort verstanden. Der Kollege klopfte mir nur lachend auf die Schulter: «Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Köppel, ich habe auch nichts verstanden, aber wir haben Experten, die wissen ganz genau, worum es geht.»

So viel Arroganz erstaunte mich. Demokratie heisst Volksherrschaft. Die Bürger sind der Chef. Die Gewählten haben sich gefälligst verständlich auszudrücken. Wenn sie es nicht tun, in aller Selbstverständlichkeit sogar darüber lachen, haben wir ein Problem.

Nun sind die Deutschen speziell. Sie sind leidensfähig, duldsam, offenbar bereit, mehr Überheblichkeit zu schlucken als die Schweizer, die sich jederzeit mit Initiativen und Referenden wehren können. Trotzdem: Auf Dauer kann es in keinem Staat gutgehen, wenn die Elite lachend abhebt. Irgendwann kommt der Hammer von unten.

Dieser Punkt ist jetzt wohl erreicht. Die Deutschen haben die Nase voll von ihrer Politik. Sie wenden sich ab. Zwar hatte das «Triell» – welch lächerlicher Ausdruck – angeblich 5,5 Millionen Zuschauer, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Mehrheit das ermüdende Spektakel zu Ende schaute. Ich kenne keinen Deutschen, der nicht unzufrieden wäre mit dem, was jetzt da oben geboten wird. Die etablierten Parteien haben abgewirtschaftet. Eine Opposition gibt es nicht. Die AfD hält sich in den Umfragen, aber sie ist so schlecht geführt, dass es einen fast erbarmt. Zum Glück für die schwache Konkurrenz.

Zurück zur Debatte, in der sich alle meistens einig waren: Das wirkte so matt, so routiniert und einstudiert. Die abgewetzten Mainstream-Parteien haben sich einander bis zur Ununterscheidbarkeit angenähert. Der eine will etwas weniger Klima, die andere etwas mehr. Bei den Steuern versprechen alle gleichzeitig alles. Wenn unter Demokratie die Staatsform der Alternativen verstanden wird, dann sahen wir am Sonntag das alternativlose Elend einer an der Macht verwesenden ewigen Regierung, die den Zustand ihrer terminalen Verknöcherung erlebt. Das ist die Folge von gefühlten Jahrzehnten grosser Koalitionen, in denen alle mit allen irgendwann einmal regiert haben, ohne dass den Wählern nennenswerte Unterschiede aufgefallen wären.

Die Misere liegt nicht nur bei den Kandidaten. Sie haben alle ihre Rollen gespielt. Sie verkörperten, vermutlich ohne es zu merken, die Dekadenz eines Systems, das an sein Ende kommt. Achtung: Damit meine ich nicht, dass es mit der Demokratie in Deutschland zu Ende geht. Im Gegenteil, das Unding, das diese Elite aus der Demokratie gemacht hat, dankt ab. Damit es wieder Demokratie geben kann, in der sich die Wähler in den Regierenden wiedererkennen.

Vielleicht halten die Deutschen auch das aus. Die meisten möchten ja von der Politik vor allem in Ruhe gelassen werden. Solange das Land nicht abstürzt, lässt man sie machen in Berlin. Noch lassen sich die wesentlichen Fragen verdrängen: Wie lange können die Deutschen diese EU finanzieren? Was passiert mit ihren Arbeitsplätzen, wenn die Grünen in allen Parteien die einst glorreiche deutsche Automobilindustrie endgültig zerstört haben? Wo kommt eigentlich der Strom her, wenn alle Kernkraftwerke abgeschaltet sind? Viele spüren, dass vielleicht einmal ein Politiker des Wegs kommen sollte, der diese Probleme anpackt und sich weniger für Gendersternchen oder Pendlerpauschalen interessiert.

Das abgewrackte Polit-Deutschland ist Angela Merkels Werk. Ich habe sie oft verteidigt. Möglicherweise zu Unrecht. Kürzlich traf ich einen langjährigen Vertrauten, der sie aus der DDR kennt, kluger Mann, langjähriger Bundestagsabgeordneter. Auf die Frage, was er von ihr halte, kam die Antwort: «Nichts.» Merkel sei unbestreitbar intelligent, aber sie habe wider besseres Wissen jeden Unsinn gemacht, um einfach an der Macht zu bleiben. Habe ich mir eine faszinierendere Merkel ausgemalt, weil ich mir und den Lesern die echte Merkel nicht zumuten wollte? Nach diesem Gespräch halte ich es für nicht mehr ausgeschlossen.

M

erkel hat die CDU als Partei abgeschafft. Eine Partei definiert sich dadurch, dass sie Partei ergreift. Merkels CDU ergriff für alles Partei und auch fürs Gegenteil. Die Kollegen machten mit, weil sie nicht auf Macht, Geld und Prestige verzichten wollten. Hinterher jammerten viele CDU-Männer über die «schwarze Witwe aus dem Osten». Wo waren diese Helden, als es darum gegangen wäre, Deutschland gegen Merkels CDU zu verteidigen? Resultat: Die Kanzlerin blieb an der Macht. Das ist fraglos eine Leistung. Aber sie beraubte Deutschland einer richtigen Demokratie mit Regierung und Opposition. Es gab nur noch Merkel, die für alles stand.

Deshalb sollte die CDU jetzt die Wahlen verlieren und abtreten, um in der Opposition zu gesunden. Sie hätte einen Sieg auch nicht verdient. Solange die Laschets und Söders wendungs- und windungsreich der Macht hinterherkriechen, wird Deutschland den grosskoalitionären Sumpf nicht los. Es ist besser, wenn jetzt die dank Merkel noch weiter links positionierten Linken und Grünen ihre Rezepte umsetzen, damit nach ein paar Jahren eine CDU, die diesen Namen verdient, Deutschland auf einen vernünftigen Weg zurückführen kann.

Die deutsche Politik hat ein akutes Realitätsproblem. Es gibt zu viele Träumer. Die Grünen träumen von Biogärten und Solarzellen. Die Roten träumen von hohen Steuern. Die AfDler träumen vom deutschen Wald im Mittelalter. Die FDP träumt von der Macht. Und die CDU? In diesem Deutschland der Traumtänzer muss sie werden, was sie einmal war: die Partei der Wirklichkeit.

R.K.

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