Weltwoche Editorial 14/20

Editorial

Giftpille

Von Roger Köppel

Die Linke will mit Corona den Staatssozialismus einführen.

D

ie Vorgänge sind historisch. So etwas gab es noch nie. Selbst während des Zweiten Weltkriegs blieben in der Schweiz die Schulen offen. Die grössten Staaten der Erde verhängen Lockdowns und Ausgehverbote. Regierungen legen die Weltwirtschaft ins künstliche Koma. Es ist ein offenes Experiment ohne Vorbild. Gesunde Menschen sterben ohne Sauerstoff. Auch gesunde Volkswirtschaften können untergehen, wenn man ihnen die Luft zu lange abwürgt.

Noch halten wir es für möglich, dass der Spuk vor den Sommerferien vorbei ist. Brennt die Klimaerwärmung das Coronavirus weg? Aus den USA kommen Berichte über andere Naturkatastrophen. Wie schnell erholen sich Überschwemmungsgebiete nach Hurrikanen? Aus Japan hören wir, dass nach Tsunamis oder Erdbeben das normale Wirtschaftsleben mit Höchstgeschwindigkeit zurückkehrt. Jetzt sind wir unsicherer. Viren, anders als Flutwellen, sind unsichtbare Feinde. Sie begleiten uns noch lange.

Es gibt Lichtblicke. Das Coronavirus ist weit weniger tödlich, als die Weltgesundheitsorganisation WHO noch vor wenigen Wochen behauptete. Aufgrund chinesischer Zahlen kam die Behörde auf eine Todesrate von 3,8 Prozent aller Angesteckten. Das wäre dreissig Mal höher gewesen als bei einer normalen Grippe. Furchterregend. Die daraus hochgerechneten Unheilskurven versetzten weltweit die Regierungen in Schrecken.

Zum Glück mussten die Forscher ihre Daten inzwischen nach unten korrigieren. Das New England Journal of Medicine, eine renommierte Fachzeitschrift, rechnet in ihrem aktuellen Leitartikel mit einer Sterbequote von «deutlich unter 1 Prozent». Die Autoren halten es sogar für möglich, dass die Todesrate am Ende nur zwischen 0,1 und 0,3 Prozent liegen könnte. Covid- 19 würde sich damit im Rahmen der heftigen Grippewellen von 1957 und 1968 bewegen. Damals wurde die Weltwirtschaft nicht stillgelegt.

Auch das angesehene Imperial College in London krebste zurück. Sein erster Bericht prognostizierte 250 000 Corona-Tote für das Vereinigte Königreich. Mindestens. Die Nachricht erzeugte die sofortige Schubumkehr bei Premier Boris Johnson. Bis dahin hatte er auf massive Freiheitsberaubungen verzichtet. Dann korrigierten die Forscher ihre Opferzahl auf 20 000. Mittlerweile kalkuliert das Imperial College noch 5700 Corona-Tote. Sofern sich die Bevölkerung an die Massnahmen der Regierung hält.

Darf man also Entwarnung geben? Kaum. Das Coronavirus ist heimtückisch und ansteckender als die Grippe. Das führt zu hohen Infektionszahlen, und die hohen Infektionszahlen produzieren mehr schwere Verläufe. Die grosse Gefahr ist, dass die Zahl der schwer Erkrankten die Zahl an lebenserhaltenden Geräten übersteigt und damit die Sterblichkeit aufgrund von Kapazitätsengpässen nach oben treibt. Das würde nicht nur die Alten und Vorerkrankten treffen. Keine Regierung will dieses Risiko eingehen. Darum reagieren sie so heftig.

Trotzdem: Nach wie vor ist es denkbar, dass die Gesamtzahl der Toten wegen Corona nicht höher sein wird als die Gesamtzahl der Toten in früheren Jahren. In der Schweiz sterben jährlich etwa 67 000 Menschen, über 5500 pro Monat. Derzeit sind rund 400 Menschen in der Schweiz an oder mit Corona gestorben. Die meisten waren hochbetagte Patienten mit mehreren Vorerkrankungen. Mediziner rechnen damit, dass rund die Hälfte bis zwei Drittel der Covid-19-Patienten ohnehin gestorben wären. Allerdings stehen wir noch nicht am Ende, sondern eher am Anfang der Pandemie. Darum sind auch diese Zahlen mit Vorsicht zu verwenden.

Natürlich muss ein Ausstiegsszenario diesen Tatsachen und Unsicherheiten Rechnung tragen. Die Linke weigert sich, über Wege aus dem Ausnahmezustand überhaupt nur nachzudenken. Die Sozialisten richten sich auf den ewigen Lockdown ein. Sie wollen die Marktwirtschaft durch eine Staatswirtschaft ersetzen. Giftpillenmässig wird sich dieser Umwandlungsprozess einstellen, je länger das Koma dauert.

Die Bürgerlichen machen den Fehler, dass sie Marktwirtschaft und Gesundheit wie Gegensätze behandeln. Das Gegenteil ist wahr. Die arbeitsteilige, grenzübergreifende Marktwirtschaft ist die Existenzgrundlage der heutigen Welt. Gesunde Menschen gibt es nur in gesunden Wirtschaftssystemen. Geht die Wirtschaft kaputt, sterben die Menschen.

Es ist richtig, in Zeiten der Seuche über die Grenzen und Unausgewogenheiten der Globalisierung nachzudenken. Doch der Freihandel bleibt die Bedingung der Möglichkeit von Leben, Wohlstand und Gesundheit für Milliarden von Menschen. Die Schweiz ist zu klein, um sich auf der Scholle einzubunkern. Ein Rückzug ins grüne Mittelalter wäre tödlich. Die Schweiz muss in die Welt hinaus, sonst verarmt sie, ressourcenarmer Steinhaufen in der Mitte Europas.

Deshalb: Es ist nicht zynisch, sondern dringlich, über den Ausstieg aus dem Corona-Lockdown nachzudenken. Bundesrat Berset sollte sich den Vorschlägen der Parteien nicht verschliessen. Der Bundesrat müsste den Weg jetzt vorpfaden. Wenn man schon den Einstieg in die Seuchenkrise verschlafen hat, sollte man den Ausstieg nicht auch noch verpassen.

Sonst droht das Massensterben schweizerischer Unternehmen.

Die Bürgerlichen stehen vor der Frage, ob sie den Linken helfen oder ob sie sie daran hindern wollen, Marktwirtschaft und Wohlstand auf Dauer einzusargen. Gewiss ist es richtig, sich im Notfall einvernehmlich hinter den Bundesrat zu stellen. Mindestens so wichtig aber ist, dass die Bürgerlichen die Abschaffung von Freiheit und Marktwirtschaft bekämpfen.

Offensichtlich ist, dass der Machtschachspieler Christian Levrat die Krise nützen will, um sein Programmziel einer gelenkten Wirtschaft durchzudrücken. Dazu braucht er keine Volksabstimmung. Es reicht ihm eine schwere Rezession dank Lockdown mit dem Bundesrat.

Es kann schnell gehen. Die Bürgerlichen sollten zusammenstehen. Um Freiheit, Wohlstand und Marktwirtschaft in der Schweiz gegen ihre Feinde zu verteidigen.

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