Weltwoche Kommentar 24/25

Kommentar

Plädoyer für die Angsthasen

S

elbstzufriedene Angsthasen» seien die Schweizer, schreibt offensichtlich angstbefreit der Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung. Die Eidgenossen würden trödeln, zaudern und schlafwandeln, sich überkleinlich in Fragen der Neutralität verlieren, «ohne Sensorium für Krisen». Man sei dabei, die Gegenwart zu verschlafen, furchtsam, nicht bereit, die «unwägbare Zukunft» anzupacken. «Nimbus» und «Reputation» hätten bereits gelitten. Man müsse sich wieder Sorgen machen über die «internationale Geltung des Landes».

Auslöser des journalistischen Abgesangs oder besser gesagt: dieses Versuchs, die Schweiz auf grossräumige Umlaufbahnen umzupolen, ist die politische Diskussion um die Grossbank UBS. Bundesrat und Parlament wollen dem Unternehmen verschärfte Eigenkapitalvorschriften aufbrummen. Nach der Übernahme der kaputt gewirtschafteten Konkurrenzbank Credit Suisse ist die UBS so gross geworden, dass ihre Bilanzsumme ein Vielfaches des Schweizer Bruttosozialprodukts beträgt.

Sollte also dieses oder ein künftiges Management der UBS versagen und der Staat gezwungen sein, erneut den Rettungsfallschirm aufzuspannen, hätte dies zerstörerische Auswirkungen auf die Schweiz. Ob die von der Politik geplanten Massnahmen nun richtig und triftig sind, darüber streiten die Experten. Unstrittig aber ist, dass es der Politik nicht egal sein kann, wenn eine private, börsenkotierte Firma Dimensionen annimmt, die im Konkursfall das ganze Land ins Elend reissen können.

Interessant ist, dass die NZZ, und zwar ausgerechnet ihr Chefredaktor, nach dem Crash der Credit Suisse und deren Einverleibung durch die UBS das neue Gebilde uncharmant als «Monsterbank» betitelte, als sei das Blatt akut von ebenjener Angst befallen, von der es die Schweiz nun therapieren möchte. Heute hält die NZZ die Massnahmen, die sie damals forderte, für falsch. Das «Monster» sei gar keins. «Angsthasen» aber seien die, die das «Monster», vor dem die NZZ einst warnte, zähmen wollen.

Nun gibt es sicher gute Gründe, die Vorschriftenoffensive der Politik gegen die UBS zu kritisieren. Ich bin ein grosser Fan unserer Finanzindustrie und wünsche ihr für die Zukunft viel Erfolg, gerade auch der UBS, die so viel unverdiente Prügel einsteckte. Aber ich muss mich hier nun doch outen als entschiedener Befürworter der Angsthasen. Angst ist vernünftig, Angst ist eine Tugend in der Demokratie. Nur deshalb, weil wir als Kleinstaat ständig Angst hatten, gibt es uns noch nach über 700 Jahren.

Die Angst ist der Schweizer Erfolgsinstinkt des Überlebens. Zum Glück hatte die Schweiz so viele ängstliche, übervorsichtige Politiker, die nein sagten zu den unwiderstehlichen Moden und Ideologien ihrer Zeit, die sich aus den Kriegen und Kreuzzügen der anderen heraushielten, die sich verweigerten, nicht mitmachten, dagegenhielten, dem Soliden und Vernünftigen verpflichtet blieben statt dem bloss Grossen, das die Menschen auftürmen, immer wieder, damit sie ihrer unentrinnbaren Winzigkeit entfliehen.

Das Grosse bezaubert, verführt, blendet. Intellektuelle, Politiker und Journalisten sind besonders anfällig. Um so bemerkenswerter ist, dass sich die Schweiz dem ewig wiederkehrenden Lockruf der Grösse entzog. Wir machten nicht mit, als die Deutschen ihr «Grossdeutschland» aufzogen. Wir waren nicht begeistert, als uns Napoleon seinen imperialen Ambitionen unterjochte. Und hoffentlich haben wir die Kraft, heute jenen zu trotzen, die uns in die EU stürzen wollen, in die Nato oder in den Ukraine-Krieg.

