Schreiben, was ist
ir durchleben stürmische Zeiten. Zwei Jahre Pandemiepolitik sind überstanden. Jetzt tobt in Europa ein Krieg, den niemand gewollt hat und den niemand brauchen kann. Beide Ereignisse überlagern und verstärken sich. Sie befördern ein Klima lauernder Einfalt. Eine selbsternannte Meinungsmafia kontrolliert die Korridore angeblich zulässiger Wortmeldungen.
Bei Corona war es lange verboten, die Frage nach der Verhältnismässigkeit der Massnahmen aufzuwerfen. Wer es dennoch wagte, wurde von den Medien, diesen Grillmeistern der erwünschten Gesinnung, auf den Scheiterhaufen spediert. Im Ukraine-Krieg steht jedes selbständige, nuancierte Denken ebenfalls wieder unter Generalverdacht.
Woran erkennt man Propaganda? Ganz einfach daran, dass jede um einen halben Millimeter vom Mainstream abweichende Meinung sofort als Beweis für Landesverrat gedeutet wird. Wer nicht unsere Sicht vertritt, arbeitet für den Feind! Wir erleben die Rückkehr des kalten Kriegs in den Köpfen, diesmal nicht als behördlich befohlenen Konformismus von oben, sondern als vorauseilende Selbstzensur der Journalisten von unten.
Ich erlebe es derzeit in Deutschland. Die gleichen Kollegen, die unter dem Einheitsbrei der Corona-Diskussion noch seufzend gelitten und diese sogar mit wachsender Verzweiflung angeprangert haben, packen nun ihrerseits die Meinungsfuchtel aus, die sie auf alles niedersausen lassen, was ihrer Interpretation der Vorgänge in der Ukraine zuwiderläuft.
Nehmt es mir nicht übel, aber ich habe den Eindruck, dass es vielen wortreich Empörten weniger um das Grauen des Krieges als um die Zurschaustellung des eigenen Gutseins geht. Im Überbietungswettbewerb der Putin-Dämonisierung zum Beispiel ist die Eskalationsstufe «Hitler» im Grunde schon vor dem Krieg latent erreicht worden. Seit ein paar Wochen brechen alle Dämme.
Der psychologische Mechanismus dahinter ist wohlbekannt. Wer den leibhaftigen Teufel dingfest macht, macht sich damit selber wenn nicht zum Heiligen, so doch immerhin zum unbezweifelbar Guten. Das Wühlen im Bösen dient so der verführerischen Selbsterhebung in einen exklusiven Kreis, der seinen moralischen Überlegenheitsanspruch mit schriller Intoleranz verteidigt.
Der Trick der Moralisten allerdings besteht darin, die Logik zu beerdigen.
Bei deutschen Journalisten habe ich dafür noch ein gewisses Verständnis. Die Geschichte ist die Brille, durch die wir die Gegenwart betrachten. Für deutsche Medien bietet sich die einmalige Chance, den Hitler, den man in der Wirklichkeit nicht stoppte, nun, angeblich wiedergeboren als Putin, auf Vorrat auszuschalten. Die Versuchung ist übermächtig, historische Schuldlasten abzutragen. Auf den Schlachtfeldern der Ukraine wiederholen sie die verlorenen Kämpfe der Vergangenheit.
ch als Schweizer wiederum neige zu einer neutralistischen Verformung des Blicks. Wir Kleinstaatler haben Mühe, die Welt in Gut und Böse aufzuteilen. Wir gehen neigungsgemäss, Hoteliers der Geopolitik, von der Annahme aus, dass alle Seiten irgendwie recht und irgendwie unrecht haben könnten. Wir sind wahrscheinlich zu wohlmeinend. In den Augen der Schwarzweissmaler macht uns dies zu naiven Mitläufern, ja Rechtfertigern und Lobsängern des Bösen. Neutralität ist Hochverrat!
Leider hat unser Bundesrat dieses falsche Denken übernommen, sich allerdings selbsthypnotisch vorgaukelnd, die Neutralität, die man gebrochen hat, sei immer noch intakt. Die Schweiz ist Kriegspartei gegen Russland, und bereits ist im Innern das Einknicken zu spüren. Der nichtmehrneutrale Bundesrat gibt jetzt zur Ukraine die offizielle, amtliche Meinung durch – Einfalt vor Vielfalt, die demokratische Diskussion durch seine Parteinahme behindernd.
Die Neutralität des Staates ist ein Damm gegen die Lava der Emotionen. Aber sie bietet auch der persönlichen Meinung Schutz. Wer sich jetzt abweichend zu Wort meldet, fällt in kriegerischen Zeiten automatisch der eigenen Regierung in den Rücken. Mit seinem Neutralitätsbruch befördert der Bundesrat die selbstgerechte Meinungsdespotie, die Gleichförmigkeit, die lärmige Arroganz der angeblichen Mehrheit gegenüber der andersdenkenden Minderheit, die vielleicht die stille Mehrheit ist.
Es ist bezeichnend für eine kastrierte halbseitig gelähmte Debatte, wenn bereits der Versuch, die Lage sachlich zu beschreiben, von den neuen Inquisitoren zur kriminellen Rechtfertigung des Aggressors verdreht wird.
Ja, die Russen haben legitime Sicherheitsinteressen in der Ukraine. Ja, die Ukraine ist ein korrupter Staat. Ja, die Regierung unterdrückt die russische Minderheit. Ja, der Westen hat gegenüber Russland grosse Fehler gemacht. Aber nein, nichts von alldem rechtfertigt einen Krieg, dieses wechselseitige Eingeständnis eines totalen Scheiterns der Russen und der Ukrainer, ihre Probleme politisch aus dem Weg zu räumen.
chreiben, was ist, ist etwas fundamental anderes als schreiben, was sein soll. Man kann aus Ist-Sätzen logisch nicht auf Sollenssätze schliessen. Beschreibungen sind keine Rechtfertigungen. Der Trick der Moralisten allerdings besteht darin, die Logik zu beerdigen, den Nichtmoralisten das Bemühen um Sachlichkeit moralisch zum Vorwurf zu machen. Verleumden statt verstehen, lautet die Devise.
Journalismus beginnt dort, wo man ausspricht, was die Meinungsmafia nicht hören will. Bedingungslose Sachbezogenheit bleibt gerade in kriegerischen Zeiten erste Pflicht.
R.K.