Weltwoche Kommentar 03/21

Kommentar

Moral-Supermacht Schweiz

S

chweizer Politiker fordern eine härtere Gangart gegen China. Die Linken treiben es voran. Sie erhalten Zustimmung bis in die Mitte von CVP und FDP.

Die Schweiz soll von ihrer neutralen Position abrücken. Gefordert werden deutlichere Stellungnahmen des Bundesrats. Manche möchten die Arsenale der Sanktionen aufrüsten.

Unterstützt werden sie von den Medien und von den Universitäten. Der Basler Europaforscher Ralph Weber findet es eine gute Idee, wenn die Schweiz «schwere Menschenrechtsverstösse » Pekings ahndet.

Vom emeritierten Wirtschaftsrechtler Thomas Cottier ist der Rat zu hören, die Schweiz möge sich künftig gegen China an den Sanktionen von Grossmächten wie den USA oder der EU beteiligen.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker, eine Nichtregierungsorganisation, ist überzeugt, die Teilnahme der Schweiz an diesem Wirtschaftskrieg sei eine Chance für die Schweizer Wirtschaft.

SP-Nationalrat Fabian Molina möchte dem Bundesrat die Kompetenz geben, «Kontound Einreisesperren» gegen «hochrangige ausländische Politiker» zu verhängen bei «schweren Menschenrechtsverletzungen» oder «Korruptionsfällen».

Diese «Smart Sanctions» sollen die «negativen humanitären Auswirkungen» umfassender Wirtschaftssanktionen vermeiden helfen.

Wirtschaftskrieger Molina möchte eine möglichst saubere Weste behalten. Und die Schweiz könnte gezielter zuschlagen gegen Staaten, die nicht so ziviliert sind wie sie.

Wer aber entscheidet, wer die Bösen sind?

Nichts ist gefährlicher als Politiker, die sich auf einem Kreuzzug für das Gute wähnen. Sie neigen dazu, auf dem Weg in ihr Paradies die Wirklichkeit für alle anderen in eine Hölle zu verwandeln.

Die Schweiz darf sich auf diesen gefährlichen Irrtum nicht einlassen. Keinesfalls darf sie sich hineinziehen lassen in diesen kriegerischen Moralismus der Guten und der Linken.

Die Schweiz ist ein neutraler Staat. Sie fängt keine Kriege an. Sie beteiligt sich auch nicht an Kriegen Dritter, egal, ob es Wirtschaftskriege sind oder Präzisionsattacken durch «Smart Sanctions».

Neutralität heisst: Die Schweiz geht im Frieden keine Bündnisse ein, die sie in die Kriege anderer verstricken können. Man hält freundlich Abstand. Zu allen. Immer.

Die Neutralität ist eine Errungenschaft, die schwer erworben, aber leicht verspielt ist.

Das ist anstrengend, aber existenzsichernd. Die Schweiz hat in der Geschichte nur deshalb überlebt, weil sie ihre Neutralität verteidigte – notfalls mit Waffen.

Das alles wollen die Tugendbewegten jetzt über Bord kippen. Die Schweiz soll nicht mehr länger abseitsstehen, sie soll sich ins Getümmel werfen, mit erhobenem Zeigefinger.

Wer nur die eigene gute Gesinnung sieht, sieht nichts. Die moralische Supermacht Schweiz würde im Nu verarmen und verhungern, ohne Freunde, dafür mit vielen neuen Feinden.

Die Neutralitätsbeseitiger sind Berufspolitiker, allesamt. Das ist kein Zufall. Sie können sich nicht vorstellen, was ihr Moral- Imperialismus für Sicherheit, Wohlstand und Wirtschaft bedeuten würde.

Für solche Überlegungen haben die vom Steuerzahler risikofrei Besoldeten ohnehin kein Gehör. Sie verachten die Wirklichkeit, weil sie der Hochmoral der Selbstgerechten nie entspricht.

Die Neutralität ist eine Errungenschaft, die schwer erworben, aber leicht verspielt ist. Sie erfordert Glaubwürdigkeit und Kontinuität. Es braucht Kraft, nach allen Seiten Distanz zu wahren.

Wir leben in schrillen Zeiten. Der Moralismus triumphiert. Der Druck, sich bei den Guten einzureihen, ist gross. Es ist auch eine Versuchung. Politiker und Journalisten sind besonders verführbar.

Moralismus ist das Gegenteil der Wirklichkeit. Neutralität ist das Gegenteil des Moralismus in der Politik. Das ist ihre grosse Qualität, der Wirklichkeitsbezug.

Als Staat teilt die Schweiz die Welt nicht in Gut und Böse ein. Sie muss es nicht. Das ist ein Privileg. Man sollte es pflegen. Neutralität befreit – und macht weltoffen.

Derzeit ist die Welt ein lauter, brodelnder Ort. Die Schweiz hätte die Chance, als Oase der Ruhe aufzufallen. Alle lärmen, der Bundesrat sitzt still. Im Wortsinn.

Twitter, Facebook, neue Medien: Heute ist es anspruchsvoller, nichts zu sagen. Und klüger. Die linken Sanktionskrieger marschieren in die falsche Richtung.

China ist kein perfektes Land. Aber ist es die Schweiz? Neutralität bedeutet für den Bundesrat Bescheidenheit, Zurückhaltung, im Zweifelsfall schweigen.

Die Welt braucht keine Schweiz, die sich moralisch über andere erhebt.

R.K.

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