Weltwoche Editorial 06/20

Editorial

Als ob Idi Amin seine Zelte aufgeschlagen hätte

Von Roger Köppel

Auf den Chef der Schweizer Traditionsbank Credit Suisse, Tidjane Thiam, prasseln immer wildere Anschuldigungen und Unterstellungen ein. Man muss aufpassen mit dem R-Wort, aber hat die fast schon blutrünstige Berichterstattung nicht doch auch einen rassistischen Unterzug?

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itleid muss man keines haben. Der Mann verdient Millionen und residiert in einer wunderschönen Villa am Zürichsee. Obwohl er selber kein aufsehenerregendes Privatleben führt, zählt laut Zeitungsberichten der Hollywoodschauspieler George Clooney zu seinen Freunden. Und ohnehin hat die Finanzindustrie, in der er arbeitet, spätestens seit der grossen Krise von 2008 ein selbstverschuldet miserables Image.

Nehmen wir gleich die beiden Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse. Der Aktienkurs dieser Unternehmen ist heute ungefähr dort, wo er schon vor dreissig Jahren war. Dazwischen aber kassierten die Führungskräfte ohne jedes persönliche Risiko schätzungsweise rund 100 Milliarden Franken an Boni und Belohnungen. Die langfristigen Eigentümer hingegen blieben ohne Mehrwert auf ihren Anlagen sitzen, obwohl sie das ganze Risiko tragen.

Skandal der Enteignung
Der Dramatiker Bertolt Brecht schrieb, es sei ineffizient, eine Bank auszurauben. Klüger sei es, eine Bank zu gründen. Am einträglichsten allerdings ist es – das wissen wir seit der Finanzkrise –, für eine Bank zu arbeiten.

Was auf den Finanzplätzen abging, ist ein Skandal der Enteignung.

Vor diesem Hintergrund leicht entflammbarer Ressentiments spielt sich die Geschichte des eingangs geschilderten Mannes ab. Er heisst Tidjane Thiam, stammt von der Elfenbeinküste, hat einen französischen Pass und leitet seit 2015 die damals schwerstangeschlagene Schweizer Traditionsbank Credit Suisse.

Noch vor einem halben Jahr, im Sommer 2019, stand Thiam vor der Erklimmung eines weiteren Gipfels in seiner ruhmvollen Laufbahn. Das angesehene Fachblatt The Economist würdigte den Ivorer in einem ausführlichen Artikel. Der Titel lautete in Anspielung auf einen berühmten Roman des Schriftstellers Albert Camus: «L‘étranger» – der Fremde. Die Überschrift war ein heimlicher Volltreffer, denn sie sollte erst in den kommenden Monaten ihren eigentlichen Sinn enthüllen.

Sogar der Economist lobte
Thiam, lobte das Blatt, habe die CS durch entschlossenes Durchgreifen aus dem «Fegefeuer » gerettet und dringend benötigtes Kapital in der Höhe von 10 Milliarden Franken beschafft. Seinem eisernen Zahlenmanagement sei ein Kostenabbau von 4 Milliarden Franken zu verdanken. Die Sanierung sei nun abgeschlossen, und Thiams Leistung sei auch deshalb bemerkenswert, fügte der Autor hinzu, weil er im Unterschied zu früheren CSChefs kein «Insider», kein langjähriger Mitarbeiter oder Bankenkenner sei, sondern ein Aussenseiter, ein gänzlich Branchen- und Landesfremder, der trotzdem mutig «in den Sturm marschierte». Wie wahr.

Als diese Zeilen gedruckt wurden, erschien auch in der Weltwoche ein anerkennendes Interview mit dem CEO der Credit Suisse. Dort erzählte er erstmals von seinen Wurzeln in Afrika, seinen Erfahrungen mit rassistischen Kolonialbeamten und seinem Aufstieg in einer von Weissen dominierten Industrie, zuerst bei den Versicherungen, dann bei einer Schweizer Grossbank. Er unterstrich seinen bereits im welschen Fernsehen geäusserten Wunsch, später die schweizerische Staatsbürgerschaft annehmen zu wollen.

Melancholische Dimension:
Sanierer Thiam.

