Weltwoche Editorial 26/19

Editorial

Wohlstands- Verblödung

Von Roger Köppel

Schweizer Politiker wollen aus der Schweiz heraus die Erde retten.

Die Schweiz lebt im trügerischen Glück der Wohlstandsverblödung. Die Wirtschaft läuft, die Börse brummt, die Sonne scheint. Niemand macht sich ernsthaft über etwas Konkretes Sorgen. Wir haben Zeit und Musse, uns den Kopf zu zerbrechen über einen Klimanotstand, der laut Modellrechnungen am Ende des Jahrhunderts eintreten sollte. Oder auch nicht.

Wohlstandsverblödung ist kein Charakterfehler, keine angeborene oder erworbene Eigenschaft, die einige trifft und andere nicht. Wohlstandsverblödung kann alle erwischen. Sie erfasst uns, ohne dass wir es merken. Die Überlebensinstinkte schlafen ein. Wir werden übermütig. Wir glauben, uns alles leisten zu können. Plötzlich kommt der Knall.

Vom Boxer Muhammad Ali stammt der Satz: «Du gehst nur von den Schlägen k.o., die du nicht kommen siehst.» In der Politik gilt: Man geht auch durch Schläge k.o., die man kommen sieht und die man sich sogar selber zugefügt hat. Wohlstandsverblödung folgt auf den Wohlstand, den man für selbstverständlich, für naturgegeben hält.

Wohlstandsverblödet ist zum Beispiel die von Bundesrat und Parlament beschlossene Energiewende, der Ausstieg aus der Kernenergie ohne Absicherung neuer verlässlicher Quellen. Mittlerweile müssen die betroffenen Bundesämter zugeben, dass sie keine Ahnung haben, wie sie die Schweiz künftig mit Energie versorgen wollen. Die Chefbeamten ersetzen Strategie durch Hoffnung. Die Stromnot wird die Auslandabhängigkeit der Schweiz massiv erhöhen und damit ihre Erpressbarkeit.

Wohlstandsverblödet ist auch die Idee, dass die Schweiz eine anhaltende hohe Netto-Zuwanderung von über 70 000 Personen pro Jahr verkraften kann. In den letzten dreizehn Jahren kamen netto eine Million Menschen in die Schweiz. Wir haben eine höhere Pro-Kopf- Zuwanderung als die Vereinigten Staaten. Der Andrang hat die Erwerbslosenquote auf 4,9 Prozent hochschnellen lassen trotz Hochkonjunktur, während die Produktivität im gleichen Zeitraum sank.

Selbstüberschätzung und Übermut sind Rezepte für den Niedergang. Sicheres Indiz dafür ist etwa die Forderung nach Vaterschaftsurlaub und Elternzeit. Man müsste eine Statistik darüber führen, wie intensiv die Schweiz derzeit politisch darüber diskutiert, wie sich hier am schnellsten eine fremdfinanzierte Freizeitgesellschaft installieren lässt. Die Frage, wer den Kuchen macht, den alle schon vorher verteilen wollen, wird als unanständig zurückgewiesen.

Die Schweiz, lautet der Einwand, sei reich. Sie könne sich das leisten. Kann sie das? Die Freisinnigen kippten am letzten Wochenende in der Klimafrage um. Die Parteidelegierten verordneten dem Freisinn eine scharfe Öko-Wende mit Verboten, Abgaben, Steuern und staatlichen Interventionen. Es war gespenstisch, wie widerstandslos die FDP im Zuge des aktuellen Klimapopulismus zahlreiche ihrer Grundsätze einfach fallenliess.

Exemplarisch in ihrer zeitgeistverliebten Abgehobenheit war die Ansprache des Zürcher Ständerats Ruedi Noser. Nur in wohlstandsleichtsinnigen Zeiten kommen solche Sätze unwidersprochen durch, werden sie sogar beklatscht: «Die Schweiz kann es sich als reiches Land leisten, einen grösseren Effort für die Zukunft des Planeten zu leisten als andere. » Und weiter: «Wir sollten bis 2050 klimaneutral sein.»

Früher waren die Politiker zufrieden, wenn es der Schweiz einigermassen gutging. Heute muss es mindestens die Zukunft des Planeten sein. Es gibt nicht nur eine Inflation des Geldes. Es gibt auch eine inflationäre Aufblähung politischer Begriffe.

Der Klimawandel ist heute die billigste Folie, auf der man sich als Wohltäter aufspielen kann. Wer zu den Guten gehören will, gibt sich als Klimaschützer aus. Und wer zu den Guten gehört, darf alles behaupten, muss nichts mehr belegen. Das allgemein für gut Gehaltene genügt sich selbst.

Nehmen wir Noser beim Wort. Seine Freisinnigen wollen die Schweiz bis 2050 «klimaneutral» machen, also den Schweizer CO2-Ausstoss auf netto null absenken. Netto null heisst: Alles, was in der Schweiz nicht eingespart wird, muss im Ausland durch Geldzahlungen in einer Art Ablasshandel kompensiert werden.

Und wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.

Vermutlich wissen die Delegierten, die Noser applaudiert haben, gar nicht, worauf sie sich unseriöserweise eingelassen haben.

Wer das menschengemachte CO2 abschaffen will, will die moderne Zivilisation abschaffen.

Ohne CO2 kann man keinen Zement herstellen, folglich keinen Beton, keine Gebäude und keine modernen Häuser oder Brücken bauen. Die Asphaltierung von Strassen setzt grosse Mengen an CO2 frei. Wer darauf verzichten möchte, muss zurück zu Feldwegen, Kopfsteinpflastern oder Steinplatten wie die alten Römer.

Ohne CO2-Ausstoss müssten wir auf Kunststoffe verzichten, auf Pharmaprodukte, darunter Aspirin. Stahlproduktion könnte man vergessen, also gäbe es auch keine Eisenbahnen mehr. Der Ausstieg aus dem menschengemachten CO2 würde die Energiekosten drastisch in die Höhe treiben, zahllose Industriebetriebe unprofitabel machen, Unternehmen aus der Schweiz vertreiben und Arbeitsplätze vernichten. Die erforderlichen Gebäudesanierungen, die von den Klimaschützern gefordert werden, dürften viele Rentner in den Ruin stürzen und die Mieten verteuern.

Die Forderung nach null CO2 bis 2050 ist noch verrückter als der Plan, ohne Ersatzlösung aus der Kernenergie auszusteigen. Dass solche Ideen überhaupt geäussert, ernsthaft aufgenommen und in Ansätzen sogar realisiert werden, ist nur durch das eingangs geschilderte Phänomen der Wohlstandsverblödung zu erklären.

Man fordert Dinge, die nicht durchdacht sind. Oder man meint nicht ernst, was man fordert. Politiker, die aus der kleinen Schweiz heraus den Planeten retten wollen, haben den Kontakt zur Wirklichkeit verloren. Oder wollen sie uns für dumm verkaufen?

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