Weltwoche Kommentar 2/22

Kommentar

Danke, Marc Walder

W

ir leben in moralistisch durchtränkten Zeiten. Der Egoismus des Scheinguten regiert. Besonders die Medien schwingen sich zu neuen Gesinnungskirchen hoch, stets lauernd, verurteilungssüchtig, Journalisten als schreibende Inquisition, Schauprozessankläger, so virtuos jonglieren und verdrehen sie Worte und Schlagzeilen, treffsicher jene «Narrative» und Scheinwirklichkeiten fabrizierend, mit denen sie glauben, sich im Urteil ihrer Kollegen als Treuhänder des Wahren und vor allem des Guten zu bewähren.

Letzte Woche fanden die Meinungs-Jakobiner ein superdankbares Ziel, den Ringier-Verlag, oft selber auf den Rasierklingen des Moralismus reitend, und dessen Wunderkind-CEO Marc Walder, aufgestiegen vom darbenden Tennisspieler zum Mitbesitzer, kosmische Laufbahn, heute Hansdampf auf allen und längst zu vielen Hochzeiten, der seinen Kritikern den Gefallen tat, sich ihnen durch ungewollte Ehrlichkeit zum Festschmaus auszuliefern.

Was für eine Schlacht, welche Party: Kaum jemand glaubt sich die Chance entgehen lassen zu dürfen, den Verlagschef und sein Unternehmen so richtig in den Senkel zu stellen, alle glücklich vereint im Bestreben, sich moralisch gesundzustossen an Ringier, dem internationalsten Verlag der Schweiz, glorreich aufgebaut von einer aus Frankreich zugewanderten Hugenottenfamilie.

In seinem mittlerweile weltberühmten CEOTalk, der über ein Jahr alt ist, erklärt Walder freizügig, dass seine Firma, an der er 7 Prozent besitzt, auf seine Initiative hin einen regierungsfreundlichen Pandemie-Kurs gefahren sei. Man habe entschieden, die Behörden zu «unterstützen », ihnen «verantwortungsvoll» zu helfen, anstatt im allgemeinen Nebel der Ungewissheit auf die Barrikaden des Widerstands zu steigen. So ungefähr hat er es ausgedrückt.

Seither pfeift und brodelt es fürchterlich in den Dampfkochtöpfen der Medienindustrie, und Marc Walder, geschmeidiges Netzwerkchamäleon, Aufstiegswunder mit nachlassender Bodenhaftung, durchleidet nun den Shitstorm seines Lebens, sieht sich plötzlich angeklagt als die Verkörperung des Bösen, als Inbild all dessen, was die Konkurrenz zum Monster aufbläst, um damit die eigene journalistische Unbeflecktheit vorzugaukeln.

Schwer verunsichert vom Dauer-Pressing der Empörten, machte Walder den grössten Fehler, den ein Mann in seiner Lage machen kann. Anstatt seinen Kritikern die Zähne zu zeigen und beherzt zur eigenen Meinung zu stehen, die man ja nicht teilen muss, entschuldigte er sich. Danach fielen sie, berauscht durch des Opfers Schwäche, erst recht über ihn her.

Bis hinauf nach Deutschland oder in die weiten Ebenen Österreichs drang die Kunde vom «regierungstreuen Ringier-Verlag», ganz als ob in diesen beiden Ländern der regierungskritische Journalismus erfunden worden wäre. Ausserdem habe sich Konzernchef Walder, Kapitalverbrechen, in die Arbeit seiner Redaktionen eingemischt, anstatt nur Zahlen zu sortieren.

An der Causa Ringier entfalten und entladen sich gerade die Lebenslügen einer Branche.

Von «Zwang» und «Weisungen» ist da in fantasiebegabter Wut die Rede, der harmoniebetonte Walder wird hingedichtet zum putinesken Redaktionstyrannen, der eherne Gesetze missachtet habe, die heilige Unabhängigkeit der Journalisten, die sich, wenn man die Artikel liest, tatsächlich einzubilden scheinen, die Verlage, bei denen sie angestellt sind, gehörten ihnen. Nieder mit den Eigentümern, alle Macht den Volontären! Köstlich.

An der Causa Ringier entfalten und entladen sich gerade die geballten Lebenslügen einer Branche, dabei müssen wir Marc Walder dankbar dafür sein, dass er diese Kathedrale der Verlogenheit mit seiner unfallartigen Offenherzigkeit zum Einsturz brachte. Es ist, als platze eine Eiterbeule.

Natürlich waren die Medien während Corona viel zu nahe dran am Staat, allen voran, aber nicht nur Ringier mit seinen «Dîners républicains », mit seinen Homestorys und Hofberichten über Alain Berset, den grossen Medizinmann, auf den man gar nichts kommen liess, Journalismus und Politik heillos verknäuelt, verklumpt, kommunizierende Echokammern mit Netzwerkzauberer Walder im täglichen Dauertelefongespräch mit Busenfreund Berset, und am Ende war niemandem mehr klar, wo der Verlag endet und der Bundesrat beginnt.

Das alles fliegt jetzt auf, zum Glück, doch die ungesunde Nähe, die hautenge Verflechtung zwischen Staat und Medien war schon lange sichtbar für alle, die es sehen wollten. Die Frage lautet nur: Warum merken es die anderen Journalisten erst jetzt? Und: Machten sie es denn so viel besser?

Kaum. Die meisten Zeitungen schrieben während Corona brav den Regierungen hinterher, beteten nach, was oben verlautbart wurde, stellten Kritiker reflexhaft ins Abseits als Rechtsextreme, als Verschwörungsspinner. Ringier trieb die Staatsergebenheit einfach ein paar Schraubendrehungen weiter als die Ringier-Kritiker, die sich jetzt so scheinheilig am Boulevardhaus die Schuhe abputzen.

Doch, o Wunder, der Wind scheint zu drehen. Aufgeschreckt durch den Walder-Chlapf und die beunruhigten Leser, überbieten sich die Zeitungen plötzlich mit Corona-kritischen Artikeln. Der Blick deckte auf, dass die Spitäler auch Hüftpatienten und Unfallopfer in die Covid- Statistiken aufnahmen, die sich erst nach der Einweisung angesteckt hatten. Auf einmal lesen wir im Tages-Anzeiger von der Unfähigkeit der Behörden, die Intensivkapazitäten hochzufahren.

Was ist passiert?

Klar: Es geht auch auf die Medienförderungsabstimmung zu. Millionen Subventionen stehen auf dem Spiel. Viele Verlage drängen an die Futtertröge. Walders Bekenntnisse sind Gift für die Vorlage, deshalb fühlt sich die Branche jetzt gedrängt, dem Publikum ihre Unabhängigkeit vom Staat mit Nachdruck vorzuführen.

Vielleicht allerdings steckt mehr dahinter, etwas Gutes: Manchmal braucht es einen Knall, damit man aufwacht, die Dinge wieder klarer sieht. Möglich, dass der Ringier-Knall als Augenöffner wirkt, als heilsame Karambolage mit der Wirklichkeit. Danke, Marc Walder.

R.K.

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