Man hatte den Eindruck, dass sich Thiam, der schweigsame Aufräumer, der schwer Fassbare, der Fremde, nach dreieinhalb Jahren entbehrungsreicher Sanierungsarbeit in der Schweiz nun allmählich zu entspannen, zu öffnen, wohl zu fühlen und einzuleben schien. Es passte, dass ihn das Fachmagazin Euromoney eben als «Banker of the Year» ausgezeichnet hatte für seinen «radikalen Dreijahresplan», mit dem er die Credit Suisse «neu erfunden» habe.

Dann explodierte alles. Was die folgenden Ereignisse und Verwicklungen so besonders macht, ist die Nichtigkeit ihres Ursprungs. Wir brauchen die Geschichte im Detail nicht noch einmal nachzuerzählen: Es geht um die Eskalation eines Nachbarschaftsstreits zwischen Thiam und seinem damaligen Star-Angestellten Iqbal Khan. Dass die beiden Top-Bankiers ausgerechnet auf direkt angrenzenden Grundstücken in der Zürcher Goldküstengemeinde Herrliberg nebeneinander leben, gehört zu den skurrilsten Zutaten in diesem Fall.

Sadistische Zahnärzte
Auslöser war ein Zusammenstoss an einem Neujahrscocktail im Hause Thiam zwischen dem CS-Chef und seinem dekorierten Mitarbeiter vor einem Jahr. Ein paar Monate später wechselte Khan zum Konkurrenten UBS. Die CS liess Khan darauf beschatten, weil sie befürchtete, der Starbanker ziehe Assets und Mitarbeiter ab. Die dilettantisch gesteuerte Spionage flog auf. Khan klagte gegen die CS. Der Name des Detektivbüros sickerte durch, und am Ende nahm sich ein Mittelsmann zwischen Bank und Detektei das Leben.

Erstaunlich war, dass der tragische Selbstmord in Rekordzeit aus den Schlagzeilen verschwand, weil die Medien angesichts der bizarren Geschichte einfach mehr Gefallen daran zu entwickeln schienen, die beiden Chefs der CS, Verwaltungsratspräsident Urs Rohner und CEO Tidjane Thiam, ins scharfgestellte Visier zu nehmen. So, wie sich der angesammelte Frust der benachbarten Spitzenbanker an jenem Cocktailabend krachend entlud, brach in den Medien nun schubweise die aufgestaute Häme gegen die Geld-Industrie am Zielobjekt der beiden Prestigebanker durch.

Wie sadistische Zahnärzte verbohrten sich die Journalisten in die angeblichen und tatsächlichen Entzündungen, Bruchlinien und Haarrisse in der Beziehung zwischen dem Präsidenten und seinem CEO. Als sich Rohner zum Beispiel in einer ersten Stellungnahme eher schwebend äusserte – beide Streithähne hätten ihm ihre eigene Version des Cocktailabends erzählt –, wurde dies bereits als unzweideutiges Misstrauensvotum gegen Thiam gewertet, der nun wahrheitsmässig auf die gleiche Stufe gestellt worden sei wie der tiefer rangierte Khan.

Der Mann aus Afrika
Die Deutungsmaschinerie rotierte weiter. Anfang Oktober stellte Rohner einen Untersuchungsbericht des Verwaltungsrats zur entgleisten Beschattungsaffäre vor. Allein die Tatsache, dass Thiam das Heft aus der Hand genommen und auch seine Rolle untersucht worden war, wirkte demolierend für den CEO. Durch den VR in eine passive Rolle gedrängt, musste er mit ansehen, wie sein treuer Untergebener Pierre-Olivier Bouée und dessen Sicherheitschef Remo Boccali gegen seinen Willen entlassen wurden. Rohner, selber unter Mediendruck, profilierte sich als Ausputzer auf Kosten Thiams, der in den Medien immer schärfer angegriffen wurde. Die Bruchlinie blieb sichtbar, auch wenn sich der Präsident in Interviews wieder felsenfest hinter Thiam stellte.

Am CEO blieb vor allem Rohners Satz kleben, in der CS gebe es keine Überwachungen und Beschattungen von Mitarbeitern, das sei kulturfremd und werde in keiner Weise toleriert. Das apodiktische Wort erstaunte. Staaten haben die Polizei, um ihre Bürger zu schützen. Grosse Konzerne und vor allem Banken haben Sicherheitsabteilungen, um ihre Kunden und deren Assets zu schützen. Keine Frage, die Khan-Bespitzelung war ein peinlicher Fehlschlag mit tragischen Folgen. Aber ist es grundsätzlich nicht legitim, ja zwingend, dass eine Bank notfalls auch Mitarbeiter überwacht bei begründetem Verdacht auf firmen- oder kundenschädigendes Verhalten? Oder hatte mit dem Mann aus Afrika tatsächlich eine völlig neue Kultur im Bankenwesen Einzug gehalten?

