Weltwoche Kommentar 24/21

Kommentar

Genderstern des Aberglaubens

I

n amtlichen Schriften des US-Parlaments dürfen die Wörter Vater, Mutter, Sohn, Tochter nicht mehr vorkommen. Alles, was Rückschlüsse auf die biologische Identität einer Person erlauben könnte, ist verboten. Erlaubt sind nur noch neutrale Ausdrücke wie Eltern oder Kinder.

Auch in der Schweiz ist die «gendergerechte» Sprache auf dem Vormarsch. Das Schweizer Fernsehen hat längst angefangen, eine «nichtdiskriminierende» Wortwahl anzuwenden. Der Bund hat einen fast 200-seitigen Leitfaden für den geschlechterkorrekten Sprachgebrauch. Die Umformatierung des Sprechens und Schreibens ist in vollem Gang.

Ursprünglich ging es darum, die angeblich unterdrückten Frauen durch sichtbare sprachliche Hervorhebung ins Bewusstsein zu rücken. Doch im Zuge der Neuentdeckung und Vervielfältigung sexueller Identitäten und Vorlieben mussten neue Markierungen gefunden werden. Vorläufiger Höhepunkt ist der Genderstern *für alle, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen.

Was steckt dahinter? Viele halten den Genderstil für lächerlich, eine Verhunzung, aber insgesamt doch eher harmlos. Ich sehe es ganz anders. Für mich ist die Gendersprache ein Angriff auf die freie Gesellschaft. Man will den Leuten ein falsches Denken, eine erfundene Wirklichkeit einpflanzen.

Die Gender-Ideologie ist biologischer Marxismus: Sie konstruiert eine Scheinrealität von beliebig vermehrbaren und entschädigungsberechtigten Opfergruppen, die aufgrund ihres tatsächlichen oder eingebildeten Geschlechts diskriminiert und verachtet würden.

Die Gendersprache bedeutet in doppelter Hinsicht einen Rückfall hinter Aufklärung und Wissenschaft.

Erstens: Die Gender-Ideologen sortieren die Menschen nach der Biologie oder der sexuellen Vorliebe. Was jemand leistet, ist nichts. Ob jemand Mann, Frau, schwul, hetero, lesbisch oder trans ist, ist alles. Die Gendersprache wirft die Menschen zurück ins Gefängnis ihrer Abstammung, in den Kerker ihrer Gene.
Gegen die Freiheit der Leistung zieht die Gendersprache die Unfreiheit biologisch-sexueller Abstammungsgemeinschaften hoch. Sie zergliedert und spaltet die Menschheit in Stämme angeblich unterdrückter sexueller Minderheiten. Jeder darf ein Opfer sein und Geld verlangen.

Zweitens: Die Gendersekten beschwören einen Kult der Biologie, gleichzeitig setzen sie sich über die Biologie hinweg. Nicht die biologischen Geschlechtsorgane entscheiden über die sexuelle Identität. Der Mensch kann sich seinen Bio-Käfig selbst aussuchen. Und immer wieder wechseln. Das Geschlecht ist keine Frage der Organe, sondern des persönlichen Wollens. Der Mensch wird zum Kreationisten seiner selbst.

Für die totale Verflüssigung und Beherrschbarkeit des vom Körper befreiten sexuellen Ich steht der Genderstern. Er ist das Feldzeichen dieses modernen Aberglaubens, der den Menschen zum Schöpfer und Gestalter seiner eigenen Biologie erhebt. Menschen, die mit Penissen auf die Welt kommen, können Frauen sein, und Menschen, die Vaginas haben, können problemlos Männer sein.

Wie dieser Sektenbiologismus Leben zerstören kann, zeigt der Fall des Kanadiers David Reimer. Reimer kam 1965 als Bub zur Welt. Bei der Beschneidung wurde ein Teil seines Penis zerstört. Ein berühmter Psychiater, John Money, empfahl den Eltern, den Jungen zu kastrieren und als Mädchen zu erziehen. Das Menschenexperiment endete tödlich.

Brenda alias David rebellierte gegen die aufgezwungene, falsche Identität. Die Biologie war stärker als die Theorie des verrückten Psychiaters. Es kam zu operativen Geschlechtsrückumwandlungen, doch David Reimer fand den Tritt nicht mehr. Mit 38 Jahren brachte er sich um. Moneys gemeingefährliche Lehre hingegen – das Geschlecht sei anerzogen, nicht angeboren – avancierte zur Grundlage jener antiwissenschaftlichen Gender-Ideologie, die sich nun auch bei uns sprachlich ausbreitet.

D

as falsche Genderdenken wuchert krebsartig aus. Es frisst sich in die Sprache und soll sich von dort in unseren Hirnen festsetzen. Seine Verfechter sehen sich als moralisch überlegene Avantgarde von besonders Rücksichtsvollen und Empfindsamen. Wer sich ihren Sprachcodes verweigert, gibt sich als minderwertiges Individuum zu erkennen, als Reaktionär und Unterdrücker, der mit allen Mitteln der Diffamierung ausgegrenzt und bekämpft werden kann.

Was früher die Armbinde in totalitären politischen Parteien war, ist heute der genderkorrekte Sprachgebrauch, Zeichen der Unfreiheit, der Herde, des abgerichteten Kollektivs, eine Art Tätowierung, dass man zu den Guten gehört und sich ihrem Denken, Sprechen und ihren politischen Machtansprüchen folgsam unterworfen hat.

Die Sprache ist das präziseste Instrument zur Beschreibung der Wirklichkeit. Worte setzen genauer ins Bild als Bilder. Jeder Versuch, die Sprache gewaltsam umzubauen, ist ein Angriff auf das Denken. Die Gender-Ideologie schafft falsches Sprechen, falsches Schreiben, falsches Denken, falsche Opfer, falsche Täter, falsche Politik und falsches Handeln.

R.K.

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