Ja, ich bin froh, dass wir von Angsthasen regiert werden und nicht von Helden, die nach Grösse streben. Die Genialität der Schweiz besteht gerade darin, dass sie keine Helden braucht, den Heroismus meidet, die Scheingrössen und Scheinriesen, die es in die Politik zieht, an der Entfaltung hindert, aber eben auch jene Genies abblockt, die sich früher oder später immer übernehmen. Nicht Grösse, sondern Mittelmass regiert die Schweiz, Gott sei Dank, ihre meistunterschätzte Qualität.

Ich will es nicht verklären. Gerade ihre Kleinheit verdammt die Schweizer Politik zur Vorsicht. Angst macht besonnen. Das ist kein Stoff für Hollywood. Aber wir Schweizer können dankbar sein, dass wir in einem Land leben, das den militärischen Niederlagen Denkmäler setzt und weniger den Siegen. Ruhm und Grösse sind das Heroin der Politik. Unsere Staatsgründer haben es erkannt. Deshalb bauten sie den Staat als Anstalt der Ausnüchterung, als institutionalisierte Entziehungskur gegen machtberauschte Politik.

Zugegeben, die Kleinkariertheit und Langeweile unserer Politik ist für Betroffene gelegentlich schwer auszuhalten. Für die Bürger ist sie ein Segen, Grundlage ihrer Freiheit. Nur weil sie die Politiker so wirksam fesselt, sie ans Kleinräumig
kettet, ihre Macht begrenzt, konnte die Schweiz zum Sehnsuchtsort, zum internationalen Paradies der Freiheit werden. Grosse Politiker lassen die Bürger zu Zwergen schrumpfen. Die Schweizer verzwergen von alters her lieber ihre Politiker. Das ist ihr Trumpf.

Darüber kann eine NZZ nur spöttisch lächeln. Ihre Schweiz ist eine Schweiz der Grösse, der «internationalen Geltung». Sie hat «Stellenwert im Machtgefüge» und einen «globalen Fussabdruck». Vor allem aber hat sie Teufelskerle in der Politik, die keine Angst haben vor der EU oder vor der Nato, die sich nicht «haarspalterisch» bei der Neutralität aufhalten und pausenlos daran herumstudieren, «wie man die Neutralität genau definieren solle.» Gottseidank regiert nicht die NZZ die Schweiz.

Nein, unser Problem sind nicht die Besorgten, die Angsterfüllten, die Haarspalter, die endlos über Fragen brüten, die der NZZ zu mickrig sind. Unser Verhängnis sind so furchtlose Gestalten wie Rainer E. Gut oder Walter Kielholz, die nach der Swissair nun auch noch die Credit Suisse, Hausbank des Zürcher Wirtschaftsfreisinns, in die Pleite ritten. Doch für die freisinnige NZZ sind nicht die freisinnigen Manager schuld. Schuld ist nur der Staat, der nicht rechtzeitig ein paar Milliarden lockermachte.

Nicht die Harmlosen und Furchtsamen machen die Schweiz kaputt. Es sind die Forschen, die Tollkühnen und die Todesmutigen, die Internationalisten, die Neutralitätsverdrossenen und die EU-Anbinder, die der Schweiz gefährlich werden. Sie pfeifen auf die Weisheit unserer Vorfahren, auf die Erfahrungen und Lehren, denen die Schweiz ihren Wohlstand verdankt und ihre Existenz. Nicht gross sein zu wollen, erfordert wahren Mut. Gernegross sind viele. Gerneklein sind nur die Besten.

R.K.

Cover: Die Weltwoche; Bildvorlagen: Tom Ulrich/Solothurner Zeitung, Michel Canonica, Privatarchiv, Yanik Bürki/Kanton Graubünden

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