Weltwoche Editorial 08/20

Editorial

Sommarugas Deal

Von Roger Köppel

Die Bundespräsidentin verbündet sich mit der EU gegen die Begrenzungsinitiative und für den institutionellen Rahmenvertrag. Das belegen Dokumente.

M

it dieser Ausgabe dokumentieren wir brisante Vorgänge. Die Weltwoche veröffentlicht erstmals die vertraulichen EU-Protokolle des Zusammentreffens dreier Bundesräte mit EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen am World Economic Forum in Davos. Sie belegen, wie sich der Bundesrat und die EU mit Blick auf die Volksabstimmung über die Personenfreizügigkeit abgesprochen haben. Es gibt eine informelle Übereinkunft. Bundespräsidentin Sommaruga bat die EU-Kommissions-Präsidentin von der Leyen, sich bis zur Zuwanderungs- Abstimmung vollkommen still zu verhalten. Im Gegenzug soll der Bundesrat gleich danach das institutionelle Rahmenabkommen vorantreiben.

Bereits in der letzten Ausgabe haben wir über diese pikanten Ereignisse berichtet. Grundlage war die Berichterstattung des Schweizer Radios SRF, das die Aufzeichnungen enthüllte, allerdings ohne wörtlich daraus zu zitieren. Auf Nachfrage wurde die Echtheit versichert, aber die Kollegen wollten uns das Dokument weder zu lesen geben noch aushändigen. Auch hat der Schweizer Gebührensender interessanterweise die heiklen Absprachen nicht mehr weiter thematisiert. Die Sache ging unter angesichts der «Cryptoleaks»-Geschichte, die mit viel mehr Dampf angerichtet wurde. Ausser der Weltwoche griff keine Zeitung die Kumpanei mit Brüssel auf.

So haben wir das Protokoll auf anderen Kanälen direkt aus der EU-Zentrale beschaffen müssen. Es handelt sich um eine authentische Zusammenfassung des Debriefings zum Treffen von der Leyens mit den Bundesräten Sommaruga, Cassis und Keller-Sutter sowie Chefunterhändler Balzaretti in Davos. Adressat sind die EU-Botschafter. Sie wurden von der Kommission vertraulich unterrichtet.

Der Wortlaut, den die Weltwoche erstmals der Öffentlichkeit zugänglich macht, hat es in sich. Aus den Aufzeichnungen geht hervor, dass Bundespräsidentin Sommaruga EU-Kommissions- Präsidentin Ursula von der Leyen ausdrücklich gebeten habe, sich nicht in die Abstimmung über die Zuwanderungsinitiative einzumischen. Von der Leyen wiederum erwartet vom Bundesrat als Gegenleistung mehr Einsatz beim institutionellen Abkommen.

Sommarugas Geheimdeal wird noch zu reden geben. Die Bundespräsidentin ist eine Gegnerin der Begrenzungsinitiative. Sie weiss, dass EU-Einmischungen im Abstimmungskampf den Befürwortern nützen würden. Nur deshalb bat sie Brüssel, bis dahin von jeglichen Interventionen abzusehen. Von der Leyen willigte ein, verlangte aber ihrerseits eine Gegenleistung nach dem bewährten ökonomischen Grundsatz «Quid pro quo». Dies für das. Eine Hand wäscht die andere. Das Protokoll hält das Übereinkommen unzweideutig fest.

Kumpanei in Davos.

In den USA haben weniger weitgehende Absprachen zwischen dem Präsidenten und einer auswärtigen Macht (Ukraine) zu einem Amtsenthebungsverfahren geführt. Und in der Schweiz? Die Bundesverfassung verlangt von allen Staatsorganen den Schutz der Rechte des Volkes und der Unabhängigkeit. Die ehernen Prinzipien sind schwer in Einklang zu bringen mit heimlichen Absprachen zwischen Bundesräten und fremden Mächten. Artikel 267 des Strafgesetzbuches verbietet «Bevollmächtigten der Eidgenossenschaft » bei Freiheitsentzug von «nicht unter einem Jahr» sogar ausdrücklich, mit «auswärtigen Regierungen» in Verhandlungen zum Nachteil der Schweiz einzusteigen. Fraglos gereicht es der Schweiz zum Nachteil, wenn die Bundespräsidentin mit der EU konspiriert, um das von ihr gewünschte Abstimmungsresultat herbeizuführen.

Auf Anfragen der Weltwoche reagierte der Bundesrat unwirsch. Das EU-Protokoll entspreche nicht der Wahrheit, wird behauptet. Das ist theoretisch möglich, aber unwahrscheinlich. Auf jeden Fall sollte sich die Landesregierung zum Davoser Geheimpakt erklären. Derzeit skandalisiert die politische Schweiz mögliche Geheimabsprachen zwischen dem Bundesrat und ausländischen Geheimdiensten vor dreissig Jahren. Mindestens so relevant erscheint da der heutige Geheimpakt zwischen der Bundespräsidentin und der EU-Chefkommissarin. Die Europapolitik ist von wegweisender Bedeutung.

Wird der Fall der früheren schwedischen Firma Crypto in Zug zu hoch gehängt? Gut möglich. Wir haben dazu den deutschen Ex-Geheimdienstmann und Staatsminister Bernd Schmidbauer befragt. Der ehemalige CDU-Politiker trat in der einschlägigen «Rundschau»-Sendung des Schweizer Fernsehens als Kronzeuge auf. Er bestätigte vor laufender Kamera, dass die Crypto AG manipulierte Verschlüsselungsmaschinen verkauft habe und jahrelang von der CIA und dem deutschen Nachrichtendienst (BND) heimlich kontrolliert worden sei.

Am Telefon wiederholt Schmidbauer seine Aussagen, aber er relativiert die Aufgeregtheit der Berichte. Die Vorwürfe gegen Crypto seien uralt, und «die Schweiz ist hintergangen worden. » Kritisch sehen müsse man das in den Medien zustimmend zitierte Dossier «Minerva ». Dieser angebliche BND- und CIA-Bericht – Grundlage der Enthüllungen – dürfe nicht für «bare Münze» genommen werden. Da sei «viel Wunschdenken» drin. Ob tatsächlich die CIA das in holprigem Englisch formulierte Papier geschrieben habe, sei zweifelhaft. «Es trägt nicht die nachrichtendienstliche Handschrift. »

Diese Feststellung ist brisant. Denn Schweizer Journalisten, die sonst der CIA kein Wort glauben, behandeln das Dokument wie eine offenbarte Wahrheit. Nur wenige eingebettete Reporter freilich haben es gesehen. Was die Medien wiederum nicht daran hindert, gegen die darin genannten Schweizer FDP-Politiker Kaspar Villiger und Georg Stucky ein journalistisches Tribunal zu errichten. Es zieht Fäden bis in die Politik. Vielleicht wäre es ratsam, zuerst in aller Ruhe den Wahrheitsgehalt des «Minerva»-Dokuments zu entschlüsseln, ehe man den Staatsapparat für teures Geld in helle Aufregung versetzt.

Schmidbauer widerspricht weiter: Aus der Schweiz heraus seien nicht über Hundert Staaten flächendeckend überwacht worden. Die Abhöraktion sei begrenzt und zielgerichtet gewesen. Auch die Behauptung, die Geheimdienste hätten dank Crypto Millionen verdient, weist er zurück. Er findet nicht, sagt der Geheimdienstexperte, dass die Glaubwürdigkeit der Schweiz und ihrer Regierung gelitten habe: «So drastisch kommt das nicht.»

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