Der unfähige Präsident
as amerikanische Debakel in Afghanistan ist grösser als angenommen. Die hiesigen Medien berichten mit angezogener Handbremse. Einfühlsam, voller Verständnis, schützend legen sie die Hand über Joe Biden, den Chef im Weissen Haus. Sein kolossales Versagen muss nach Kräften verschleiert, verdrängt, ins Allgemeine zerredet werden. Das ist psychologisch verständlich. Unsere Journalisten bejubelten Biden vor wenigen Monaten als grossen Lichtblick und Heilsbringer nach vier Jahren trumpscher Finsternis.
Tatsache ist: Biden hat den überstürzten, stümperhaft gemanagten Afghanistan-Abzug in Alleinregie gegen den Rat seiner Experten befohlen. Er hat die Sicherheitskräfte nach Hause geholt, ohne vorher die im Land lebenden Amerikaner und ihre Verbündeten zu informieren, geschweige denn zu warnen oder zu evakuieren. Als Präsident des mächtigsten Staates dieser Welt hat er Afghanistan kampflos seinem erklärten Feind, den Taliban, auf dem Servierteller ausgehändigt, strategisch wichtige Stützpunkte geräumt, modernste Waffenarsenale und Tausende von Menschen zurückgelassen. Ohne jeden ersichtlichen Plan.
Hat sich ein amerikanischer Präsident jemals selber so erniedrigt? Wir erleben die verrückte Situation, dass Washington bei den Islamisten eine Fristerstreckung erbetteln muss, weil es die Regierung nicht schafft, bis zum 31. August ihre im Stich gelassenen Landsleute auszufliegen. Die bärtigen Gotteskrieger haben bereits abgelehnt. Sie diktieren der Supermacht den Zeitplan. Derweil schicken die von Biden düpierten Verbündeten Deutschland, Grossbritannien und Ukraine Grenadierkommandos los, um ihre Bürger in Sicherheit zu bringen.
Joe Biden hängt in den Seilen. Seine Auftritte wirken skurril. Kürzlich sagte er, die Amerikaner hätten ihre Ziele in Afghanistan erreicht und das Terrornetzwerk al-Qaida vertrieben. Sein eigener Aussenminister Antony Blinken musste widersprechen. Al-Qaida sei nach wie vor in Afghanistan, allerdings sei die Fähigkeit, die Amerikaner terroristisch anzugreifen, «stark vermindert». Wunschdenken. Auf die bemerkenswerte Frage eines Journalisten, ob er glaube, dass der Präsident noch wisse, wovon er rede, erwiderte Blinken ausweichend, es seien für alle Beteiligten «aufwühlende» Zeiten.
Warum hat Biden nicht zuerst evakuiert und dann die Truppen abgezogen? Warum legte er den Taliban die Kontrolle über Afghanistan einfach so in den Schoss? Die Behauptung, der Präsident sei das Opfer der Fehlentscheide seines Vorgängers, ist falsch. Trump hat wohl den Abzug verhandelt, aber er gab vor Generälen selbstkritisch zu, dass er von seinem «ursprünglichen Instinkt» eines raschen Abzugs abgekommen sei, weil dieses Vorgehen in jeder Hinsicht eine Katastrophe heraufbeschwören würde. Auch Trumps Vorgänger Obama war aus diesem Grund zurückgeschreckt, sein Wahlversprechen eines Truppenrückzugs umzusetzen.
Afghanistan stellt alles in den Schatten, was die Amerikaner aussenpolitisch bisher in den Sand gesetzt haben. Der Helikopter-Abzug aus Saigon 1975 erfolgte über Jahre in Etappen und als Folge einer Grossoffensive der Nordvietnamesen, jedoch ohne dass Tausende von Amerikanern schutzlos zurückgelassen worden wären. Präsident Jimmy Carter wurde zu Hause fast gesteinigt, als islamistische Studenten 1979 die US-Botschaft in Teheran mit etwas über sechzig US-Geiseln besetzten. Biden liefert den Islamisten jetzt potenziell Tausende von Geiseln aus.
Man muss in der Politik eine Geschichte immer von ihrer schlimmstmöglichen Wendung her denken, weil Politik auf die Vermeidung des grössten Übels ausgerichtet sein sollte. Wenn sich die zuckrigen Friedens- und Versöhnungsangebote der Taliban nicht bestätigen sollten, werden die Amerikaner womöglich Milliarden an Lösegeld bezahlen müssen, um ihre zurückgelassenen Landsleute freizubekommen. Die USA, die grössten Bekämpfer der Taliban, könnten so zu deren grösstem Sponsor werden. Biden hätte dann alles bisher am Hindukusch Erreichte in sein desaströses Gegenteil verkehrt. Ein Meilenstein in der Weltgeschichte der Inkompetenz.
Es ist Zeit, mit der Verklärung Bidens aufzuhören. Der Mann hat die grösste aussenpolitische Katastrophe der Amerikaner seit 1945 angezettelt. Er weigert sich, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Stattdessen beschimpft er seinen Vorgänger oder seine Verbündeten, die Zehntausende von Soldaten für die Kriegsziele der Amerikaner geopfert haben. Nach sechs Monaten Biden brennt es lichterloh an mehreren Fronten, in Zentralasien und im Nahen Osten (Gaza).
Biden ist kein netter, «gmögiger» Grossvater. Er ist ein kalter, zynischer Karrierepolitiker, der seine Bundesgenossen ohne Wimpernzucken stehen und sterben lässt. Biden ist das Gegenteil dessen, was unsere Medien krampfhaft in ihn hineindeuten. Neben den Afghanen am stärksten enttäuscht hat er die Europäer, die ihn in rational nicht mehr erklärbarer Vorabverherrlichung als eine Art Moses der transatlantischen Wiederversöhnung feierten. Sie sind nun aufs bitterste mit der Wirklichkeit konfrontiert worden. Vielleicht wirkt der Schock heilsam.
R.K.