Weltwoche Kommentar 21/23

Kommentar

Frieden auf der Welt

A

uch Deutschland ist ein wunderschönes Land. Selbstverständlich. Wir sind zu Besuch bei Korbinian Kohler, dem SelfmadeHotelkönig vom Tegernsee. Der Unternehmer hat hier ein Zauberland für Familien errichtet. Ich kannte die Gegend nur aus Prospekten und Erzählungen, aber es stimmt. Wir betreten ein Paradies. Womit haben wir Menschen eigentlich so schöne Landschaften verdient?

Korbinian entstammt einer Unternehmerfamilie. Die altehrwürdige Papiermanufaktur Gmund, älter als der schweizerische Bundesstaat, produziert seit ­Generationen edelstes Papier. Sein älterer Bruder hat den Betrieb übernommen. Wir erleben ihn auf der Bühne an der von ihm gegründeten Konferenz «Unfolded», einem Stelldichein der internationalen Papier-, Designer- und Grafikerbranche, auch viele Medienschaffende sind dabei.

Das Wetter ist regnerisch, aber unter den Schleiern von Wolken und Niederschlag funkelt dieser Garten Eden der Gebirge und Gewässer, eine Art St. Moritz Deutschlands, allerdings ohne die Bunkerarchitektur, die so viele Berggebiete verschandelt hat. Ich fühle mich an meine Kindheit erinnert, als wir mit den Grosseltern in den Schwarzwald fuhren. Hier ist die Welt in Ordnung.

Korbinian Kohler hatte während ein paar Jahren zusammen mit seinem Bruder den väterlichen Betrieb geleitet, dann machte er sich als Immobilienentwickler selbständig und stieg ins Hotelgeschäft ein. Sein Rezept: Mach es anders und besser als die andern. «Bachmair ­Weissach» heisst die von ihm aufgebaute ­Gruppe, es sind hochinnovative, sympathische Familienhotels.

Warum ich das erzähle? Weil Deutschland momentan im Negativismus versinkt. Tägliche Lawinen schlechter Nachrichten drücken aufs ­Gemüt. Die Deutschen sind noch selbstkritischer als die Schweizer, vielleicht auch melodramatischer, darum leiden sie lauter an sich als wir. Kohler ist eines jener Millionen Gegen­beispiele, die es eben auch gibt, über die man aber zu wenig redet.

Auch am zauberhaften Tegernsee begegnet einem die deutsche Angst. Viele sehen schwarz für die Zukunft. Man ist zwar entsetzt über den Krieg in der Ukraine, niemand verteidigt hier die Russen, aber ich spüre, dass die Leute, mit denen wir reden, auch das um sich greifende Weltkriegsfieber stark beschäftigt. Einige fragen mich, wie man am schnellsten Schweizer wird. Antwort: Bleibt hier!

Das ist nicht als Abwehr gemeint oder unfreundlich. Ich bin der festen Meinung, dass Deutschland – wie die Schweiz, wie alle Länder – grossartig ist. Die Deutschen sind Weltmeister der Tüchtigkeit. Es grenzt an ein Weltwunder, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Trümmerhaufen in eine blühende Landschaft verwandelt haben. Da sind die heutigen Probleme fast nichts dagegen. Die Deutschen müssen sich wieder um Deutschland kümmern – die Chancen sind gigantisch.

Hier am Tegernsee schöpfe ich Kraft – und Zuversicht. Es gibt so viele vernünftige Menschen.

Klar, wie wir alle im Westen sind auch die Deutschen im Überfluss etwas dekadent geworden. Mit Goethe: «Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Folge von guten Tagen.» Die Wähler wählten grün, die Mehrheit hängte den Gutmenschen raus. Man schaute den Politikern zu wenig genau auf die Finger, auch den bürgerlichen, und heute haben viele das Gefühl, sie würden von Flaschen regiert.

Mag ja sein, aber die Flaschen sind ja gewählt worden, und wer eine Flasche wählt, ist am Ende selber eine. Also: Das bequeme Moralisieren über die Unfähigkeit «derer da oben» hilft nicht. In der Demokratie, der am wenigsten schlechten aller bekannten Staatsformen, gilt: Der Wähler ist der Chef. Er muss korrigieren, was er sich ­selber eingebrockt hat.

Ich glaube an Deutschland. Ich glaube an Europa. Natürlich glaube ich an die Schweiz. Weil ich an die Menschen glaube. Wir sind zwar eine auch durchaus himmeltraurige Spezies mit allerlei unerfreulichen Eigenschaften, doch ebenso sind wir beeindruckend, berührend, endlos faszinierend, sogar im Bösen, und am Ende streben wir, oft ohne es zu wollen, dem Guten zu.

E

s stimmt ja. Derzeit ist die Menschheit aus dem Tritt. Die Amerikaner wirken überheblich und etwas paranoid, eine gefährliche Mischung. Die Russen schlagen um sich, weil sie sich nicht geachtet fühlen. Die Chinesen, Klassenstreber der Welt, sind so erfolgreich, dass die alten Platzhirsche im Westen damit nicht fertig werden. Und die Europäer kranken an der von ihnen geschaffenen EU, die nicht funktioniert, weil alle für alles verantwortlich sind und niemand für etwas.

Positiv formuliert: Es kann nur aufwärtsgehen. Oder nennen wir es angewandtes Gottvertrauen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschen ihren Planeten, ihre einzige Heimat, in einem Strudel von Wahnsinn oder in sinnlosen, eigentlich von niemandem gewollten Kriegen verheizen werden. Nicht nachhaltig ist die Verrücktheit der Gegenwart, und deshalb sind Veränderungen zum Guten unvermeidlich.

Hier am Tegernsee schöpfe ich Kraft – und Zuversicht. Es gibt so viele vernünftige Menschen. Keiner ist zufrieden damit, wie es läuft. Alle möchten es anders und besser machen. Wie Korbinian. Ist das nicht überall so auf der Welt? Die Menschheit steht immer mal wieder neben den Schuhen, auch heute. Aber alle wissen: Wir müssen Frieden machen, zusammenarbeiten. Es kommt gut.

R.K.

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