Boris, Trump, Schweiz
Von Roger Köppel
Eine neue Allianz freiheitsliebender Länder.
Grossbritanniens neuer Premierminister Boris Johnson wird massiv unterschätzt. Das lässt sich allein schon daran ablesen, dass Tages-Anzeiger, Schweizer Fernsehen und die NZZ nicht müde werden, ihre Leser vor dem «Clown» zu warnen.
Die Mainstream-Medien führen nun schon seit Monaten eine Kampagne gegen den hochgebildeten Ex-Journalisten, der es immerhin geschafft hat, in der linken Stadt London zweimal als Tory-Bürgermeister gewählt zu werden.
In den Zeitungen lese ich, Johnson sei sprunghaft und unberechenbar, also alles andere als vertrauenswürdig. Ich habe ihn vor knapp fünfzehn Jahren persönlich kennengelernt, mehrmals getroffen, mit ihm zusammengearbeitet und einige seiner Bücher gelesen.
Mag sein, dass er auch schon mal eine Meinung geändert hat, doch anders als bei Frau Merkel, die für ihren «Pragmatismus» in den Medien gefeiert wurde, ist Johnson die «Windfahne », gegen die aus vollen Rohren gefeuert werden darf.
Was immer diese oberflächlichen, ihre eigenen politischen Vorurteile und Vorlieben an Johnson abarbeitenden Rezensenten bewegt: Sie verkennen den roten, unverrückbaren Faden im politischen Denken des neuen Premiers: seine fundierte EU-Skepsis.
Johnson ist kein Amateur. Er hat als Korrespondent in Brüssel gearbeitet. Seine Kolumnen im Daily Telegraph waren brillant. Als in Europa die meisten noch blind der EU hinterherliefen, klärte Johnson seine Leser über die Irrwege und Fehlkonstruktionen Brüssels auf.
Seine Diagnosen waren hellsichtig, auch lustig, aber selbstverständlich ist Johnson, ein subtiler Intellektueller, der freilich schlau genug ist, seine Brillanz nicht an die grosse Glocke zu hängen, auch ein sensibler Politiker, der Grossbritannien nicht einfach in eine offene Feldschlacht mit der EU führen wird.
Diese Ambivalenz, man könnte es auch Vorsicht nennen, wird Johnson in den Medien freihändig als Wankelmut ausgelegt. Man glaubt eine Diskrepanz zwischen Worten und Taten auszumachen – auf dem Papier EU-Kritiker, in der Praxis aber zögerlich, nicht wirklich bereit, Grossbritannien in die Unabhängigkeit zurückzuführen.
Mal sehen. In seiner ersten Woche als Premier hat Johnson seine Gegner überrascht. Seine ersten Personalentscheide lassen den pickelharten Willen erkennen, die EU tatsächlich am 31. Oktober zu verlassen. Wenn es sein muss, ohne Deal. Was ihm die Medien, die zunächst seine angebliche Unentschlossenheit geisselten, natürlich wieder um die Ohren schlagen.
Johnson hat sogar in Aussicht gestellt, die EU-Austrittsgebühr von 39 Milliarden Pfund zurückzubehalten. Was ist so schlimm daran? Die EU ist weltweit der einzige Verein, bei dem man zahlen muss, wenn man rein will, bei dem man zahlen muss, wenn man drin ist und bei dem man zahlen muss, wenn wenn man raus will. Und wenn man Schweiz heisst, muss man auch zahlen, obschon man gar nie drin war.
Leider machen auch Schweizer Medien und Meinungsmacher bei diesem roboterhaften Boris-Bashing mit. Sie übersehen das Wesentliche: Wenn Johnson Erfolg haben wird, woran er sehr ernsthaft arbeitet, dann wäre das eine grossartige Nachricht für die Schweiz.
Wie Grossbritannien will die Schweiz gute Beziehungen mit der EU. Sie will Freihandel, eine geregelte Zuwanderung, wechselseitigen Austausch, aber die Schweiz will auch, wie Grossbritannien, die Kontrolle behalten darüber, was auf ihrem Staatsgebiet passiert.
Ein Austritt Grossbritanniens schwächt den EU-Zentralismus und stärkt das Eigengewicht der Mitgliedstaaten. Vielfalt vor Einfalt. Das ist gut für die Schweiz, die wie Grossbritannien auf Augenhöhe mit der EU zusammenarbeiten will, aber eben ohne Bevormundung und Diktate aus Brüssel.
Johnson brachte in der Weltwoche einst die Idee von «Britzerland» ins Spiel – engere wirtschaftliche Kooperation der beiden Freiheitsinseln. Journalisten haben an unkonventionellen, inspirierenden Ideen wenig Freude. Sonst würden sie nicht so erbarmungslos auf Johnson einprügeln.
Noch härter als auf Johnson schiessen die Schweizer Medien auf US-Präsident Donald Trump. Alles, was er macht, ist falsch. Angeblich. Seine Erfolge sind keine Zeile wert. Dass der Amtsinhaber von Washington der Schweiz eine Geburtstagskarte zum 1. August schrieb, wird belächelt oder ausgeblendet. Dabei ist es ein interessantes Zeichen.
Was sich zwischen der Schweiz, Grossbritannien und den USA abzeichnet, sind die zarten Knospen einer neuen Allianz freiheitlicher, weltoffener Staaten. Internationale Zusammenarbeit ja, aber keine bürokratischen Zwangsjacken: Das ist von alters her das Freiheitsverständnis der angelsächsischen Staaten, der Schwesterrepubliken der Schweiz.
Geschenkt, dass Trump nicht dem Idealbild eines Schweizer Konsenspolitikers entspricht. Aber der Mann im Weissen Haus hegt offenkundig Sympathien für das unabhängige EU-Nichtmitglied mitten in Europa. Das ist erfreulich. Und im besten Interesse unseres Landes.
Trumps 1.-August-Gruss ist eine Anerkennung der schweizerischen Unabhängigkeit. Gerade weil die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, kann sie auf das Wohlwollen des US-Präsidenten zählen. Und vielleicht bald ein Freihandelsabkommen mit den Amerikanern unterschreiben. Wem das peinlich ist, der hat den Sinn für Realpolitik verloren.
Die Schweiz bleibt interessant, solange sie sich nirgends bindet. Unabhängigkeit bedeutet, ermöglicht Weltoffenheit. Die Chancen zeigen sich immer deutlicher. Briten, Amerikaner, Chinesen, auch die Russen ziehen die Schweiz einer arroganten, besserwisserischen EU vor. Gut so.