Ostdeutsche Freiheitskämpfer
Von Roger Köppel
Erneut werden die ostdeutschen Wähler verleumdet. Zu Unrecht.
Die von den Medien geschürte Idee, dass die Erfolge der AfD für den Vormarsch des politischen Rechtsradikalismus vor allem in Ostdeutschland stehen, halte ich für verfehlt. Nichts am Programm dieser Partei stützt diese These, auch wenn es fragwürdige Mitglieder und hanebüchene Aussagen einzelner Exponenten gibt. Wer ernsthaft behaupten möchte, in Deutschland würden rechtsradikale «Nazi»-Politiker salonfähig, die – darauf zielt das Schimpfwort ab – zurück in die Hitlerzeit wollten, der hat von Deutschland wenig und von der Hitlerzeit nichts begriffen.
Zu Recht wird die AfD, die einen schrillen Oppositionsstil pflegt, für ihre Ausschweifungen von den Medien kritisiert. Man sollte ihr aber wenigstens das Recht aller demokratisch gewählten Parteien zugestehen, nämlich den grundlegenden Respekt vor der Tatsache, dass zum Beispiel am letzten Wochenende in Thüringen über 23 Prozent der Wahlberechtigten in freier Entscheidung der AfD ihre Stimme gegeben haben, obwohl sie seit Monaten, wenn sie etwa den Fernseher einschalten, auf allen Kanälen belehrt und gewarnt werden, genau dies nicht zu tun.
Ich habe mich immer wieder gewundert, warum die angeblich so beherzten Verteidiger von Freiheit, Demokratie und Aufklärung immer dann, wenn Wahlen nicht so herauskommen, wie sie es gewünscht haben, warum ausgerechnet diese hehren Hüter unserer westlichen Grundwerte einen zentralen westlichen Grundwert nicht zu akzeptieren scheinen: den Grundwert des mündigen und urteilsfähigen Menschen als elementare Voraussetzung jeder Demokratie.
Konkret: Die über 20 Prozent Thüringer AfD-Wähler wählen die AfD nicht, weil sie die Nazizeit zurück haben wollen. Sie wählen die AfD, weil sie die AfD wahrscheinlich für die am wenigsten schlechte Alternative unter allen anderen deutschen Parteien halten.
Solche nüchternen Einschätzungen sind inzwischen Mangelware in der gesinnungstrunkenen deutschen Medienöffentlichkeit. Die Alarmrhetorik der Journalisten ist geprägt von einer anscheinend tiefsitzenden Verachtung des deutschen Wählers, dem man nicht nur zutraut, er sei relevanterweise empfänglich für rechtsradikal-nazistisches Gedankengut. Die Medienschaffenden nehmen den AfD-Wählern darüber hinaus besonders übel, dass sie trotz den immer eindringlicheren medialen Einschärfungen eine Partei wählen, die man nach Auffassung vieler Journalisten und Politiker auf keinen Fall wählen sollte.
Ein Blick nach Deutschland wirkt heute auf den Schweizer Beobachter deshalb ziemlich abschreckend. Was auffällt, ist ein diskussionsfeindliches Reizklima, in dem die offiziellen Medien nur noch darauf zu lauern scheinen, ob einer, der weniger links ist als die Journalisten, irgendein Wort oder irgendeinen Satz fallenlässt, auf den man ihn festnageln, an dem man ihn aufhängen kann. Es spielt keine Rolle, was der Verdächtige sagen oder mitteilen wollte. Entscheidend ist nur, ob man ihm den Satz, das Wort so auslegen, nötigenfalls so im Mund umdrehen kann, dass sich der von der Inquisition gewünschte Inhalt herbeihysterisieren lässt.
In Deutschland verliert man heute seinen Job, wenn man beim Mittagessen in flagranti mit dem Co-Vorsitzenden der AfD, dem Wirtschaftsprofessor Jörg Meuthen, erwischt wird, einem demokratisch gewählten Bundestagsabgeordneten, der zum gemässigten Flügel seiner Partei gehört. Ein Journalist, der öffentlich bekundet, er wähle AfD, würde innerhalb der Szene flugs zur Persona non grata, für geistig verwirrt oder für drogensüchtig erklärt. Sind die Deutschen wieder im Begriff, verrückt zu werden?
Vermutlich nicht. Aber man merkt am Umgang mit der AfD, dass Deutschland eine noch sehr junge Demokratie ist. Das Land war jahrhundertelang von Fürsten und Königen regiert. Reichsgründer Bismarck murkste den politischen Liberalismus ab. Sein Machtstaat wurde in den Folge-Jahrzehnten zur Massenvernichtungswaffe unfähiger Nachfolger. Seit 1945 haben wir Demokratie, im Ostteil des Landes erst seit 1989.
Das merkt man. Aber anders, als die deutschen Medien zu wissen meinen. Während die Westdeutschen 1945 von den Amerikanern befreit werden mussten, haben sich die Ostdeutschen 1989 selber vom Joch einer verbrecherischen Diktatur befreit. Es sind zum Teil die gleichen Ostdeutschen, die heute die AfD wählen.
Die massenmediale Unterstellung, diese Deutschen aus Sachsen oder Thüringen würden massenhaft einer freiheitsfeindlichen, antidemokratischen Partei hinterherlaufen, ist eine freche Verhöhnung dieser ostdeutschen Freiheitskämpfer, die mutig gegen Diktatur und Knechtschaft aufgestanden sind; die vor den Gewehrläufen der Nationalen Volksarmee ihre bürgerlichen Rechte eingefordert, ihr Leben für die Freiheit aufs Spiel gesetzt haben.
In der journalistischen Verteufelung der AfD und mehr noch im Pauschalverdacht gegen die neuen Bundesländer als braune Brutstätten kommt die masslose Überheblichkeit der «Wessis» gegenüber den «Ossis» besonders stossend zum Ausdruck. Indem sie auf die AfD und ihre Wähler einprügeln, versichern sich die westdeutschen Kritiker ihrer angeblichen moralischen und demokratischen Überlegenheit.
Das ist pure Anmassung. Vermutlich ist es für die hochnäsigen linken Salonrevolutionäre des Westens eine gewaltige narzisstische Kränkung, dass die von ihnen belächelten Landsleute aus dem Osten vor dreissig Jahren eine echte Revolution hinbekommen haben.
Die couragierten Ostdeutschen wirken freiheitsliebender und weniger obrigkeitshörig als ihre arroganten Verleumder. Sie wissen aus leidvoller Erfahrung besser, was Unfreiheit und Gängelung bedeuten. Sie müssen sich von niemandem einen Mangel an demokratischer Gesinnung vorwerfen lassen.
Meiner Meinung nach wird die AfD nicht wegen, sondern trotz ihrer Entgleisungen gewählt. Man sollte ihren Wählern, gerade im Osten, endlich zugestehen, dass sie mündige und urteilsfähige Demokraten sind.