Weltwoche Editorial 38/19

Editorial

Lauber, Höcke

Von Roger Köppel

Bundesanwaltschaft. Der dunkle Fürst aus dem Osten.

Nun also die Frage, ob man Bundesanwalt Michael Lauber wiederwählen sollte. Der drahtige Solothurner ist ins Visier geraten. Zahlreiche Parteien, mehrheitlich links, haben sich auf ihn eingeschossen. Man wirft ihm zu Recht vor, er habe sich im pikanten Fall um den Weltfussballverband Fifa nicht ans Reglement gehalten. Die Rede ist von fehlenden Protokollen. Das ist nicht in Ordnung. Trotzdem ist es völlig überzogen, Lauber deswegen in die Wüste schicken zu wollen. Seine Amtszeit verlief, wenn man frühere Bundesanwälte betrachtet, geradezu skandalfrei. Seine Verfehlungen sind Peanuts im Vergleich mit früheren Jahren, als die Bundesanwaltschaft ein Seuchenherd von Intrigen und politischen Manövern war. Was immer man Lauber vorwirft, er hat seine Sache gewiss nicht schlechter gemacht als einige seiner Vorgänger, die im Amt bleiben konnten und von den gleichen Leuten gedeckt wurden, die heute Laubers Ersetzung fordern. Ungeachtet dessen bleibt die Bundesanwaltschaft eine Problembehörde, ein Fremdkörper im sonst föderalistischen Schweizer Justizsystem, ein Kropf in Bern, der kantonalen Strafverfolgung aufgepfroft. Trotz allem: Lauber sollte bleiben.

Gross zu reden gab eine als Interview getarnte Falle eines ZDF-Journalisten gegen den hochumstrittenen AfD-Politiker Björn Höcke, der sich gegenwärtig als Spitzenkandidat seiner Partei in Thüringen der Wahl stellt. Höcke gilt weithin als Gruselfigur, weil er in seine Reden immer wieder raunende Anspielungen an unheimliche deutsche Geschichtsepochen einflicht. Das Holocaust-Mahnmal in Berlin nannte er einmal doppeldeutig «Denkmal der Schande». In seinen Reden kommt immer mal wieder das dröhnend- finstere Adjektiv «tausendjährig» vor, bei dem es wohl jedem Deutschen, der schon einmal von Hitler gehört hat, eiskalte Schauer über den Rücken jagt.

Ich habe keine Ahnung, was Höcke mit solchen Provokationen beabsichtigt, und man muss auch bedenken, dass das deutsche Patriotismusvokabular nach dem letzten Weltkrieg hochgradig vergiftet ist. Was bei einem Briten oder Amerikaner mühelos durchgeht, klingt bei einem Deutschen bald nach Stechschritt oder Panzerdivision. Eine der traurigsten Hinterlassenschaften der Hitler-Diktatur besteht ja nicht nur darin, dass der «Führer» sein Land und den halben Planeten in Schutt und Asche gelegt hat. Zu allem Übel verseuchten die Nazis nachhaltig zuvor unbelastete deutsche Begriffe und Traditionen wie «Familie», «Autobahn » oder «Nation». Auch war Hitler Vegetarier, was heute allerdings nicht jeden Vegetarier automatisch zu einem Nazi macht.

Deshalb ist es programmiert, dass die Medien immer wieder, fast dankbar, auf einen Provokateur wie Höcke einsteigen, wenn er in den deutschen Giftschrank greift. Der thüringische AfD-Chef ist ein Meister im Schmeissen verbaler Handgranaten, wobei er sich nach den Attacken immer wieder zurückzieht hinter die Unschuldsmiene des überraschten Intellektuellen, der sich missverstanden wähnt. Ein Teil des Erregungsphänomens Höcke besteht darin, dass der wortgewandte Ex-Lehrer sich absichtsvoll im Nebel seiner eigenen Uneindeutigkeiten verhüllt. Würde er einmal klar hinlegen, was er will und worum es ihm geht, wäre wohl einiges vom dämonischen Höcke- Zauber weg, den die höckesüchtigen deutschen Medien natürlich genussvoll zelebrieren. Denn nichts fördert das Ansehen eines deutschen Journalisten mehr, als wenn er 74 Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft Nazis entlarvt, auch wenn der journalistische Nazi- Begriff inzwischen mehr mit dem aktuellen Journalismus als mit dem historischen Nationalsozialismus zu tun hat.

Womit wir bei der eingangs erwähnten ZDF-Falle sind. Ein Journalist des Senders hatte die lustige Idee, den AfD-Provokateur mit Hitler-Zitaten aufs Glatteis zu führen. Raffinierter noch: Der ZDF-Mann fragte Höckes Parteikollegen, ob bestimmte Zitate von Hitler oder von Höcke seien, was die Kollegen, da es sich allesamt um zwar verschwurbelt pathetische, aber insgesamt harmlose Zitate handelte, natürlich nicht wissen konnten. So sollte dann für den Zuschauer der Nachweis erbracht werden, dass es sich bei Höcke und Hitler irgendwie um zwei schwer zu unterscheidende Personen handelt. Höcke war wegen dieses Vorgehens betupft, was dann zum Abbruch des Interviews führte. Der Politiker sagte auch noch, dass er dem ZDF-Journalisten allenfalls nie mehr ein Interview geben werde, was in der hypererregten linksdeutschen Medienöffentlichkeit zur «Drohung» hochgedeutet wurde, so als ob Höcke einen Drohnenangriff oder einen Armeeeinsatz gegen die Fernsehanstalt in Aussicht gestellt hätte.

Das ist alles ziemlich peinlich. Peinlich ist, dass Höcke die Hitler- Unterstellungen nicht einfach souverän wegwischte und die Vorlage zum Platzieren eigener Botschaften nutzte oder zu einem Angriff auf den inquisitorenhaften ZDF-Reporter, der sich mit seinen Zitaten lächerlich machte. Denn selbst der grösste Höcke-Gegner in Deutschland wird ja wohl einräumen, dass der Rauner aus Thüringen trotz allem kein zweiter Hitler ist, der nachweislich einen Vernichtungskrieg und einen Völkermord verschuldete, was man Höcke nicht vorwerfen kann.

Peinlich ist aber auch diese ewige geschichtsblinde Masche vieler Medien und staatlicher deutscher Stellen, die AfD auf eine Stufe mit den wirklichen Nationalsozialisten zu stellen. Diese Technik der diffamierenden Nichtargumentation gegen eine gewählte, grundgesetztreue Oppositionspartei macht deutlich, dass es sich bei Deutschland um eine noch junge Demokratie handelt, die sich entsprechend schwertut mit abweichenden Meinungen und oppositionellen Strömungen, die den politischen Gottesdienst in Berlin stören. Deutschland kennt die Demokratie mit Unterbrüchen ja erst seit 1918, während zum Beispiel eine Schweiz auf jahrhundertelange demokratische Traditionen zurückblickt.

Vor allem aber bringen die Nazikeulen nichts. Schaut man sich die Kommentare auf den Online-Foren an, liegen die Sympathien nach dem ZDF-Angriff deutlich bei Höcke. Dies, obwohl der angeblich so dunkle Fürst aus dem Osten seine Positionen ein weiteres Mal nicht offenlegen musste. So weiss der interessierte Fernsehzuschauer leider noch immer nicht, worum es dem Mann eigentlich geht, der die deutschen Medien wie kein anderer in Alarmbereitschaft hält.

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