Weltwoche Editorial 39/19

Editorial

Gekaufte Politiker

Von Roger Köppel

Daniel Jositsch (SP) und Ruedi Noser (FDP) benutzen ihr Ständeratsmandat zum Geldverdienen im grossen Stil. Ihre Pöstli-Jägerei schadet der Schweiz.

Da habe ich wohl in ein Wespennest gestochen. Letzte Woche war ich wieder mal in der TV-«Arena». Thema waren die Zürcher Ständeratswahlen, an denen ich als Herausforderer der beiden Amtsinhaber Daniel Jositsch und Ruedi Noser antrete. Die Sendung drohte zu entgleisen, als ich mein Befremden darüber äusserte, dass Noser und Jositsch neben ihrem Ständeratsmandat je 22 zusätzliche, zum Teil hochbezahlte Posten angenommen haben. Die meisten, wohl fast alle dieser lukrativen Pöstli hatten sie vorher nicht. Sie verdanken sie einzig und allein ihrem Polit-Mandat.

Die zuvor heiter-flockige Plauderatmosphäre kippte unversehens ins Arktische, als die Pöstchenjägerei ins Zentrum rückte. Klar, der Moderator wies mich zurecht, ich hatte seine Regie durchkreuzt. Doch den beiden Angesprochenen waren nur schon die wenigen eingestreuten Fakten sichtlich unangenehm. Zwei Tage später hatten wir eine weitere Runde, im Rittersaal von Schloss Laufen am Rheinfall. Wieder gaben die Pöstchen zu reden. Und abermals weigerten sich Noser und Jositsch, obwohl sie vom Publikum aufgefordert wurden, ihre Bezüge aus den Nebenmandaten transparent zu machen.

Da sie es nicht sagen, muss man schätzen, auf der Grundlage von Recherchen und bekannten Fakten. Ständerat Jositsch hat 22 Zusatzmandate, die er erst als Politiker erhalten hat. Er bezieht rund 145 000 Franken brutto als Ständerat. Das Ständeratsmandat gilt als 70- bis 80-Prozent-Pensum. Dann hat er gegen 150 000 Franken für eine 60-Prozent-Stelle als Strafrechtsprofessor an der Uni Zürich. Allerdings – Zufälle gibt’s – zieht er ausgerechnet jetzt während seines Wahlkampfs ein Frei-Semester ein, «zur Forschung», wie er in der «Arena» erklärte. Kurz: Der Zürcher Steuerzahler zahlt Jositschs vorlesungsfreies Wahlkampfforschungssemester.

Als Präsident des Kaufmännischen Verbands der Schweiz kassiert Ständerat Jositsch deutlich mehr als zunächst vermutet. Der Tages- Anzeiger musste recherchieren. Warum legt es Jositsch eigentlich nicht von sich aus offen? Er bezieht 102 700 Franken brutto für ein blosses 30-Prozent-Pensum. Das ist mehr, als viele KV-Vollangestellte in einem ganzen Jahr verdienen. Fast bescheiden nimmt sich da Jositschs Vor-Vorgänger Alexander Tschäppät aus: Er holte 80 000 Franken jährlich ab. Dem Bund sagte Tschäppät, er setze für sein KV-Präsidium nur einen Arbeitstag pro Monat ein. Jositsch ist ausserdem als Anwalt tätig mit eigener Kanzlei. Dort verdient er unter anderem an einem 800-Millionen-Franken- Fall um eine usbekische Diktatorentochter. Hinzu kommen einträgliche Gutachten, vielleicht vier bis fünf pro Jahr à 30 000 bis 50 000 Franken.

Wer so viele Interessen vertritt, verheddert sich: Jositsch sitzt im VR zweier privater Immobilienfirmen, und ist – als Zürcher Ständerat – auch Verwaltungsrat der Stadtwohnung Bern AG. Als Beirat im Zürcher Bankenverband vertritt er die Interessen des Zürcher Finanzplatzes, den seine Partei, die SP, bekämpft, indem sie den Kapitalismus überwinden will.

