Weltwoche Editorial 27/20

Editorial

Chemotherapie

Von Roger Köppel

Braucht es Kampfflugzeuge? Macron gegen die Personenfreizügigkeit. Trump: grauenhaft, aber nötig?

B

raucht die Schweiz neue Kampfflugzeuge? Ja. Ich kann fachlich nicht beurteilen, ob die 1996 beschafften F/A-18 ihren Dienst noch tun, aber ihre Ablösung ist eine Frage der Zeit. Man kann sich um einen Entscheid herumdrücken, abwarten, aber irgendwann müssen die alten Flieger ersetzt werden. Die Linke kämpft dagegen. Einige ihrer Wortführer sind der Meinung, man könne das Geld, insgesamt sechs Milliarden Franken, anderweitig besser einsetzen, zum Beispiel im Gesundheitswesen. Schauen wir aufs Grundsätzliche: Wenn ein Staat unabhängig sein und bleiben will, muss er sich im Kriegsfall am Boden und in der Luft selber verteidigen können. Wenn der Staat die Verteidigung nicht selber leisten kann, sondern auf auswärtige Hilfe angewiesen ist, ist er faktisch kein unabhängiger, souveräner Staat mehr.

Die Schweizer Verfassung gibt der Politik vor, die Rechte des Volkes und die Unabhängigkeit des Landes zu wahren. Daraus leitet sich der Auftrag ab, eine einsatzfähige und wehrbereite Streitmacht zu unterhalten und zu finanzieren. Natürlich ist ein Armeekonzept ohne Luftwaffe nach dem Vorbild der afghanischen Mudschahedin denkbar. Auch die vietnamesischen Vietcong-Rebellen operierten weitgehend nach dem Rezeptbuch des Guerillakriegs. Dieses Konzept aber steht für die Schweiz nicht zur Debatte. Eine moderne Luftwaffe ist ein integraler Bestandteil der militärischen Selbstverteidigung und damit die notwendige Bedingung der staatlichen Unabhängigkeit. Wer die Luftwaffe bekämpft, schwächt die Armee und sägt an einer Staatssäule der Schweiz.

N

eue Studien des Bundes wollen belegen, dass die massive Zuwanderung aus dem EU-Raum keinen Druck erzeugt auf den Schweizer Arbeitsmarkt. Die NZZ fasst die Ergebnisse der Untersuchungen so zusammen: «Die starke Einwanderung der letzten 15 Jahre hat per saldo weder die Löhne breit gesenkt noch die Arbeitslosigkeit stark erhöht. Es gibt immer auch Verlierer, doch insgesamt sind die Beschäftigung und die Löhne weiter gestiegen. » Offensichtlich gibt es an diesen Einschätzungen in der Bevölkerung erhebliche Zweifel. Sonst müsste der Bund nicht mit von ihm bezahlten Gutachten dagegen anschreiben.

Innerhalb der letzten dreizehn Jahre sind eine Million Menschen netto in die Schweiz eingewandert, eine gigantische Menge. Die Zahl der Erwerbslosen – Arbeitslose plus Ausgesteuerte – war in der Schweiz schon vor Corona höher als der vergleichbare Wert in Deutschland. Das verwundert nicht. Es ist ein ökonomisches Gesetz, dass der Zustrom an günstigen Arbeitskräften aus Europa den Druck auf die Löhne erhöht und die Arbeitslosigkeit verschärft. Die Behörden haben die Zuwanderung lange damit gerechtfertigt, es kämen vor allem hervorragend ausgebildete Fachkräfte. Wäre dies wahr, müsste die Schweizer Pro-Kopf-Produktivität gestiegen sein. Tatsächlich ging sie zurück.

