Weltwoche Editorial 46/19

Editorial

Und auf einmal ist da diese Magie

Von Roger Köppel

Der Schweizer Uhrenunternehmer Georges Kern legt ein stupendes Debüt als Filmproduzent hin. Seine melancholische, herzzerreissende Komödie «Mon chien Stupide» mit Charlotte Gainsbourg erobert die Leinwände und begeistert die Kritiker. Wie schaffte der Neuling diesen Exploit?

Es ist vielleicht der Senkrechtstart des Jahres. Georges Kern, hochdekorierter Manager und seit einigen Jahren Unternehmer im Bereich Luxusuhren, IWC, Breitling, hat gleich mit seinem Debüt als Filmproduzent einen mittleren Meilenstein hingelegt. Die von ihm lancierte und produzierte melancholische Filmkomödie «Mon chien Stupide» begeistert nicht nur die Kritiker. Sie ist auch wirklich gut. Und in Frankreich schoss der Film gleich unter die Top Ten auf der Bestsellerliste der Kino-Eintritte.

Ohne Kohlenhydrate
Georges Kern eilt mit Rollkoffer und Mantel in sein Bürohaus in Zürich, unweit des Google-Hauptquartiers. Die Räumlichkeiten sind Vintagemässig verwittert, abgezirkelt auf die Identität seiner Breitling-Uhren, denen Kern seit ein paar Jahren einen neuen Resonanzkörper verpasst, weniger industrielle Messgerät-Stahlkälte, dafür mehr Glamour und Charme, historische Tiefe mit amerikanischer Ostküstenbehaglichkeit im Ozeanufer- und Landhaus-Stil. Als er den Sitzungsraum aufschliesst, berichtet er noch von seinem letzten Treffen mit dem neuen Ironman-Weltmeister; Spitzensport interessiert ihn auch. Der Mann, sagt Kern begeistert, schwöre auf eine Ernährung ohne Kohlenhydrate.

Wir kommen aufs Thema. Irgendwie hat Kern, der nie unterbeschäftigt wirkt, es geschafft, selbst seine ebenso hochbeschäftigten Unternehmerfreunde zu verblüffen, teilweise sogar leicht zu frustrieren. Wie bringt man es bloss fertig, neben dem Relaunch einer traditionsreichen Schweizer Uhrenfirma gleich auch noch einen künstlerisch anspruchsvollen und publikumstauglichen Film zu realisieren? Einen Film für Erwachsene mit einer erstklassigen Besetzung, einem starken Regisseur, schön ausgewähltem Setting an der französischen Atlantikküste und darüber hinaus mit einem Soundtrack, der den Willen zur Qualität unterstreicht: nicht Rihanna, kein Mainstream, es komponierte der geniale Jazzpianist Brad Mehldau, eine vortreffliche Wahl auch dies.

Arthur Cohns Rat
Zwei Dinge hätten ihn besonders fasziniert, erzählt der polyglotte Schweizer, der in Deutschland aufgewachsen ist und auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt. Das Filmgeschäft und die Luxusindustrie hätten erstens viel miteinander zu tun. Luxusfirmen würden viel dafür bezahlen, dass sie ihre Produkte in Filmen platzieren dürfen, doch die Wirkung sei kaum nachhaltig. Schon lange habe er sich mit der Idee getragen, mit einer Uhrenmarke selber als Produzentin oder Co-Produzentin aufzutreten. Zweitens arbeite er seit Jahren im Marketing mit Filmstars zusammen, aktuell etwa mit Charlize Theron, Brad Pitt und Adam Driver, einem früheren US-Marine-Soldaten, der heute zu den aufstrebenden Figuren Hollywoods gehört. Er habe, sagt Kern, schon länger Einblick in die Filmindustrie. Luxusprodukte und Filme seien ähnlich, aber Filme seien «persönlicher».

Drittens: Auf dem Weg zum Filmemacher gab dem bekennenden Filmfan Kern der Schweizer Produzentendoyen Arthur Cohn (sechs Oscars) einen entscheidenden Impuls. «Arthur sagte mir, das Wichtigste bei jedem Film sei das Drehbuch.» Er, Kern, habe über hundert Skripts gelesen, und am meisten habe ihn eine Geschichte euphorisiert, die er vor ein paar Jahren zu Weihnachten geschenkt bekommen habe: «My Dog Stupid» ist eine Novelle des amerikanischen Kultschriftstellers und Drehbuchautors John Fante (1909–1983). Der Italoamerikaner, selber absturzgefährdet und gesundheitlich angeschlagen, ein Freund des Alkoholiker-Literaten Charles Bukowski, war bekannt als Meister eines herzzerreissenden Realismus.

