Weltwoche Editorial 40/19

Editorial

Mehr Fantasie

Von Roger Köppel

Wie aus einem Nachbarschaftsstreit ein Bankenbeben wurde.

Um es vorneweg zu sagen: Ich bin für den Schweizer Finanzplatz. Ich habe die Grossbanken immer gegen falsche und übertriebene Vorwürfe verteidigt. Das reflexhafte Bankenbashing vieler Journalisten geht mir auf die Nerven.

In keinem Land ausser der Schweiz wäre es denkbar, dass die Finanzindustrie, einst der Stolz der Eidgenossenschaft und eine wichtige Wohlstandsquelle obendrein, von den eigenen Leuten, Politikern und Medienschaffenden so selbstquälerisch verleumdet und mit Untergangsbegeisterung kaputtgeschrieben wird. Natürlich gab und gibt es für Kritik gute Gründe, aber das, was daraus gemacht wurde, wirkt sich bis heute verheerend aus. Weil ein paar Manager versagten, wurde eine ganze Industrie an die Kette gelegt. Die Linken triumphierten, unterstützt von vielen Nichtlinken.

Faktisch führt heute der Staat mit seinen Kontrollorganen den Schweizer Finanzplatz. Juristen und Compliance-Offiziere, Bürokraten und Beamte geben den Takt vor. Kein Bänkler kann es sich noch erlauben, das Haus ohne einen Anwalt zu verlassen. Die ganze Industrie steckt im Stahlzwinger staatlicher Bevormundung.

Und ich bin sicher: Die jüngste Affäre um die Grossbank Credit Suisse ist Wasser auf die Mühlen derer, die nicht ruhen, bis alle Banken unter totaler staatlicher Knute sind. Das ist das Beelendende an dieser Geschichte eines multiplen, neuerlichen Managementversagens. Sie macht die einst stolze Branche erneut zum Gespött. Profitieren werden wohl die Falschen.

Was eigentlich ist passiert? Fassungslos, einige amüsiert, andere verärgert, versuchen wir uns einen Reim darauf zu machen, wie es möglich war, dass bei der ruhmreichen Schweizer Grossbank Credit Suisse ein banaler Nachbarschaftsstreit unter zwei Topshots zu einem nationalen Bankenbeben führen konnte.

Anlass, wenn auch nicht der Grund war ein Zwist zwischen Iqbal Khan, dem damaligen Chef der weltweiten CS-Vermögensverwaltung, und CEO Tidjane Thiam. Der Zufall oder Schicksal hatte beide zu Nachbarn in der schönen Zürcher Vorortsgemeinde Herrliberg gemacht. Thiam war zuerst da, ein paar Monate später kam Khan, ausgerechnet auf das direkt angrenzende Grundstück.

Der Chef neben seinem besten Angestellten, der CEO neben dem aufstrebenden Jungstar, der in den Medien bereits als Nachfolger seines Nachbarn gehandelt wird: Das hätte auch weniger feinsinnige Gemüter belastet. Für den hochintelligenten, hochambitionierten, hochsensiblen Thiam war es wohl zu viel, zu nah.

Man kann ihn bis zu einem gewissen Grad verstehen: Khans Villa thront chefmässig, leicht erhöht, über dem einzigen Zugangssträsschen zum Anwesen Thiams. Wer den CS-Chef besuchen will, fährt an einer Betonmauer unter den mächtigen Wohnzimmerfenstern Khans vorbei .

Mehr noch: Von Khans Anwesen aus lässt sich Thiams Liegenschaft grossräumig überblicken. Man muss kein Paranoiker sein, um den ausladenden, bis an die Grundstücksgrenze vordringenden festungsähnlichen Backsteinbau Khans aus Nachbarsicht als etwas zudringlich, ja als übergriffig zu empfinden.

So kam der Moment, als sich Thiam mit seiner Partnerin entschloss, durch die Anpflanzung zweier Bäume etwas Privatsphäre zurückzugewinnen. Die Installierung der biologischen Sichtsperre führte dann zu jener weltweit kolportierten Szene am Neujahrscocktail der Thiams in Herrliberg Anfang dieses Jahres, als sich Khan und der Hausherr in die Haare gerieten. Offensichtlich drängte Khan gegenüber Thiams Partnerin auf die Beseitigung der «beiden Monstrositäten», was wiederum Thiam zum vergeblichen schlichtenden Eingreifen nötigte.

Doch auch die Bäume waren nur der Anlass, nicht die Ursache. Hinter den Nachbarschaftsquerelen schwelte womöglich ein Rivalenkampf. CS-Chef Thiam dürfte den beliebten und erfolgreichen Khan gelegentlich als zu ambitioniert, als zu drängend, als zu forsch empfunden haben. Bei Khan hingegen schien sich der Eindruck zu verfestigen, der Chef wolle ihn an der eigenen Entfaltung, am Weiterkommen hindern. Was zwischen den beiden wirklich abging, werden wir wohl nie erfahren.

Längst hatte sich in die Auseinandersetzungen auch Verwaltungsratspräsident Urs Rohner eingeschaltet. Auch ihm gelang es nicht, die Streithähne zu versöhnen. Khan kündigte. Kurz darauf gab er seinen Wechsel zum Konkurrenten UBS bekannt. Dann lancierte Thiams engster Mitarbeiter jene verhängnisvolle Beschattung Khans, die im Debakel und im tragischen Selbstmord eines Ermittlers endete. Thiam wusste angeblich von nichts, was Gutachten belegen, aber bei der Bank niemand glaubt.

Die nicht so schlechte Nachricht lautet: Manager sind auch nur Menschen. Selbst hochbezahlte Managermillionäre verirren sich in den Niedrigkeiten der menschlichen Natur. Auf der anderen Seite ist es verstörend, wenn es drei unbestritten brillanten, intelligenten Führungskräften nicht gelingt, ein Zerwürfnis einvernehmlich zu entgiften. Wer einen Konzern führen will, sollte einen Streit unter Nachbarn regeln können. Beim Krisenmanagement hat das CS-Management an sich selbst versagt.

Die Affäre ist vor allem peinlich für alle Beteiligten. Man darf hoffen, dass sie bei der CS kein Symptom tieferliegender Probleme ist. Von aussen entsteht der Eindruck, die Harmonie zwischen Präsident und CEO sei eingetrübt. Vielleicht ist es eine optische Täuschung. Es wird Zeit, dass Schweizer Grossbanken nicht mehr nur durch milliardenteure Bussen oder interne Streitereien Schlagzeilen liefern, sondern – wie früher – wieder durch Erfolg und unternehmerische Fantasie.

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