Weltwoche Kommentar 14/21

Kommentar

Bundesräte im Ausland entzaubern sich

D

er Bundesrat plant, die letzte Verhandlungsrunde ums institutionelle EU-Rahmenabkommen direkt in Brüssel zu führen. Die Rede ist von einem Treffen auf «allerhöchster Stufe».

Die Medien sind begeistert. Endlich ermannt sich unsere Regierung zum heldenhaften Schlussakt, zum ruhmvollen Finale in diesem seit Jahren sich quälend dahinschleppenden Geschäft.

Der Bundespräsident steht bereit. Auch der Aussenminister soll aufgeboten werden. Jüngste Idee ist, das Männerduo durch die Justizministerin zum Diversity-Trio aufzurüsten.

Richtig wäre das Gegenteil. Die Bundesräte sollten zu Hause bleiben. Im Ausland verhandelnde Bundesräte sind ein Sicherheitsrisiko für die Schweiz.

Es kam nicht gut heraus, als seinerzeit Verkehrsminister Moritz Leuenberger in Berlin über den Flugverkehr verhandelte.

Der Abstecher von Bundesrat Hans-Rudolf Merz nach Nordafrika, um Diktator Gaddafis Libyen-Geiseln zu befreien, war ein Horrortrip für Merz und für die Schweiz.

Ein oberflächlicher Blick in die Geschichtsbücher müsste eigentlich genügen, um die Bundesräte von der Inszenierung ihrer vermeintlichen Bedeutsamkeit auf ausländischen Bühnen abzuhalten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schickte die Regierung ihren Unterhändler Walter Stucki zu schwierigen Verhandlungen nach Washington. Die sieben Bundesräte hielten glorreich die Stellung in Bern.

Virtuos zog Stucki die Amerikaner über den Tisch. Immer wenn es brenzlig wurde, musste er zurück in die Schweiz, um angeblich seine Chefs zu fragen. Die Zermürbungstaktik wirkte Wunder.

Diese schweizerische Doppelpass-Diplomatie über den Ozean hinweg war meisterhaft. Sie verlangte von den Beteiligten aber einen gewissen Selbstverzicht, Zurückhaltung, Bescheidenheit.

Minister Stucki, kein Mann von mangelhaftem Selbstvertrauen, musste nach aussen den diensttreuen Untergebenen mimen, der keinen Bleistift anfasst ohne Befehl aus Bern.

Die Bundesräte wiederum mussten bereit sein, sich hinter dem Mysterium ihrer imponierenden Unsichtbarkeit zu verstecken. Die im Dunkeln sieht man nicht.

Indianerhäuptlinge sind am eindrucksvollsten dann, wenn sie ihr Zelt nie verlassen.

Aber man respektiert sie. Nie waren Ansehen, Nimbus und Einfluss des Bundesrates grösser als damals. Indianerhäuptlinge sind am eindrucksvollsten dann, wenn sie ihr Zelt nie verlassen.

Das ist längst vorbei. Heute sind die Bundesräte die Ersten, die der Verführung der Kameras und der Medien erliegen. Dem Druck, jemand zu sein, etwas zu verkörpern, kann niemand widerstehen.

Journalisten lechzen nach Bildern. Aber noch mehr nach Bildern lechzen die Politiker. Der symbolträchtige Auftritt überspielt, ersetzt oft die Substanz der Politik.

Bundesräte, die in Bern bleiben, bewahren ihr Geheimnis. Bundesräte, die im Ausland auftrumpfen wollen, entzaubern sich selbst.

Und sie überschätzen sich. Bundesräte sind keine Premierminister. Sie haben weder Weisungs- noch Richtlinienkompetenz. Sie haben keine richtige Macht.

Solange sie das Land nicht verlassen, bleibt der Mythos ihrer Autorität und Weisheit erhalten. Solange sie sich rarmachen, wirken sie grösser, als sie es jemals werden können.

Die Genialität der Schweiz liegt in der Staatsform, nicht im Personal. Es ist für den Bundesrat ein immenses Privileg, nicht in den Schützengräben der Aussenpolitik herumrobben zu müssen.

Tut er es trotzdem, erniedrigt er sich, macht er sich zum Bittsteller des Auslands, offenbart er seine institutionell gewollten Schwächen, die sonst verborgen blieben.

Nichts ist stärker als eine Regierung, die sich nicht zeigen muss. Die hinter den Kulissen wirkt, ihre Spitzenleute vorschickt, um abzuwarten und aus der sicheren Distanz zu führen.

Der Bundesrat sollte sich nicht kleiner machen, als er ist. Er sollte auf den Bitt- und Kriechgang nach Brüssel verzichten.

Wenn die EU der Schweiz noch etwas offerieren will, ist sie herzlich willkommen in Bern. Möchte sie das nicht, kann der Bundesrat den institutionellen Vertrag reinen Gewissens beerdigen.

R.K.

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