Jeder Mensch um die fünfzig könne sich in dieser Handlung wiedererkennen, erklärt Kern: «Fante erzählt die Geschichte eines Schriftstellers in der Midlife-Crisis. Die letzten Erfolge liegen Jahrzehnte zurück, wofür er die Schuld seiner Frau und seinen Kindern gibt. Plötzlich taucht ein fürchterlicher Hund auf, den der Schriftsteller allerdings behalten will, zum Ärger aller andern. Allmählich bricht die Familie auseinander, die Kinder ziehen aus, die Frau verlässt ihn, und der Autor realisiert, dass er ohne die Menschen nicht leben kann, von denen er sich doch so leidenschaftlich trennen wollte.» Das Buch endet tieftraurig, was Kern dann allerdings seinem Publikum doch nicht zumuten wollte. Mit seinem Regisseur erfand er einen anderen, übrigens gut funktionierenden Schluss. «Wir haben schon zu viel Stress im Leben. Es brauchte ein versöhnlicheres, erfreulicheres Ende.»

Columbos Erben
Schon in seiner kurzen Ansprache an der grossen Premiere seines Films im Zürcher Kino Corso vor vollem Saal zertrümmerte Kern allfällige Illusionen. Der Job eines Filmproduzenten sei keinesfalls glamourös. «Das Gegenteil ist der Fall», seufzt er. Es sei ein Hindernislauf von einem Problem zum nächsten Anwalt gewesen. Alles begann vor sechs Jahren. Damals verhandelte Kern mit den Erben des eben verstorbenen Hollywood-Schauspielers Peter Falk («Columbo»). Der hatte sich die Rechte an Fantes Novelle gesichert und den Film mit sich selbst in der Hauptrolle produzieren wollen.

Nach rund einem Jahr hatte dann Kern die Rechte erobert, war er am ersten Ziel. Dann besprach er sich mit seinem Freund Marc Forster, dem Schweizer Filmregisseur, der den Stoff auf Anhieb für Oscar-verdächtig hielt. Man probierte Drehbücher, zwei Jahre lang, vergeblich. Kern versuchte, die Finanzierung hinzukriegen, aber heute sei es in Hollywood faktisch unmöglich geworden, einen unabhängigen Film zu produzieren: «Es gibt nur noch Superhelden-Blockbuster oder Streaming-Dienste wie Netflix. Der kleinere Film wird zermalmt; er existiert nicht mehr.»

Frankreich brachte die Rettung
Was tun? Es war Kerns Idee, der auch Franzose ist, das ganze Projekt aus den Vereinigten Staaten nach Europa zu verlegen. Forster hatte sich inzwischen aus Termingründen verabschiedet, da ihm ein neues Projekt angeboten worden war. Kern hielt in Frankreich Ausschau, dem Land der Industriepolitik und des ästhetischen Patriotismus, wo Kulturschaffende wie Könige verehrt werden und die Regierung es sich zur Aufgabe gemacht hat, durch ein ausgeklügeltes System von Quoten und Subventionsflüssen eine heimische Filmindustrie zu bewahren.

Ganz im Unterschied zur Schweiz hat der Subventionismus in Frankreich die künstlerischen Energien nicht narkotisiert, sondern einem nach wie vor künstlerisch ansprechenden und trotzdem populären Kino das Überleben gesichert. Kern ist eigentlich nicht der Typ, der sich wirtschaftlich an den Staat anlehnt – er bezeichnet sich als hellgrün angehauchter Wirtschaftsliberaler –, doch man merkt ihm an, dass ihm die französische Politik, die eigene Kultur zu schützen, durchaus behagt. Das Gesamtbudget von rund neun Millionen Euro kam dank den öffentlich-rechtlichen Partnern zusammen, eigenes Geld inklusive.

Als Glücksfall bezeichnet Kern sein Zusammentreffen mit Regisseur Yvan Attal, der neben Regie und Drehbuch gleich auch noch die Hauptrolle übernahm. Es sei eine Fügung des Schicksals gewesen. Nicht nur besitze Attal ein zündendes «intellektuelles und künstlerisches Flair». Der Zufall wollte es, dass dem bisher international weniger, in Frankreich dafür umso bekannteren Regisseur schon vor zwanzig Jahren eine Verfilmung von «My Dog Stupid/Mon chien Stupide» angeboten worden war – samt Drehbuch. Damals aber, erzählt Kern, habe es geheissen, man müsse die Geschichte unbedingt in den USA verfilmen, ausserdem habe sich Attal, seinerzeit junger Vater, noch nicht mit dem Thema identifizieren können. Nach 25 Jahren Partnerschaft und drei Kindern gehe das nun durchaus.

