Weltwoche Editorial 34/19

Editorial

Endlich Wahlkampf

Von Roger Köppel

Das Apfelraupen-Plakat der SVP ist hervorragendes Polit-Marketing mit einer substanziellen Botschaft.

Der Provokationsangriff der SVP hat mit der Präzision einer Fernlenkwaffe eingeschlagen. Die neue Plakatkampagne der Volkspartei zeigt einen saftigen roten Schweizer Wohlstandsapfel, der von ekligen, gefrässigen Raupen ausgehöhlt wird. Die Raupen stehen für die EU, für die Linken und für die bürgerlichen Mitteparteien FDP und CVP. Dazu die Botschaft: «Sollen Linke und Nette die Schweiz zerstören?»

Die Journalisten ereifern sich. Entrüstung und Empörung auf allen Kanälen. Es ist faszinierend, zu beobachten, wie die Kommentatoren, die die SVP bis vor wenigen Tagen noch erleichtert bis gönnerhaft als lendenlahme, verzweifelte Randerscheinung dieses Wahljahrs taxierten, die gleiche Partei nun plötzlich ins absolute Rampenlicht der politischen Aufmerksamkeit katapultieren. Die Provokationsfalle hat nach Drehbuch zugeschlagen. Alles dreht sich wieder um die SVP.

Still und heimlich, verborgen vor den Führungsgremien, brüteten mutmasslich Parteistratege Christoph Blocher und Wahlkampfleiter Adrian Amstutz die Schockattacke aus. Als das Sujet am letzten Sonntagabend erstmals die Runde machte, fielen zahlreiche Parteikollegen aus den Wolken. Ein Überraschungsangriff auch für sie.

Darf man das? Oder haben wir es hier mit einem Rückfall in die düstersten Abgründe abendländischer Krawallpolitik zu tun? So deuten es natürlich die hochwohllöblichen Anstandswächter in den Medien, die allerdings freudig applaudieren, wenn zum Beispiel ein legal gewählter amerikanischer Präsident seit anderthalb Jahren in führenden Blättern als kopfabschneidender Terrorist oder weltverschlingende Supernova abgebildet wird.

Der Vorwurf eines Blick-Schrillschreibers, die SVP bediene sich bildsprachlich des Nazi-Wortschatzes, fällt auf den Verleumder zurück. Wem im Umgang mit der grössten Schweizer Bundesratspartei nur noch die Hitlerkeule einfällt, offenbart ein totalitär anmutendes Ausgrenzungsflair. Er will nicht argumentieren, sondern diffamieren. Und wer über den Stil schimpft, möchte über den Inhalt nicht reden.

Womit wir beim eigentlichen Thema wären: der Kunst der politischen Provokation. Viele versuchen es, die meisten scheitern. In der Schweiz hat die SVP in diesem Genre Massstäbe gesetzt, und die Tatsache, dass die Partei mit ihren Provokationen vor der misstrauisch intelligenten Schweizer Wählerschaft so gross geworden ist, legt den Verdacht nahe, dass diese Provokationen mehr waren als blosse Provokationen.

Provokation kommt von «provozieren», lateinisch provocare, hervorrufen. Provokationen sind ein Instrument, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Jede Provokation ist aber nur so gut wie die Botschaft, die sie transportieren soll. Steckt hinter einer Provokation eine schwache Botschaft, ist der Absturz gewaltig, denn je grösser die Aufmerksamkeit, desto grösser die Peinlichkeit, wenn der Inhalt nicht genügt.

Natürlich sind Provokationen meistens unanständig, dreckig, oft schockierend, zuweilen eklig, für den Absender mit Reputationsrisiken verbunden, doch auf all dies kommt es nicht an, denn die Provokation dient lediglich als Trägerrakete und Aufmerksamkeitsbeschaffer für eine Botschaft, die sonst nicht in die öffentlichen Umlaufbahnen gelangen würde. Alles kommt auf die Substanz der Botschaft an.

Und hier liegt der sich selbst beweisende Volltreffer des neuen SVP-Plakats: Wäre es nur eine belanglose provokative Unanständigkeit, eine Provokation um der Provokation willen, würde sie im politmedialen Resonanzkörper echolos verhallen. Auch das Publikum reagiert mit Desinteresse, ja mit Verärgerung, wenn die eigene Aufmerksamkeit, eines der rarsten Güter überhaupt, für Unerhebliches beansprucht wird. Dass nun aber die geballte Corona der Medien, Meinungsmacher und SVP-Kritiker in allen Parteien so allergisch auf das Apfelraupen-Plakat einsteigt, verdeutlicht, wie sehr sie alle am Nerv getroffen wurden.

Denn das Plakat hat tatsächlich eine gewichtige, eine substanzielle Botschaft: Die Schweiz wird ausgehöhlt durch die EU und ihre willigen Helfer. Das Bild des Apfels symbolisiert den Wohlstand, eine Anleihe an die Alpenmythologie der Tell-Saga, dann aber auch eine Anspielung auf das Wohlstandsapfelbäumchen der SVP-Gegner von Economiesuisse bei der Masseneinwanderungsinitiative.

Der Schweizer Apfel ist wurmstichig geworden, der Wohlstand wird durchlöchert, weggefressen. Die grosse Gefahr ist die EU, die von der Schweiz jährliche Tributzahlungen und institutionelle Unterwerfung fordert. Emsig nagen die Rot-Grünen, die sich am Wohlstand laben, den andere schwer erwirtschaftet haben, «Krume für Krume [. . .] durch harte, gewissenhafte Arbeit» (Herbert Lüthy).

Schädlich für die Schweiz sind auch die «netten» bürgerlichen Mitteparteien FDP und CVP. Sie wollen die EU-Unterwerfung, die Entmachtung von Bürgern, Kantonen und Parlamenten, doch das gewichtige Thema verschieben sie auf die Zeit nach den Wahlen, um sich vorher als Superpatrioten aufzuspielen, die hinterher das Volk in die Irre führen.

All dies und mehr steckt im Provokations- Bild des wurmstichigen Apfels. Und dass sich einige Journalisten so selbstgerecht ereifern, macht nur deutlich, wie sehr auch sie sich angesprochen fühlen als Mithelfer und/oder Vertuscher bei der grossen Schweiz-Aushöhlung.

Was wiederum beweist: Die Provokation war nötig. Wer mit seinen Botschaften nicht mehr durchkommt, weil sich die Medien mit dem politischen Gegner verbündet haben, muss provozieren, um wieder gehört zu werden.

Mit einem Schlag, mit einem Plakat kehrt die journalistisch abgeschriebene SVP ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit zurück. Ein Meisterstreich. Aber auch Aufklärung: Die Konfliktlinien werden wieder sichtbar, die Fronten entstellen sich zur Kenntlichkeit, und der Wähler hat plötzlich Auswahl und Übersicht. Das Apfelraupen-Plakat wirkt wie ein reinigendes Gewitter auf die zuvor klimaschwül gelähmte Schweizer Politik. Endlich ist Wahlkampf.

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