Weltwoche Kommentar 28/21

Kommentar

Rassismus im Fussball?

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ach dem Final der Fussball-EM im Londoner Wembley-Stadion kam es zu wüsten Szenen. Enttäuschte Engländer liessen ihrem Frust über die drei verschossenen Elfmeter freien Lauf. Ins Visier der Empörten gerieten die erfolglosen Penaltyschützen. Es waren Spieler mit mehr oder weniger dunkler Hautfarbe. Die verbalen Angriffe gingen so weit, dass sich am Ende sogar Premierminister Boris Johnson mässigend zu Wort melden musste.

Medien und Meinungsmacher sehen in den Primitivattacken die Bestätigung dessen, was sie uns seit Jahren einreden: dass Fussballfans, dass wir alle im Grunde unseres Herzens Rassisten sind, vollgestopft mit Vorurteilen gegen Menschen anderer Hautfarbe. Nur durch dauernde Belehrung und Bestrafung können wir von dieser Krankheit geheilt werden. Vielleicht.

Die Unterstellung, wir seien Teil einer «systemisch » rassistischen Gesellschaft, lag auch dem Entscheid der Fussball-Oberen zugrunde, ihr EM-Turnier zum Happening einer moralischen Umerziehung umzufunktionieren. Sichtbarer Ausdruck dieses Wollens waren die Regenbogenfarben an den Trikots, war aber vor allem auch das aus den USA importierte Bussritual eines kollektiven Kniefalls der Spieler als Geste gegen angeblichen Rassismus.

Mit dem Niederknien sollten die Mannschaften auf Geheiss von oben ein Zeichen setzen. Die kickenden Multimillionäre, viele mit Migrationshintergrund, wandelnde Erfolgsgeschichten von Integration und sozialem Aufstieg durch Leistung, führten vor den Kameralinsen der Welt ein absonderliches Spektakel auf, eine Art Opfergebet gegen Hass und Diskriminierung, unter der sie selber am wenigsten leiden, denn sonst würden sie heute nicht Millionen verdienen unter dem Jubel der Massen.

Gleichzeitig geben sich die knienden Krösusse als Menschen höherer Güte, als moralisch gereinigte Lebewesen zu erkennen, als eingebildete Schmerzensmänner zudem, die mit ihrem Kniefall die Sünden ihres zutiefst rassistischen Publikums auf sich nehmen, um daraus, für alle erkennbar, eine fast schon religiöse Botschaft abzuleiten: «Seht her, wir knien nieder, weil ihr da draussen finstere Rassisten seid. Wir aber sind keine Rassisten. Wir sind die besseren Menschen, weil wir niederknien.»

Das gab es noch nie. Dass an einem grossen Fussballturnier die Spieler jeden Match mit einer Beleidigung ihrer Fans beginnen. Denn natürlich richtet sich der vorauseilende Vorwurf an die Zuschauer, ans Publikum, das sich durch diesen Protest der Stars nicht nur angesprochen, sondern aufgerüttelt, angeprangert, angegriffen fühlen soll. Die Spieler gehen ja nur deshalb auf die Knie, weil ihre Fans so hoffnungslose, himmeltraurige Rassisten sind.

Der moralische Druck ist gross. Wir leben in einer Welt, in der man seine Unschuld permanent beweisen muss, um nicht als böse abgetischt zu werden. Der englische Nationaltrainer Gareth Southgate hat vor der EM einen offenen Brief an alle Engländer geschrieben, um sein multikulturelles Team von «Weltbürgern», so deuten es die Zeitungen, im Voraus zu verteidigen gegen den «englischen Chauvinismus », der sich, «wohl beeinflusst durch den Brexit», auf der Insel verbreitet habe.

Möglicherweise war diese vorsorgliche Publikumsbeschimpfung auch ein Grund dafür, dass der um politische Korrektheit so bemühte Trainer ausgerechnet im EM-Final drei Spieler mit anderer Hautfarbe als Penaltyschützen aufstellte, obwohl sie sehr unerfahren oder an diesem Turnier kaum eingesetzt worden waren. Wollte der Coach ein gesellschaftspolitisches Signal aussenden? War ihm das Sinnbild seiner guten Gesinnung wichtiger als die erfolgreiche Elfmeter-Taktik?

Ausgeschlossen ist das nicht. Aber wahrscheinlich hat sich Southgate einfach nur fürchterlich vercoacht, als er so kurz vor dem Ziel die Niederlage einwechselte. Die Ironie ist, dass Gutmenschen wie der England-Trainer, die den Sport für ihre politischen Botschaften vereinnahmen, die Missstände oft erst provozieren, die sie eigentlich zu bekämpfen vorgeben. Denn wer auf Vorrat die Leute als Rassisten beleidigt, bekommt Rassisten. Hass schafft Gegenhass.

Es ist wie eine Prophezeiung, die sich selbst erfüllt. Der neue Tugend- und Opferkult frisst wie Säure am Gewebe der Gesellschaft. Die Selbstverständlichkeit des Zusammenlebens geht verloren, wenn sich Politik und Medien ins Trennende verbeissen. Vielleicht ist genau dies das Ziel. Die Prediger des Rassenzanks säen Zwietracht, um leichter zu befehlen und zu herrschen. Divide et impera.

Wer Menschen dauernd auf ihre Hautfarbe, auf Äusserlichkeiten reduziert, muss sich nicht wundern, wenn er Konflikte und Zerklüftung erntet. Antirassismus produziert Rassismus. Und am Schluss müssen die armen englischen Penaltyfehlschützen auch noch den Kopf hinhalten für all den Müll und die Ressentiments, die jene gehobenen Kreise aufkochen, die den Sport für ihre Politik missbrauchen.

Das Schauspiel ist von erhabener Lächerlichkeit. Gerade dieses EM-Turnier hat es doch erneut so wunderbar bewiesen: Unsere Gesellschaft ist nicht perfekt, bei weitem nicht, aber sie ist offener und toleranter als jemals zuvor. Die Fans pilgerten in die Stadien, um nach einem Jahr Corona das Leben wieder als Fest der Vielfalt und des körperlichen Beisammenseins zu feiern. Sie jubelten den Spielern zu, egal, welcher Hautfarbe.

Und sogar das Schweizer Team, diese Multikulti- Wundertüte selbstbewusster Ich-Darsteller, spielte sich mit Begeisterung und Leidenschaft endlich in die Herzen seines Heimatpublikums. Sport verbindet, wenn man ihn denn Sport sein lässt.

R.K.

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