Ohnehin verstricken sich die Behörden in Widersprüche. Sie versuchen den Leuten einzuträufeln, die massive Zuwanderung der letzten Jahre habe die allermeisten wohlhabender und glücklicher gemacht. Gleichzeitig haben der Bundesrat und jene Parteien, die gegen die Begrenzungsinitiative sind, im Eiltempo ein neues Sozialwerk eingeflogen, um die sozialen Härten für ältere Schweizer Arbeitslose abzufedern. Wieso installiert der Bundesrat eine «Überbrückungsleistung» für ältere Arbeitslose ausgerechnet vor einer weichenstellenden Abstimmung über Zuwanderung, wenn doch die Zuwanderung angeblich «weder die Löhne breit gesenkt noch die Arbeitslosigkeit stark erhöht hat», wie die NZZ schreibt?

Natürlich bringt Zuwanderung die Löhne und die Arbeitsplatzsicherheit unter Druck. Man kann diese Tatsache verdrängen, aber man kann sie nicht wegzaubern. In Frankreich will Präsident Macron jetzt die Zuwanderung von Arbeitskräften einschränken aufgrund der Corona-Rezession. Arbeitsministerin Muriel Pénicaud entwickelt ein Rettungsprogramm für französische Stellen. Ins Visier nehmen die beiden offenbar die Entsenderichtlinie der EU, die es Arbeitern aus ganz Europa erlaubt, ihre Dienste überall in der EU anzubieten. «Wir glauben immer noch an die Personenfreizügigkeit », wird Muriel Pénicaud im Figaro zitiert, «aber wir müssen sehen, dass wir sie besser regulieren können.»

Während der EU-Kernstaat Frankreich also offen über einen Abbau der Personenfreizügigkeit nachdenkt, ist die Regierung des Nicht-EU-Mitglieds Schweiz wild entschlossen, die Personenfreizügigkeit niemals auch nur anzurühren. Die EU gedenkt vielmehr, mit einem institutionellen Rahmenabkommen die Personenfreizügigkeit in die Schweiz noch auszubauen. Auch bei diesem Ansinnen weiss Brüssel den Bundesrat und eine Mehrheit der Parteien hinter sich.

S

chafft Donald Trump die Wiederwahl? Ich habe keine Ahnung. Den Medien ist nicht zu trauen. Sie feuern unablässig, reflexhaft auf den unerwünschten Wahlgewinner von 2016. Trump könnte ein Wundermittel gegen Krebs erfinden, für die Journalisten bliebe er trotzdem eine fürchterliche Fehlbesetzung. Warum? Wohl deshalb, weil er die weltweit grösste Gefahr für die internationale Linke darstellt.

Er ist gegen alles, was ihr und vielen Journalisten heilig ist: Klimaplanwirtschaft, höhere Steuern, mehr Staat, weniger Freiheit, Genderismus, Denkmalsturz, politische Korrektheit. Und was besonders ärgert: Anders als die wendigen Salonkonservativen schlägt Trump zurück. Er biedert sich nicht an. Er lässt sich nicht unterkriegen. Er kämpft.

Natürlich liegen die meisten Journalisten falsch. Wäre Trump so schwach und unfähig, wie sie seit Jahren behaupten, würden sie ihm niemals diese Beachtung geben. Sie sehen in ihm, zu Recht, einen Feind, denn Trump legt sich leidenschaftlich mit den Mainstream-Medien an, attackiert sie ruhelos, obsessiv, Tag und Nacht als heuchlerisch, unfair und parteiisch, um seinerseits von den Medien heruntergeputzt zu werden. Die Selbstsucht der einen befeuert sich an der Egomanie des anderen.

Kann Trump die Hoffnungen erfüllen, deretwegen er gewählt worden ist? Seine Wähler wollten jemanden, der aufräumt in Washington, «den Sumpf trockenlegt». Dafür braucht es keinen Balletttänzer, robuste Naturen sind gefragt. Der konservative Intellektuelle Victor Davis Hanson nannte Trump in der Weltwoche eine politische «Chemotherapie». Grauenhaft, aber notwendig.

Seine grösste Schwäche bleibt sein Narzissmus. Inzwischen redet der Präsident fast nur noch von sich selbst. Ob er damit durchkommt? In diesem verrückten Jahr ist noch immer alles möglich.

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