Von nun an waren die Schleusen geöffnet. Flutartig erschienen Dutzende von Artikeln. Thiam war als Sanierer und Aufräumer mit einem starken Team geholt und gelobt worden. Nun auf einmal wurde er als autokratisch- autistischer Herrscher beschrieben, als eine Art Stammesfürst mit einem treuergebenen Zirkel von vertrauten Untertanen, die mit ihrem Häuptling ein «Klima der Furcht» verbreiten würden. Der Ivorer («Militärputsch») pflege einen «autoritären», «autokratischen», «ungehobelten» Führungsstil. Kritik akzeptiere er nicht, entschieden werde («autokratisch ») im allerkleinesten Kreis, und der Fall Khan, so wurde rufschädigend insinuiert, sei vielleicht sogar als Hinweis auf brodelnde Gewaltbereitschaft zu verstehen.

An Krokodile verfüttert?
Man muss mit dem R-Wort aufpassen, aber beim Lesen der Texte prägte sich irgendwann fast zwangsläufig die Vorstellung ein, als ob am Zürcher Paradeplatz eine Art Idi Amin sein Hauptquartier aufgeschlagen habe, ein finsterer afrikanischer Despot, der seine Kritiker und Konkurrenten wenn nicht an Krokodile verfüttert, so doch mit semikriminellen Methoden aus dem Verkehr zu ziehen versucht. Als dann kurz vor Weihnachten noch die Meldung ruchbar wurde, es habe trotz Rohners Versicherungen eine weitere Beschattung gegeben, kochte die Gerüchteküche gegen Thiam vollends über.

Ist es schon Rassismus? Oder sind es nur Journalisten, die Blut gerochen haben?

Thiam wurde zur Projektionsfläche immer wilderer Anschuldigungen. Verschwörungstheorien kamen auf. Genüsslich druckten die Sonntagszeitungen Giftmüll. Der Manager von der Elfenbeinküste, poppte es in News-Portalen auf, sei nicht nur Diktator. Der «leidenschaftliche Tänzer» habe auch «Frauengeschichten ». Beweise? Keine. Die NZZ behauptete, hinter der Khan-Affäre stehe in Wirklichkeit Thiams Versuch, durch «schmutziges Material» einen Dritten zu belasten. Belastbare Belege? Fehlanzeige. Die Sonntagszeitung titelte am 19. Januar: «Thiam von Strafermittlung betroffen». Tatsache ist: Thiam ist und war zu keinem Zeitpunkt Gegenstand strafrechtlicher Untersuchungen.

Keine Wehleidigkeit: Thiam wird gut bezahlt. Er muss die Treibjagd aushalten. Auch wenn er nicht am Schlamassel schuld ist, er ist als Chef verantwortlich für alles, was in seiner Firma passiert. Die Machtkämpfe mit dem VR sind beschwerlich und mühsam, aber auch das gehört zum Alltag in vielen Konzernen. Trotzdem hat diese Geschichte eine melancholische Dimension. Ausgerechnet in dem Moment, als Thiam, der bisher ungewöhnlichste Chef der Credit Suisse, die ersten Früchte seines Erfolgs hätte ernten können, stürzte er mit einer absurden Affäre ab.

Spielte Thiams Hautfarbe für die Berichterstattung eine Rolle? Er könnte es so empfinden, und vielleicht hätte er nicht einmal ganz unrecht. Als er kam, schien er unter Denkmalschutz zu stehen. Um so heftiger brachen die Dämme, als die CS-Führung Schwächen zeigte. Die gleichen Journalisten, die sonst Weltoffenheit als zivilisatorisches Ideal predigen – ohne jemals länger ausserhalb der Schweiz gelebt zu haben –, erklären nun Thiam, den Ivorer, der in Frankreich studiert und in England gearbeitet hat, zum Unheilbringer einer fremdländischen Autokratie. Der Skandal wird zur Komödie. Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Bild: Simon Dawson (Bloomberg via Getty Images)

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