Weltwoche Kommentar 2/24

Kommentar

Brüssel diktiert, Bern kapituliert

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Bundesrat Cassis und die EU haben sich auf einen neuen Rahmenvertrag geeinigt. Der Entwurf liegt vor. Auf Englisch. Obwohl Grossbritannien gar nicht mehr EU-Mitglied ist. Der Vertrag wäre verheerend für die Schweiz. Die Gefahr aber ist so gross wie nie, dass er durchkommt.

Die EU ist faktisch pleite. Deshalb braucht sie die Schweiz. Als Nettozahler und Migrationsventil für Arbeitsplätze. Das soll der Vertrag sicherstellen. Die Schweiz würde sich zudem verpflichten, EU-Recht zu übernehmen. Im Streitfall hätten EU-Richter das letzte Wort in unserem Land.

Hat da jemand Kolonialvertrag gesagt?

Niemals hätte der Bundesrat solchen Forderungen zustimmen dürfen. Er hat sie aber akzeptiert aus Angst, die EU zu verärgern. Angst produziert Unehrlichkeit: Den Schweizern erzählt man, der Vertrag sei in ihrem Interesse. Das aber ist er nicht. Die Schweiz würde zum Anhängsel, zur EU-Kolonie.

Nur dank der SVP und den Gewerkschaften konnte das Unheil bisher abgewendet werden. Aus der Wirtschaft regt sich ebenfalls Widerstand, doch die grossen Verbände sind dafür. Schätze ich die Situation richtig ein, könnte die Gegenwehr bald einbrechen. Geben die Gewerkschaften nach?

Zu befürchten ist es. Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard hält zwar in Interviews nach wie vor dagegen, doch ist sein Motiv stark genug? Die Linke hat Angst, zu Recht, ihre sozialen Errungenschaften fielen durch den EU-Vertrag dahin. Deshalb fordert Maillard von Brüssel Garantien. Noch bekommt er sie nicht.

Das kann sich ändern. Die bürgerlichen EU-Skeptiker gehen davon aus, dass man die Gewerkschaften mit der Aussicht auf Mindestlöhne für den Rahmenvertrag gefügig macht. Benutzt Maillard den Vertrag als Hebel, um Mindestlöhne und andere gewerkschaftliche Forderungen durchzudrücken?

Doch Maillard macht einen Denkfehler. Die EU will «dynamische» Verträge, die sie einseitig abändern darf. Wie sicher sind soziale Garantien, die ausschliesslich von jener Vertragsseite abhängen, die den Vertrag jederzeit in ihrem Sinn ändern und alle Ausnahmen wieder streichen kann?

Knicken die Gewerkschaften ein, sehe ich für die EU-Gegner schwarz. Das Parlament will die Anbindung. Die Mehrheit der FDP ist ebenfalls dafür. Die Mitte hat keine klare Haltung und wird im Zweifel dort mitmachen, wo die Mehrheit ist. Die SVP allein ist zu schwach, um die Unterwerfung zu stoppen.

Schon 1992 jonglierten sie mit Untergangsszenarien. Nichts davon trat ein.

Jammervoll ist die Unentschlossenheit der Liberalen. Die FDP hat den «freisinnig-demokratischen Rechtsstaat Schweiz» (Willy Bretscher) aufgebaut, seine Unabhängigkeit verteidigt. Den alten Freisinnigen war klar: In der Schweiz bestimmen die Schweizer, nicht ausländische Kommissare.

FDP-Präsident Thierry Burkart fordert die Unterwerfung. Weil es bequemer ist. Die Wirtschaftsverbände gehorchen den Grosskonzernen, in denen Nichtschweizer Manager den Ton angeben ohne Musikgehör für die Schweiz und die direkte Demokratie.

SVP allein auf weiter Flur? Die Volkspartei ist auf die Hilfe von Unternehmern und unabhängigen Organisationen wie Kompass/Europa oder Pro Schweiz angewiesen. Die Medien weibeln für den EU-Vertrag, am extremsten die Neue Zürcher Zeitung, Zentralorgan der EUFreunde.

Einst konnten sich Christoph Blochers Mitstreiter auf die Bevölkerung verlassen. Gegen eine Übermacht von Befürwortern brachte Blocher 1992 ein hauchdünnes Nein zustande gegen den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), der Vorstufe zur EU.

Inzwischen sind über dreissig Jahre vergangen. Die Schweiz hat sich verändert. Hunderttausende sind eingebürgert worden, vor allem Deutsche. Sie haben ein anderes Verhältnis zur EU, weniger kritisch, aus Gründen der eigenen Geschichte. Werden sie in einer Volksabstimmung den Ausschlag geben?

Es wäre eine bittere Ironie. Ausgerechnet die Deutschen, die ihrer Heimat den Rücken gekehrt haben, weil sie in der Schweiz ein besseres Deutschland sahen, ausgerechnet sie könnten die Schweiz nun ins gleiche EU-Schlamassel stossen, dem sie doch eigentlich entkommen wollten.

Die Gefahr ist gross. Der Rahmenvertrag wäre das Ende der Schweiz, wie wir sie kennen. Unsere Unabhängigkeit wäre dahin, die direkte Demokratie reine Folklore. Die Schweizer, Indianer im eigenen Land, könnten nur noch abnicken, was andere für sie in Brüssel bestimmen.

Die Verfechter der Unterwerfung spielen es routiniert herunter. Wir seien doch immer noch frei, ohne den Vertrag aber ginge unsere Wirtschaft ein. Schon 1992 jonglierten sie mit Untergangsszenarien. Nichts davon trat ein. Bereits damals gab es für die Schweiz ein Leben ausserhalb der EU.

Sollten die Gewerkschaften fallen und der Vertrag zustande kommen, wäre dies aus liberaler Sicht der Super-GAU. Ein grosser Trumpf der Schweiz sind die freien Arbeitsmärkte. Im Zuge der EU-Masseneinwanderung ist diese Freiheit bereits massiv beschnitten worden.

Käme nun Maillard auch noch mit seinen Mindestlöhnen durch, wäre die Verbrüsselung der Schweiz Tatsache: Neben der Zwangsjacke der «flankierenden Massnahmen» hätten wir den Mindestlohn sowie den Schwitzkasten eines Rahmenvertrags. Gift für den Wohlstand.

Vielleicht muss es einem Land erst viel schlechter gehen, damit es merkt, was ihm eigentlich guttut. Die Schweiz steht auf der Kippe, der EUVertrag droht durchzurutschen. Es wird heroische, fast übermenschliche Anstrengungen der Gegner brauchen, um diesen Absturz zu verhindern.

Der frühere SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz sagt es so: Brüssel diktiert. Bundesbern kapituliert. Die EU will die Schweiz einpacken. Darum ist Widerstand Pflicht.

R.K.

Cover: DannyOliva/Shutterstock

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