Weltwoche Editorial 50/19

Editorial

Grüne Einfalt

Von Roger Köppel

Regula Rytz ist für «Diversity». Aber nur dann, wenn es nicht um die eigene Macht geht.

Die Schweiz ist das bestregierte Land ohne richtige Regierung. Der Bundesrat ist ein gewollter Mischling. Zum einen soll er die Vielfältigkeit des Landes und seiner verschiedenen Kulturen verkörpern, ein Gebilde der angemessenen Repräsentation. Zum anderen hat er die Aufgabe, den Volkswillen umzusetzen, eine Exekutivmacht allerdings an der ganz kurzen Leine der direkten Demokratie. Wichtiger als die Macht ist die repräsentierte Vielfalt – neudeutsch «Diversity». Wenn der Bundesrat zu einseitig, zu schlagseitig besetzt ist, kommt Sand ins Getriebe der ältesten Demokratie der Welt.

Am 21. Februar 2019 trat Regula Rytz an einem Podium der Uni Bern auf. Thema: «Diversity Management in Organisationen – Herausforderungen für Hochschulen und Unternehmen ». Die Parteipräsidentin der Grünen hat noch nie in einem Unternehmen oder an einer Hochschule eine Managementaufgabe bekleidet: Trotzdem boten sie die Veranstalter für ihre Diskussion mit einem Harvard- Professor, der zum Thema referierte, auf. In der rot-grünen Stadt Bern müssen sich Rote oder Grüne nicht über einen Mangel an prestigiösen Auftrittsmöglichkeiten beklagen.

«Diversity Management» oder Management der Vielfalt ist eine der jüngsten Moden der Organisationsführung. Es geht darum, sicherzustellen, dass die Leitungsgremien möglichst vielfältig besetzt werden, was Geschlecht, Ethnie, Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung und Religion angeht. Davon verspricht man sich bessere Leistungen und grössere Nähe zur Vielfalt der jeweiligen Gesellschaft. Das Konzept des Vielfältigkeitsmanagements richtet sich in der Praxis aber vor allem gegen männlich dominierte Führungsstrukturen und ist deshalb bei den Linken und Grünen politisch besonders populär.

Regula Rytz ist eine Vorkämpferin dieser Strömung. Sie gehört zu den grössten «Diversity »-Aposteln im Bundeshaus. Am Berner Uni-Podium liess sie denn auch klar erkennen, was sie unter «Diversity» versteht: «Tausend Jahre Patriarchat verändern braucht klare Ziele. » Wenn die Unternehmen und Behörden nicht freiwillig mehr Vielfalt bringen, dann muss man sie mit bindenden Zielen verpflichten, um das Wort zwingen zu vermeiden. Mehr Vielfalt bedeutet für Rytz mehr Frauen. Es geht darum, die männliche Herrschaft zu brechen.

Wann aber schlägt der Ruf nach Vielfalt und «Diversity» in Einfalt um? Regula Rytz hat es an dieser Bundesratswahl selber zu spüren bekommen.

Zunächst: Ihre Kandidatur richtete sich gegen den einzigen Tessiner Vertreter, Ignazio Cassis. Rytz wollte die sprachregionale Vielfalt der Regierung auf dem Altar der grünen Machtambitionen im Namen der Geschlechter- «Diversity» opfern. Statt zwei wollte sie drei Frauen. Dafür sollte der einzige Tessiner über die Klinge springen. Der Grenznutzen einer zusätzlichen Frau wiegt freilich den Verlust einer ganzen Sprachregion nicht auf. So lag dieser Kandidatur von Beginn weg etwas Überspanntes, eine unsympathische Zwängerei zugrunde. Die obendrein auf den Falschen zielte: Rein rechnerisch hätte nach den Wahlen die CVP ihren Sitz den Grünen überlassen sollen, doch für die CVP sitzt eine Frau im Bundesrat. Viola Amherd stand aber unter Denkmalschutz. So lautete die grüne Formel: mehr Frauen, weniger Vielfalt.

Die Kandidatur Rytz war der Anschlag auf eine Sprachregion, die im Bundeshaus ohnehin über keine starke Lobby verfügt. Sie war aber auch der Versuch, eine Art Zwillingsbesetzung in der Regierung herbeizuhebeln. Viele Medien haben es übersehen: Die Thuner Bundesratskandidatin ist politisch identisch mit der Berner SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga, einfach noch weiter links stehend und extremer: gleiches Geschlecht, ungefähr gleiches Alter, gleicher Kanton, gleiche Gesinnung, ähnliche Herkunft, gleiche Prägungen, ähnlicher Musikgeschmack, gleiches städtisches Milieu. Rytz startete ihre Laufbahn bei den Gewerkschaften. Sommaruga war beim Konsumentenschutz und bei der Drittwelthilfe. Ihre Smart-Spider-Abdrücke sind nahezu deckungsgleich. Es ist erstaunlich, dass die Grünen bei ihrer Kandidatenkür vor lauter «Diversity» keinen Gedanken darauf verschwendet haben, wie unverschieden ihre Parteipräsidentin in diesem Gremium wirken würde. Ziel war eine weibliche Doppelbesetzung aus unterschiedlichen Parteien bei gleicher politischer Ausrichtung.

Rytz und Sommaruga würden zusammen 28 Prozent des Bundesrats ausmachen, eine massive Übervertretung. Das Segment der linken urbanen, etwas reiferen Feministin mit kulturbetrieblichem Hintergrund und starkem drittweltistischem Engagement hat in der Schweiz seine Berechtigung, aber sicher nicht Anspruch auf eine Doppelbesetzung im Bundesrat.

Nehmen wir zum Beispiel den letzten Samstag. Da trat die Solothurner Rockband Krokus im ausverkauften Zürcher Hallenstadion vor 14 000 Fans auf. Die Vermutung geht nicht fehl, dass an diesem Abend der Anteil der Sommaruga- oder Rytz-Wähler im Publikum wohl nur unter dem Elektronenmikroskop erkennbar gewesen wäre. Die grosse Mehrheit bildeten hier Männer und Frauen um die fünfzig, mehr Männer als Frauen, viele Eltern, solid werktätig, vermutlich eher bürgerlich, regelmässige Autofahrer, auf den ersten Blick ohne sichtbaren Migrationshintergrund. Natürlich gibt es nicht nur diese Krokus-Schweiz, aber es gibt eben auch nicht nur die Rytz- und Sommaruga-Schweiz.

Die Rytz-Kandidatur war ein strategischer Fehler der Grünen. Die Partei schimpft bei Flüchtlingen, Migranten und Frauen laut gegen «Diskriminierungen», echte und eingebildete. Wenn es aber um die eigene Macht geht, merken wir jetzt, hat die gleiche Partei weniger Hemmungen, Minderheiten zu diskriminieren, in diesem Fall das Tessin, ein von Bundesbern ohnehin immer wieder (migrations-) politisch drangsalierter Minderheitenkanton. Die Ironie liegt darin, dass der Rytz-zentrierte grüne Angriff im Namen der Vielfalt mehr Gleichförmigkeit, mehr Einfalt für den Bundesrat brachte. Diese grüne Kandidatur stand quer zur Schweiz.

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