Weltwoche Editorial 29/19

Editorial

Speisekarte

Von Roger Köppel

Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber.

Was führende EU-Funktionäre über die Schweiz denken, kommt immer deutlicher heraus. Der abtretende Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker bezeichnete die Schweiz einmal als «geostrategisches Unding », gemäss Duden ein «Schandfleck». Was macht man mit einem Schandfleck? Man wischt ihn weg.

Manfred Weber, seines Zeichens gescheiterter Ex-Favorit auf die Juncker-Nachfolge, schimpfte vor wenigen Monaten über die «störrischen Schweizer», die das von der EU so sehnlichst gewünschte Rahmenabkommen partout nicht unterzeichnen würden. Man werde, so Weber, gegen die Eidgenossen «andere Saiten» aufziehen müssen.

Kurz vor den Sommerferien giftete ein genervter Johannes Hahn, EU-Kommissar aus Österreich, die Schweiz brauche dringend einen «Warnschuss vor den Bug», weil sie beim Rahmenvertrag angeblich auf Zeit spiele.

Hahns Kollege Michael Matthiessen, EU-Botschafter in Bern, doppelte drohend nach: «Wenn ihr nicht am Tisch sitzt, kommt ihr auf die Speisekarte.» Frei übersetzt: Verweigert die Schweiz beim Rahmenabkommen weiter ihre Unterschrift, wird sie von der EU aufgefressen.

Darf man mit Leuten, die einen auf die Speisekarte setzen wollen, einen Vertrag abschliessen? Vielleicht. Wenn es ein guter Vertrag ist.

Auf gar keinen Fall aber darf man Leuten, die so daherreden und die Schweiz verspeisen wollen, mit einem Vertrag Macht über die Schweiz und ihre Gesetzgebung übertragen.

Man liefert sich nicht seinen Gegnern aus. Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber.

Genau das aber ist der Plan vieler Politiker im Bundeshaus. Sie fordern wie Juncker, Weber, Hahn und Matthiessen eine möglichst baldige Unterzeichnung des institutionellen EU-Rahmenabkommens.

Dieser Vertrag würde die Schweiz zum Passivmitglied, zur Rechtskolonie der EU machen. Brüssel diktiert, die Schweiz gehorcht. Volk, Kantone, Parlament und Bundesgericht wären entmachtet.

Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber: Die beiden Zürcher Ständeräte Daniel Jositsch (SP) und Ruedi Noser (FDP) sind beide glühende Verfechter dieses institutionellen Abkommens, mit dem die EU die Macht über wesentliche Teile unserer Rechtsordnung übernehmen würde. Beide sind sie bereit, Leute wie Juncker, Hahn oder Matthiessen ans Ruder zu lassen, die über die Schweiz reden wie früher die amerikanischen Siedler über die Indianer.

Wenn der Rahmenvertrag kommt, verlieren nicht nur die Stimmbürger ihre Volksrechte. Es braucht auch keine oder fast keine National- und Ständeräte mehr. Um die von Brüssel diktierten Gesetze abzuschreiben, sind nicht 246 Parlamentarier nötig. Es genügen ein paar Anwälte und Beamte in Bern. Noser, Jositsch und andere, die für das Rahmenabkommen eintreten, arbeiten im Grunde ihrer Abschaffung entgegen.

Auch bei den Wirtschaftsverbänden ist die Sehnsucht gross, die Schweiz an die EU anzudocken. Unzweifelhaft käme unser Land dann noch stärker ins politische Fahrwasser, unter politischen Einfluss der EU.

Es würde viel schwieriger, es anders und besser zu machen. Steuern und Abgaben würden steigen. Die Brüsseler Regulierungsflut würde die Schweiz direkter treffen.

Wohin die EU driften will, zeigte sich am Dienstagmorgen an der grossen Bewerbungsrede der neuen Chefkommissarin Ursula von der Leyen.

Die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin, die jetzt Junckers Nachfolge antritt, plädierte für ein «klimaneutrales, soziales, geeintes Europa». Grosse Internetkonzerne sollen höher besteuert, die Mindestlöhne angehoben werden.

Ein Internetportal fasste zusammen: «Energische Rede, Konzessionen an alle.»

Von der Leyen steht für eine EU, die den Nationalstaaten nicht mehr, sondern weniger Verantwortung zugestehen will. Sie fordert Mehrheitsentscheidungen, also mehr Zentralismus, wie es Frankreich möchte. Gegen die illegale Migration versprach sie vorzugehen. Gleichzeitig stellte sie sich ausdrücklich hinter die umstrittene bis gesetzeswidrige Seenotrettung, die Anreize schafft für immer mehr illegale Migration.

Wie Kanzlerin Merkel ist sie für zwingende Flüchtlingsquoten, die EU-Mitgliedstaaten per Mehrheitsbeschluss aufgenötigt werden sollen. Hilflos ist die Schweiz mit dem Schengen/ Dublin-Abkommen an diesen Mechanismus angekoppelt.

Was die EU macht und will, ist ihre Sache. Aber warum soll sich die Schweiz ohne Not noch enger an eine Organisation anbinden, die sich mit einer kriegerischen Sprache und mit Erpressungen Einfluss auf unsere Rechtsordnung zu verschaffen versucht?

Selbstmörderisch wäre es, dieser durch den Brexit verunsicherten und aggressiver auftretenden EU mit einem institutionellen Abkommen Vollmachten und Durchgriffsrechte in der Schweiz zu übertragen.

Konkret will von der Leyen Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent des Planeten umbauen. Dazu sind neue Verbote, Gesetze und gigantische Lenkungsabgaben, also Steuern, nötig. Ob solche Ziele überhaupt erreichbar sind, steht in den Sternen. Die EU ist auch ein Resonanzkörper für die Verlautbarung von Plänen, die oft an der Wirklichkeit scheitern.

Tatsache bleibt, dass eine engere EU-Anbindung die Schweiz grossen unnötigen Risiken aussetzen würde. Der Verlust an Volksrechten und Unabhängigkeit, die uns das Austüfteln massgeschneiderter Lösungen erlaubt, wird durch den angeblichen Abbau bürokratischer Hindernisse für einige Exportunternehmen nicht wettgemacht.

Im Gegenteil. Die Schweiz sollte ihre langfristigen Erfolgsgaranten – Selbstbestimmung, Föderalismus, Neutralität, direkte Demokratie – nicht auf dem Altar kurzfristiger Bequemlichkeiten opfern.

Von der Leyen sprach sich für eine bedeutendere machtpolitische Rolle Europas und der EU in der Welt aus. Die Schweiz sollte bei solchen Grossmachtfantasien misstrauisch abseitsstehen. Als Kleinstaat haben wir am Tisch der Mächtigen und der Möchtegernmächtigen nichts zu suchen. Die Schweiz kann, soll und muss als Land weltoffen, beweglich und damit frei, also unabhängig von der EU bleiben.

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