Weltwoche Editorial 22/19

Editorial

Strache

Von Roger Köppel

Der Kampf um die Zukunft der EU wird immer gehässiger. Andersdenkende müssen mit allem rechnen.

Letzte Woche hatten wir einen Gast auf der Redaktion, einen ehemaligen Minister der deutschen Regierung, solider Konservativer, kein «Populist», kein EU-Gegner, sehr vernünftig, differenzierte Meinungen.

Wir diskutierten den Fall Strache. Beide waren wir uns einig, dass der Mann nach den Aufnahmen gehen musste. Aber die Art und Weise, wie man ihn kaputtmachte, löste Entsetzen und auch Ärger über die Methoden im politischen Kampf aus.

Was immer man von Strache hält: Seit Jahren haben die Medien diesen Politiker mit Dreck beworfen, haben sie versucht, ihn als Nazi anzuschwärzen, seine Jugend gegen ihn zu verwenden, ihm alles Mögliche vorzuwerfen und auch anzudichten.

Strache hielt durch und überlebte alle Angriffe.

Seine Leistung und damit auch eine Ursache seines Unglücks besteht darin, dass er Erfolg hatte. Dass er die FPÖ aus der Todeszone nach der Ära Haider zu alter Grösse und schliesslich in die Regierung führte. Dass er seine Kritiker widerlegte, die ihm dergleichen nie zugetraut hätten.

Anders als der fiebrige Überflieger Haider setzte Strache, der lange belächelte Zahntechniker, auf ein berechenbares, klares Programm und stabile Führung.

Sein Wirken als Vizekanzler blieb skandalfrei. Zwar stahl ihm Jungstar Sebastian Kurz die Show, doch Strache setzte die Themen, die sich Kurz dann geschickt anschminkte, um sich als Darling des Zeitgeists ins Rampenlicht zu schieben.

Mit Argumenten und Unterstellungen brachten sie Strache nicht weg. Es brauchte eine geheimdienstähnlich eingefädelte «Lockfalle », um ihn aus dem Amt zu drücken.

Natürlich war der Angriff auf den Mann vor allem ein Angriff auf seine Partei, auf sein Programm. Mit Strache sollte auch eine wichtige politische Kraft getroffen werden, die sich in Europa gegen masslose Zuwanderung, gegen Asylchaos und gegen EU-Zentralismus in Brüssel einsetzt.

Die Affäre zeigt: Nicht die bösen Rechten, sondern ihre Gegner greifen im politischen Kampf zu verbrecherischen Methoden.

Das ist auch eine Folge der jahrelangen medialen Verteufelung der FPÖ. Die Partei wird seit Jahren zum Abschuss freigegeben, für vogelfrei erklärt. Hier wurde ein Klima der fanatisierten Enthemmung geschaffen, das solche Perfid-Attacken begünstigt, einen Markt für solche Verbrechen schafft.

Grosser Verlierer ist dieser Tage auch Jungkanzler Sebastian Kurz. Sein Handling der Affäre war ungeschickt. Er ist offensichtlich kein Stratege. Sein grösster Fehler war, dass er das Video zum Anlass nahm, um seinen Koalitionspartner abzuschiessen. Dümmer hätte er es nicht anstellen können.

Jetzt steht der Shootingstar vor dem Trümmerhaufen seiner politischen Kurzsichtigkeit. Im ersten erfolgreichen Misstrauensvotum der österreichischen Nachkriegsgeschichte wurde er von der Bundesversammlung abgewählt.

Für Strache ist das Ganze tragisch. Natürlich waren seine Aussagen dumm und unhaltbar. Er hat sich bis auf die Unterhosen blamiert. So tritt man vor Fremden einfach nicht auf als Repräsentant einer der grossen konservativen österreichischen Parteien. Nicht einmal in den Ferien.

Auf der anderen Seite: Es ist offensichtlich, dass er an jenem Abend nur bedingt zurechnungsfähig war. Ein gutunterrichtetes Nachrichtenportal berichtet, man habe Strache auf Ibiza heimlich Drogen verabreicht, um ihn redseliger zu machen.

Sind private Hirngespinste und Prahlereien unter Drogen ein politisches Kapitalverbrechen? Ist auch eine Frau selber schuld an dem, was ihr passiert, wenn man sie mit K.-o.-Tropfen gefügig gemacht hat?

Nach deutschem Strafgesetz – Paragraf 201 Abs. 1 – «wird bestraft, wer unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt» und «einem Dritten zugänglich macht».

Genau dies aber haben der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung getan, und zwar auf deutschem Boden, wo das deutsche Strafgesetz unzweifelhaft anwendbar ist.

Die Zeitungen werden sich auf das überragende öffentliche Interesse berufen. Deutsche Richter werden dann entscheiden müssen, ob das österreichische öffentliche Interesse auch von deutschen Medien in Anspruch genommen werden darf.

Ungeachtet dessen: Weil das Video mit mafiaähnlichen Methoden eingefädelt und lange zurückgehalten wurde, hätten die Zeitungen aus medienethischer und vielleicht auch aus juristischer Sicht zwingend die Drahtzieher und deren Motive offenlegen müssen.

Indem sie das nicht taten, setzen sie sich dem Vorwurf aus, als Komplizen von Leuten zu handeln, die eine europäische Wahl manipulieren wollten.

Auf jeden Fall nahmen die Medien die Gefahr einer Wahlmanipulation in Kauf, als sie das explosive Filmchen, das vor fast zwei Jahren aufgezeichnet worden war, ausgerechnet eine Woche vor den Europawahlen öffentlich machten. Die Zeitungen waren hier nicht Berichterstatter, sondern Partei im politischen Kampf.

Der Fall Strache ist auch ein Stresssymptom der EU. Die Union und ihre Eliten verlieren an Macht. Ihnen schwimmen die Felle davon. Immer mehr Bürger wenden sich Parteien zu, die ein anderes Europa, die eine andere EU wollen.

Die EU wird nicht gewinnen, wenn sie diese Skeptiker pauschal zu rechtsextremen Nationalisten abstempelt.

Es muss für die EU-Gewaltigen auch ein Alarmzeichen der Sittenverwilderung sein, wenn die Debatte gegen Andersdenkende in terroristische Rufmordaktionen ausartet. Was kommt als Nächstes? Schüttet man einem Orbán, einer Le Pen oder einem Salvini Gift in den Kaffee, weil man ihnen sonst nicht beikommt?

Strache kämpft weiter. Er will das Attentat auf ihn restlos aufklären helfen. Der Weltwoche erzählte er während des Interviews, dass er sich nicht von Kriminellen aus der Politik drängen lasse.

Vielleicht offenbart sich der Charakter eines Mannes tatsächlich auf einer inszenierten heimlichen Filmaufnahme. Sicher aber zeigt sich der Charakter eines Mannes darin, wie er mit der grössten Krise seines Lebens umgeht.

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