Was einst Pech war, entwickelte sich nun zum beiderseitigen Glück. Attal brachte einen weiteren gewichtigen Vorteil mit: Seine Lebenspartnerin heisst Charlotte Gainsbourg, gertenschlank, ewig mädchenhaft-jugendlich, einer der Topstars von Frankreich, international unterwegs, und auch sie war hingerissen vom Stoff. Dass die beiden zudem einen ihrer Söhne ins Ensemble aufnahmen, machte die Dreharbeiten, wie Kern einräumt, menschlich etwas komplexer, vollendete aber die intime Familien-Chemie am Set, wo es ja auch um eine Familiengeschichte ging. Und noch ein schicksalsartiges Detail am Rande: Charlottes Vater Serge Gainsbourg, eine französische Kultfigur, war in den siebziger und achtziger Jahren Markenbotschafter von – Breitling.

Tiefensensible Egos
Wie führt man als CEO eines Uhrenunternehmens ein Team von hochkalibrigen, tiefensensiblen Schauspieler-Egos? Kern lacht. «In der Firma bin ich der Chef. Ich entscheide. Beim Film musst du Kompromisse schliessen, einwirken, Gespräche führen.» Seine Aufgabe sei es vor allem gewesen, die Rechte und die Finanzierung sicherzustellen, das Team zu bilden und dann zwei Mitproduzenten als Dirigenten für den Filmdreh zu finden. Autoritätsprobleme? Kern winkt ab. Er habe mit dem Regisseur immer wieder intensiv über das Drehbuch gesprochen. Man könne da nicht dreinfahren, aber anregen und mitreden schon. Aufgefallen ist ihm, wie langwierig und mühsam die Arbeit vor der Kamera sein kann. Die Atmosphäre, die sich dem Publikum von der Leinwand mitteilt, wenn der Film einmal fertig ist, davon sei während der Dreharbeiten nichts zu merken gewesen. Aber wenn die zahllosen Szenen endlich richtig geschnitten sind und die Filmmusik erklingt, «dann ist da plötzlich diese Magie», die während der Herstellung nicht zu spüren sei.

Worauf ist er besonders stolz? «Dass ich die Kraft hatte, vier Mal beim Drehbuch nein zu sagen, zu warten, bis ich mit Yvan die perfekte Besetzung gefunden hatte.» Auch die Verlegung der Geschichte von der amerikanischen an die französische Westküste sei am Ende wunderbar gelungen. Schwierigkeiten habe es natürlich mit den vier Hunden gegeben, die sich die tierische Hauptrolle teilen. «Eine Geduldsprobe für den Regisseur, denn die Hunde machen nie, was du willst.» Was Kern mit seinem Team geschafft hat: Er hat die traurige Komödie einer Midlife-Crisis, mit der sich viele identifizieren können, ohne Larmoyanz, dafür mit viel Ironie, mit einem Touch Woody Allen auf die Leinwand gezaubert und gegen die Vorlage mit einem Happy End, das nicht aufgesetzt wirkt. Regisseur Yvan Attal ist als schreibgestauter Schriftsteller umwerfend, und Charlotte Gainsbourg ist, im besten Sinn, Charlotte Gainsbourg. Die Kritiker reagieren positiv bis begeistert.

«Positiver, beflügelnder Stress»
Ein neues Projekt sei bereits in Planung, sagt Kern, ehe er mit seinem Rollkoffer zum nächsten Termin abrauscht. Was dem quirlig-drahtigen Velofahrer, der zwischendurch mit Kollegen die Schweiz umrundet, ebenfalls gelungen ist: Er hat nicht nur seinen, sondern auch den Marktwert seiner Mitstreiter gesteigert. Regisseur Attal dürfte dank «Mon chien Stupide» in eine neue Umlaufbahn katapultiert werden, und Kern steht vor der für ihn wohl schwierigsten Aufgabe: Er muss seinen Anfangserfolg toppen. Ob es ihm gelingt? Er schiebt sein kühnes Kinn vor und grinst vielsagend. «Als der Film erstmals an einem Festival gezeigt wurde und die Kritiker euphorisch waren, da wusste ich: Du hast dich nicht lächerlich gemacht.» Und jetzt, der nächste Film? «Meine Arbeit ermüdet mich nicht. Ich lese Drehbücher. Das nenne ich positiven, beflügelnden Stress.» Sagt’s und ist schon fast am Horizont entschwunden.

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