Weltwoche Editorial 42/19

Editorial

Export-Märchen

Von Roger Köppel

Kann die Schweiz ohne Rahmenvertrag nicht mehr in die EU exportieren? Unsinn!

Es geht um Ängste, Irrtümer und Geld. Nein, wir reden nicht von der Klimawalze, sondern von der Panikkampagne für den institutionellen EU-Unterwerfungsvertrag.

Bundesrat, Politiker und Wirtschaftsfunktionäre sowie ein paar Manager, die von der Schweiz keine besondere Ahnung haben, behaupten: Ohne diesen Vertrag kann die Schweiz nicht mehr in die EU exportieren. Selbst Freisinnige und Bürgerliche glauben, ohne Rahmenabkommen würden die Exporte in die EU abgewürgt.

Es ist vermutlich das grösste Märchen, das in der Politik herumerzählt wird, grösser noch als die Klima-Hypnose, die den Schweizerinnen und Schweizern einträufeln will, sie könnten die Gletscher retten, wenn sie die Grünen wählen und weniger Auto fahren.

Bundesrat Ignazio Cassis ist zuvorderst bei den EU-Angstmachern. Er sagt, ohne den Unterwerfungsvertrag sei eine Milliarde Franken tägliches Handelsvolumen zwischen der Schweiz und der EU in Gefahr. Eine Milliarde! Parteikollege Ruedi Noser orakelt, ohne den EU-Rahmenvertrag verliere die Schweiz «Marktzugang» in der Europäischen Union.

Der Industrieverband Swissmem brachte Inserate heraus, auf denen dicke Pfeile aus der Schweiz in die Nachbarschaft zeigen. Die dicken Pfeile stehen für den Export. Diese massiven Geld- und Güterströme, so die Botschaft, würden wegbrechen wie Eisberge ohne «EU-Rahmenvertrag».

Diese Behauptungen und Szenarien entbehren jeder Grundlage. Sie sind falsch, sie sind irreführend, und sie werden wider besseres Wissen verbreitet.

Als ich Bundesrat Cassis im Bundeshaus darauf ansprach, ob er ernsthaft glaube, ohne Rahmenvertrag sei eine Milliarde Franken tägliches Handelsvolumen zwischen der EU und der Schweiz futsch, winkte er ab. Er rede von «Unsicherheiten». Mit anderen Worten: Fehlen die Argumente, müssen dramatische Zahlen ran, von denen man sich auf Nachfrage wieder distanziert.

Der Schweizer Export wird nicht wegbrechen, der Wohlstand wird nicht verdampfen. Drei Argumente sind entscheidend.

Erstens: Das Wichtigste für den Export sind die Produkte und Leistungen. Niemand kauft der Schweiz aus Mitleid etwas ab. Ausschlaggebend sind die erstklassigen Leistungen der Unternehmen, die sich im härtesten Wettbewerb behaupten, unverzichtbar machen.

Zweitens: Den Schweizer EU-Export sichert rechtlich nicht der geplante EU-Vasallenvertrag, sondern das Freihandelsabkommen von 1972. Die EU könnte es künden, aber dazu besteht nicht das geringste Interesse.

Drittens: Die EU-Gläubigen behaupten, durch Nichtunterzeichnung des Rahmenvertrags würden die Bilateralen I abbröckeln und damit der Wohlstand in der Schweiz. Wieder falsch. Die Schweizer Wirtschaft braucht die Personenfreizügigkeit nicht, die mehr schadet als nützt. Ein Land mit einem so hohen Lohnniveau wird immer Fachkräfte finden.

Auch das bilaterale Abkommen über den Abbau technischer Handelshemmnisse ist nicht matchentscheidend. Schlimmstenfalls müssten die Exporteure ihre Produkte direkt in der EU anerkennen lassen; ein minimaler Mehraufwand.

Wenn etwas den Schweizer Export bedroht, dann ist es der EU-Kolonialvertrag. Er würde uns zwingen, den Unternehmen die schlechteren europäischen Rahmenbedingungen wie einen Bleimantel überzustülpen. Der Schweizer Wohlstand wäre an der Wurzel torpediert. Dies zu tun und auch noch dafür zu zahlen, wie die EU im Rahmenvertrag fordert, wäre verrückt.

Die Wissenschaft besagt, ein Land ist wirtschaftlich umso erfolgreicher, je liberaler, offener, freier und unabhängiger es ist. Die Schweiz ist ein gutes Beispiel, ebenfalls die EU, allerdings im umgekehrten Sinn: Die EU und ihr Binnenmarkt sind ein protektionistisches Gebilde kontinentaler Einbunkerung. Die Betonmentalität drückt durch, auch in Verhandlungen mit der Schweiz oder mit den Briten.

Die Schweiz kann es besser. Unter steter Abwehr von Einmischungen haben wir bewiesen, dass wir selber die besseren Rahmenbedingungen zustande bringen. Eine Firma ist erfolgreich, wenn sie die Interessen der Kunden über die Interessen des Managements stellt. Die Schweiz ist erfolgreich, weil sie die Interessen der Bürgerinnen und Bürger über die Interessen der Politiker stellt. In der Marktwirtschaft ist der Kunde König. In der direkten Demokratie ist der Bürger der Chef.

Das Albtraummärchen eines kollabierenden Wohlstands war schon vor 27 Jahren falsch, als die politische Elite der Schweiz noch voller Hoffnung in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und in die EU strebte.

Heute sehen wir klarer. Der Schweiz geht es besser, gerade weil sie unabhängig blieb. Die Zahlen sprechen für sich: eine der weltweit tiefsten Staatsverschuldungen, tiefste Teuerung seit 50 Jahren, tiefste Arbeitslosigkeit seit 50 Jahren, Nummer eins beim Wohlstand pro Kopf, hohe Dichte an internationalen Konzernen, KMU und Gewerbebetrieben.

Die kotierten Schweizer Small und Mid Caps erzielten über die letzten vierzig Jahre währungsbereinigt die weltweit grösste Wertsteigerung an den Aktienmärkten – ohne EWR, ohne EU, ohne EU-Unterwerfungsabkommen und die längste Zeit auch ohne Bilaterale I oder II.

Hören wir auf mit der Angstmacherei. Der Schweizer EU-Exportanteil ist auf mittlerweile rund 50 Prozent der Gesamtexporte gefallen. Die Exporte ausserhalb der EU hingegen wachsen deutlich ohne «Binnenmarktzugang » nach EU-Vorbild, dafür allein auf der Grundlage von Freihandelsverträgen.

Auch die Schweizer Unis gehören zu den besten der Welt. Und alle 29 Schweizer Nobelpreise beruhen auf Forschungsleistungen, die weiter zurückreichen als die EU-Subventionen an Schweizer Universitäten.

Wollen wir das alles aufs Spiel setzen mit einem EU-Kolonialvertrag, der uns die Kontrolle über die Erfolgsgrundlagen unseres Landes entreisst?

Die Schweiz ist ein Wunder und wird überall bewundert. Nichts kann ihr gefährlich werden. Die einzige Gefahr für die Schweiz sind die Schweizer, die glauben, sie würden die Schweiz retten, indem sie sie fallenlassen.

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