SP-Politiker Jositsch, als Pöstchenjäger Kapitalist, sitzt auch im schulischen Bereich an allen Honigtöpfen: Als Uni-Professor verdient er beim Kanton. Als Verwaltungsrat ist er bei privaten Fach- und Fachhochschulen an der Quelle. Ob und wie viel Geld er dort nimmt, ist ein Geheimnis. Exakt beziffern lässt sich sein Job als Beirat der Firma Comparis: Dort bezieht er für vier Sitzungen pro Jahr jeweils 2000 Franken, immer am ersten Sessionstag, an dem er auch sein volles Taggeld als Ständerat erhält. Eine Zürcher Coiffeuse, die Jositschs SP vertritt, muss für dieses Sitzungsgeld einen halben Monat Haare schneiden.

Hochgerechnet: Ständerat, KV-Präsident, Multi-Verwaltungsrat, Anwalt, Finanzplatzspezialist und Gutacher Jositsch kommt auf ein Pöstchenpensum von mindestens 250 Prozent.

Jositschs Stöckli-Kollege Ruedi Noser (FDP) sagte der Limmattaler Zeitung kürzlich: «Ständerat für den Kanton Zürich zu sein, ist fast ein 100-Prozent-Pensum.» Das hindert ihn allerdings nicht daran, sich ebenfalls 22 weitere, zum Teil äusserst lukrative Zusatzmandate aufzubürden. An einem NZZ-Podium lobte sich Noser für seine vielen «ehrenamtlichen» Posten. Tatsache ist: Seit seiner Wahl in den Ständerat steht Nicht-Banker Noser als hochbezahlter VR auf der Payroll der Credit Suisse Asset Management Schweiz AG. Er vertritt, ebenfalls bezahlt im VR, die Interessen der Vereinigung der Zürcher Aktiengesellschaften. Der vielseitige Glarner amtet zudem als Vizepräsident der deutschen Verteilfirma AMC International für Kochsets, Töpfe und Pfannen. Und er ist VR-Präsident bei der Natürli Zürioberland AG «Rohmilchkäse aus Leidenschaft».

Weitere bezahlte Pöstchen Nosers: Verwaltungsrat beim E-Bike-Hersteller Mystromer AG, bei der Farmy AG, beim Unternehmensberatungsdienstleister Worldwebforum Beecom AG und bei zahlreichen Ablegern seiner Noser Group. Wenn man das alles stundenmässig zusammenrechnet, inbegriffen die unbezahlten Mandate, ergibt sich auch beim FDP-Herkules ein Gesamtpensum von gegen 300 Prozent.

Wohlverstanden: Nichts gegen Politiker, die sich für die Wirtschaft engagieren. Aber warum müssen sie sich dafür bezahlen lassen? Das Problem sind auch nicht Parlamentarier, die neben ihrem Amt noch einen Beruf ausüben und vielleicht das eine oder andere VR-Mandat übernehmen. Das Problem sind Politiker, die ihr Polit- Amt mit Zusatzmandaten im Multipack vergolden; die sich gezielt anbieten, andienen, einkaufen lassen als willige Interessensöldner zahlungskräftiger Lobbygruppen.

Die Seuche der gekauften Parlamentarier ist ein Problem aller Parteien von links bis rechts. Wie die NZZ aber richtig schrieb, sind die mittigen, die «lösungsorientierten», die wendigen, bei den Medien beliebten Konsenspolitiker als Söldner besonders gefragt. Kantige, angriffige Typen eignen sich weniger.

Die Selbstbediener richten grossen Schaden an. Sie untergraben die Demokratie. Sie pervertieren das Milizsystem. Was not tut, ist Transparenz. Die Pöstli-Jäger sollen ihre Bezüge, Taggelder, Spesen und Pauschalen offenlegen. Die Wähler dürfen erfahren, ob einer das einträgliche VR-Mandat der eigenen Leistung oder dem politischen Amt verdankt. Politiker, die zuerst ans Portemonnaie denken, sind korrupt. Der grösste Feind der Korruption ist Transparenz. Bringt es endlich ans Licht.

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