Weltwoche Kommentar 22/21

Kommentar

Mutiger Rückzug

D

ie Schweiz bleibt vorerst unabhängig von der Europäischen Union. Die Volksrechte sind gesichert, die Staatssäulen gerettet. Vorderhand. Der Entscheid des Bundesrats, die Verhandlungen über ein institutionelles EURahmenabkommen abzubrechen, war mutig. Und richtig.

Medien und enttäuschte Politiker, die in die EU streben, blasen Trübsal. Das ist nichts Neues. Schon vor bald dreissig Jahren wurde der Schweiz der Untergang vorausgesagt, als sie sich einem EU-Kolonialvertrag verweigerte. Nichts von den Prognosen trat ein.

Die Niedergeschlagenen und Frustrierten können getröstet werden. Die Börse ging sogar leicht nach oben, nachdem der Bundesrat den Stecker beim InstA rausgezogen hatte. Auf den Märkten hält sich die Sorge über die eigenständige Zukunft unseres Landes in Grenzen.

Der Bundesrat hat es gut gemacht, zuletzt sogar richtig souverän. Klar und präzis kommunizierten an der ausschlaggebenden Medienkonferenz Bundespräsident Guy Parmelin und Aussenminister Ignazio Cassis, der zu Unrecht Vielgescholtene.

Der Tessiner liess tief blicken, als er den von vielen Medien überhörten Satz fallenliess: Das Rahmenabkommen hätte das Verhältnis zwischen der Schweiz und der Europäischen Union «fundamental verändert». Zum ersten Mal sprach Cassis es so deutlich aus.

Tatsächlich.

Der Rahmenvertrag wäre eine Neuauflage des EWR-Vertrags von 1992 gewesen. Die Schweiz hätte EU-Recht übernehmen müssen. EU-Richter hätten im Streitfall das letzte Wort gehabt. Mit Sanktionen und Guillotinen hätte die EU als faktischer Gesetzgeber hierzulande wirken können.

Erstaunlich war zuletzt die Heftigkeit, mit der auch Chefbeamte sich gegen eine Unterzeichnung stemmten. Staatssekretär Mario Gattiker und Chefverhandlerin Livia Leu wirkten fast etwas entsetzt, als sie davon berichteten, wie taub die EU auf Schweizer Forderungen reagiert hatte.

Schon Napoleon scheiterte daran, die Schweiz in sein zentralistisches Europa einzugliedern. Der Kaiser biss sich an der Alpenrepublik die Zähne aus. Die Schweiz ist von unten nach oben, Napoleons Reich war von oben nach unten konstruiert. Nicht viel hat sich bis heute an dieser Unvereinbarkeit geändert.

Es ist unmöglich, die Schweiz institutionell an ein anderes staatliches Gebilde anzudocken, ohne die Staatssäulen zu zerstören, denen das Land Wohlfahrt und Erfolg verdankt. Die Idee, man könne die Volksrechte, die kantonale Autonomie und die Neutralität unter EU-Recht und EU-Richtern wahren, ist Wunschdenken, eine Illusion.

Die Schweiz ist unabhängig, oder sie ist nicht mehr die Schweiz. Die Staatsform macht den Unterschied. Wer damit herumexperimentiert, spielt mit dem Feuer. Zum Glück hatte der Bundesrat die Kraft, das gefährliche Bestreben zu beenden.

Ist jetzt alles in bester Ordnung? Kann man sich zurücklehnen? Leider nein.

Der Bundesrat hat den Rahmenvertrag nicht aus innerster Überzeugung abgelehnt, sondern aus Angst vor der drohenden Niederlage in einer Volksabstimmung und aus den falschen Gründen. Auch wollte man der SVP für das Jahr 2023 nicht das Geschenk eines Europawahlkampfs machen.

Nicht vom Tisch ist das Institutionelle, sind die fremden Richter, das fremde Recht, die Guillotinen, die Sanktionen. Den Mechanismen der Rechtsübernahme hat der Bundesrat in den Verhandlungen zugestimmt, ein schwerer Fehler, den man korrigieren muss.

Allerdings: In der Regierung gibt es keine Mehrheit für einen neuen Bundesbrief im Zeichen der Souveränität. Ein Vorstoss, die institutionelle Bindung an die EU ausdrücklich auszuschliessen, kam nicht durch. Die Schweizer müssen wachsam bleiben.

Brüssel wird früher oder später mit anderen Verträgen kommen, neuer Wein in alten Schläuchen. Die Sehnsucht nach dem Nettozahler Schweiz bleibt gross. Brüssel hat viele Verbündete im Bundeshaus. Sie haben keine Absicht, ihren Traum von einer institutionellen Verschmelzung preiszugeben.

Falsch ist es jetzt, der EU Schmerzensgeld zu zahlen. In die Irre gehen auch die Pläne der Justizministerin, noch mehr Schweizer Recht der EU anzupassen. Die Schweiz muss es anders und besser machen als die andern. Nur so bleibt sie erfolgreich.

Am besten ist es, wenn die Schweiz fürs Erste einmal gar nichts tut. Es braucht keine Lösungen, wenn es keine Probleme gibt. Die Schweiz hat doch mit der EU kein Problem. Hat die EU eines mit der Schweiz, einem ihrer besten Kunden? Die guten, gleichberechtigten Beziehungen gehen weiter.

R.K.

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen